Filmische Illustration zur Exilforschung: 'Die Koffer des Herrn Spalek'/ 'Mal Seh`n' Kino 22.02.2015, Auftakt zum Workshop „Die Jüdische Familie“ - Teil 1

 

Heinz Markert

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Im Regelfall landen die persönlichen Unterlagen eines 'durchschnittlichen' Nachlasses überwiegend und faktisch in der Mülltonne der einzelnen Verwertungsketten, da eine Auswertung sich - angeblich - nicht lohne, bzw. zu wenig Zeit dafür zur Verfügung stehe.

 

Die von den Exilanten aus jüdischen Häusern - der Begriff 'Flüchtlinge' ist angemessener - hinterlassenen Bündel an persönlicher Habe sind hingegen immer als Teil eines besonderen kulturellen Gedächtnisses der Menschheit zu betrachten. Zu Recht.

 

Sie sind für die Nachwelt aufschlussreich sprechend, mit besonderer sinnlicher Präsenz behaftet. Was die verantwortliche Gattung tat, anrichtete, wozu sie 'fähig' war und ist, was sie kaputt machte oder untergrub, kann anhand jener Sammlungen persönlicher kleinerer Gegenstände und amtlicher Dokumente - aber auch dicht beschriebener Taschenkalender - in einem Prozess des Schauens und Forschens studiert bzw. nachempfunden werden.

 

Der Film 'Die Koffer des Herrn Spalek' war insofern ein so nicht erwartbarer, da er, in Verbindung mit den Wellen der Verfolgung und Flucht vor Mord und Totschlag stehend, gleichwohl eine humorvolle Milieustudie liefert. Diese wurde jedoch nicht etwa bemüht und extra effektvoll gesteigert, sondern entstand anhand der von der Kamera eingefangenen gegenwärtigen Aktivitäten des spalekschen Sammlerlebens. Insofern der Film als Auftakt zu beginnenden Studien gezeigt wurde, nach Form und Inhalt aber nicht ins Niveaulose abdriftet - was leicht bei solchen Genres eintritt - könnte er auch künftig zu ähnlichen Anlässen aus dem Bestand geholt und gezeigt werden. Ihm haftet etwas von einem Kultfilm an, weil das Ernste eine enge, aber unbemühte Verbindung mit dem Heiteren und Komischen eingeht.

 

Der Film lebt aus der Hauptfigur

 

Hauptfigur ist ein Herr Spalek, US-Amerikaner aus Albany, polnisch protestantischer Herkunft, der Warschau lange schon verlassen hat – seine Familiengeschichte will er nicht so recht preisgeben. Auf Pfaden gesellschaftlicher Kontakte und Beziehungen mit 'Exilierten', Menschen von entschiedenerem Bildungsgrad, hat er eine große Leidenschaft entwickelt: das Sammeln – der Begriff 'Jagen' fiel in der Besprechung nach dem Ende des Films – des von jüdischen Flüchtlingen Hinterlassenen, bislang in Schubladen Verbliebenen und noch wissenschaftlich Unbearbeiteten.

 

Seine 'Peergroup', mit der er gesellschaftlich Umgang hat, vermittelt eine klare Andeutung des Braindrains, der durch die Terrorherrschaft Hitlers in Gang kam: bis in die Zwanziger Jahre war Deutschland 'Sientific Nation No. 1'. Der Abgang an kulturellem Potential ist ein ebenso gewaltiger gewesen, wie in der Unterhaltung gefallene berühmte Namen erneut in Erinnerung rufen. Der Film gibt einen Einblick insbesondere in den Exilantenstammtisch, in dem illustre Namen stets die Runde machen. Es wird überwiegend in deutscher Sprache gesprochen (englisch untertitelt), englischsprachige Äußerungen bleiben ununtertitelt. Wie gut und akzentfrei Herr Spalek deutsch spricht, überrascht nach kurzem Sehen und Hören.

Der Impuls des Jagens, also im Rahmen von Forschungen, hat Prof. Dr. John M. Spalek nach 1948/49 – dem Zeitpunkt des Überwechselns in die USA – eine Karriere wie aus dem Bilderbuch für amerikanischen Aufstieg möglich gemacht: zunächst als Tischler eingewandert und tätig gewesen, hat er durch sein Engagement in der Exilforschung sich zum Professor für Exilforschung hochgearbeitet, nachdem er ab 1960 auf Einladung eines schwedischen Forschers mit der Arbeit an den Exilthemen begonnen hatte.1928 geboren, hat er nun die Mitte der achtziger Jahre seines Lebens erreicht. Der Film zeigt Aufnahmen aus der Zeit vor seiner schweren Erkrankung.

 

Herr Spalek vermittelt mit seinem Tun im sehr fortgeschrittenen Alter etwas Skurriles, ein wenig Verschrobenes. Dies ist seinem Alter geschuldet, aber nicht allein. Die Arbeit, an der er sich abmüht, ist kolossal, nimmt man ein kleines Menschenleben als Grund- und Ausgangslage. Vieles hat er bereits bewältigt, aber ein Ende ist kaum absehbar. Er hat zum Zeitpunkt der Aufnahmen einen aktuellen Bestand von 3000 Personen auf 25 Metern (an Regalen). Exilforschung ist ein Verwaltungsbegriff, der Sache angemessener ist der Terminus: 'Special Collections', nämlich im Hinblick auf die vor der Vernichtung durch Hitler in die Vereinigten Staaten von Amerika Geflohenen, samt ihren Hinterlassenschaften und darin erkennbaren Lebensschicksalen.

 

 

Das Band nach Frankfurt am Main

 

Der Film wechselt an einen anderen Ort: zu den Kasematten, in die Tiefengewölbe der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main; es wird gezeigt, wie ein Koffer des Herrn Spalek ankommt und in den wissenschaftlichen Blick der Spezialistinnen dieser aufnehmenden Einrichtung gerät, die ein paar Worte beisteuern, bevor die fachgerechte Inventarisierung, Archivierung und Konservierung losgeht. Das im Komplex der Bibliothek etablierte 'Exilarchiv 1933-1945' ist ein Pendant zum Leo Baeck-Institut (New York), wobei die Frankfurter Einrichtung von denen, die die Sammlungen überlassen, zunehmend auch über den großen Teich hinweg präferiert wird.

 

Die Bestände an Koffern, Kartons und Stapeln, die sich in Spaleks Haus schichten, für deren Inhalte er sich einsetzt, sind sprechend für den Lebenstrieb eines Menschen, dem Trieb, dem Leben der Verfolgten die Würde und Wertschätzung zu geben und zu erhalten, die ihnen sonst kaum zuteil würde. Die Arbeit des Sammelns von historisch erheblichen Hinterlassenschaften ist umso bedeutender, da vor historischem Ausnahmehintergrund angesiedelt. Wie wenig bleibt üblicherweise von einem Leben übrig, was seine spezifische Rolle angeht, da sie zu privat bleibt oder so erscheint. Wenn der verhängnisvolle Kreislauf, wie er mit Flucht und Zerstören von Leben im Rahmen der andauernden Katastrophe Weltgeschichte sich offenbart, durchbrochen werden soll, dann ergibt sich anhand der Biographien aus den Grenzsituationen die Möglichkeit, aus einer sehr intensiven Verpflichtung heraus zu handeln. So situationskomisch und altersspezifisch die Tätigkeiten und Handlungen des alten Sammlers auch anmuten mögen – der Film lebt aus ihnen -, indem der Hochbetagte anscheinend manchmal nicht mehr weiß, wo er anfangen oder weitermachen soll, - so sind sie aber Akte der Humanität, 'veranlasst' durch Inhumanität.

 

Mit seiner Arbeit geht er in eigener Person auch wirtschaftlich in Vorlage: er investiert in seine Arbeit, sein Werk, nimmt persönliche Schulden in Kauf. Abgesehen von Büro- und Reisekosten sind zuweilen für Übernahmen auch Geldbeträge zu entrichten. Schon etwas entferntere, nicht mehr so nahe Verwandtschaftsverhältnisse sind dafür eine Ursache. Er ist ein Maniker des Sammelns und Sicherns, aber kulturell und mit Hintergrund, der sich aus Humanität speist. Fortsetzung folgt.

 

 

Info:

 

Filmvorführung: 'Die Koffer des Herrn Spalek', Mal Seh`n Kino, Sonntag 22. Febr. 2015; in Kooperation mit dem Familie Frank Zentrum und dem Jüdischen Museum, Frankfurt. Im Anschluss: Cilly Kugelmann, Programmdirektorin des Jüdischen Museums Berlin, kommentierte den Film.

 

 

Weltexpresso hatte schon einmal über diesen bemerkenswerten Film berichtet, der 2013 im Rahmen des Lichter Filmfestes gezeigt wurde:

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/kino/1557-die-koffer-des-herrn-spalek