Wer bekommt die Bären? Die Wettbewerbsfilme auf der 62. Berlinale vom 9. bis 19. 2. 2012, 12/25
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) –Familie und Krieg sind die beiden Begriffe, die bei dieser Komödie mit ernstem Kern in Alabama/USA 1969 zusammengehören. Natürlich zum einen, weil Familie selbst immer schon Krieg bedeuten kann, im Stellungsspiel der einzelnen gegeneinander um ihre Positionen innerhalb der Familie, was hier der Fall ist, aber auch, weil sowohl der 2. Weltkrieg wie Vietnam für alle Männer der Familie prägend sind: entweder weil sie als Soldaten dabei waren – oder eben nicht!
Ausgangspunkt ist der Anruf aus England, der auch uns wissen läßt, daß dort die Exehefrau von Jim Caldwell (Robert Duvall) gestorben ist, die ihn und die drei Söhne und Tochter Donna sitzengelassen hatte und einen Engländer geheiratet hatte, mit dem sie zwei Kinder hat. Sie wollte in der Heimat begraben werden, weshalb die englische Familie nun kommt. Das ist der Ausgangspunkt für eine Familienaufstellung, die durch Emotionen wie Beerdigungen sie eh schon besitzen, eine zusätzliche Dynamik gewinnt. Hier kommen also sowohl die Gefühle von Haß und Abneigung, wie auch von Trauer und verstecktem Interesse, vor allem aber die unterschiedlichen kulturellen Ausprägungen englisch/europäischer und amerikanischer, noch dazu Südstaatenart zusammen.
Regisseur Billy Bob Thornton, der auch einen der Söhne, den besonders exzentrischen Flugzeug- und Autonarren Skip auf eine irrsinnige Weise normal spielt, hat hier eine typisch amerikanische Südstaatenfamilie mit einer englischen Mittelstandsfamilie aufeinandertreffen lassen, daß die daraus resultierende Komik auf der Hand liegt: vom britischen Akzent bis zum unterschiedlichen Verhalten. Wir auf jeden Fall mußten dauernd lachen, ein Lachen, das einem nicht im Halse stecken bleibt, sondern aus der Reaktion sofort verständlicher Irritationen auf der Leinwand herrührt.
Man lacht nämlich dann sofort und auch am liebsten, wenn man auf etwas trifft, was man schon kennt. In der Tat sind die Grundzutaten bei diesem Kulturclash einem bekannt, wie aber Regisseur Thornton damit umgeht, hat Niveau. Er entwickelt eine Differenzierung der einzelnen Charaktere, die neben dem Abklatsch, den sie bedeuten, dann doch auch ganz individuelle Züge erhalten, und läßt sie in Situationen geraten, wo der Zuschauer, der sie gerade noch ob ihres Unsympathischseins nicht mochte, auf einmal für sie Partei ergreift.
Das auch erotische Anziehung innerhalb der Halbgeschwister eine kontinentale Prägung erhält, würzt das Ganze genauso wie die absurde Situation, daß auf einmal die Jugend, kiffend und in den Tag hineinlebend, die Eltern durch ihren freiwilligen Eintritt ins Militär erschüttern. Eigentlich ist dies nur der eine Sohn des einen Sohnes – Caroll (Kevin Bacon) - des alten Mannes, der wie die anderen aufzeigt, daß der Kern des Filmes auch einen ewigen Generationenkonflikt widerspiegelt. Insofern ist im Film das ganze Leben enthalten.
Allerdings lebt das gefilmte Geschehen von der absoluten Einmaligkeit dieser Menschen und dem konkreten Geschehen, die nur als Individuen dann wieder etwas typisch Menschliches haben, so daß man – wie vom Regisseur gewollt – durchaus Universelles über die Menschheit erfährt. Aber so groß muß man das gar nicht aufblähen. Der Film langt schon in der Erkenntnis, daß auch solche Sturböcke und unsympathische Männer wie Jim Caldwell lernfähig sind und uns – ungewollt - ans Herz wachsen können.
Der bringt, wie sein Konkurrent Kingsley aus England, der zweite Ehemann, und hinreißend britisch durch John Hurt verkörpert, durch das Aufeinandertreffen zweier Alter, die sich vorher in der Luft zerrissen hätten, besonders viel Dynamik und Komik ins Spiel. Das ganze familiäre Durcheinander verarbeitet der Film spielend, wie man überhaupt möglichst unbefangen ihn erleben sollte, denn dafür ist er gemacht. Man versteht sofort, für wen der Film eigentlich wichtig ist und zur Tragödie wird und wer ihn als Komödie wahrnehmen kann. Irgendwie ist das Woody Allen in den Südstaaten.