Wer bekommt die Bären? Die Wettbewerbsfilme auf der 62. Berlinale vom 9. bis 19. 2. 2012, 15/25

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Nun also auch ein portugiesischer Film. Und tatsächlich spürt man von Beginn an, daß Regisseur Miguel Gomes aus einer anderen Tradition wie Hollywood oder dem deutschen Autorenfilm kommt. Sein poetischer Film ist eine doppelte Erzählung. Filme erzählen immer, aber hier sind es zusätzlich durchgehend Erzählstimmen, die uns die vergangenen Ereignisse referieren, die wir auf der Leinwand sehen, also nur wenige direkte Dialoge mitverfolgen.

 

Das gibt dem Film schon einmal eine nostalgische Note, die verstärkt wird durch die Schwarz-Weiß-Töne, die eine vergangene Welt zeigen. Eine Welt in  Afrika, in den Kolonialgebieten der Portugiesen, also ist es lange her. Der ganze Film ist ein unentwegter Rückblick in eine andere Welt. Das beginnt erst einmal rätselhaft mit einem Urwaldforscher, der ans Ende der Welt will, „furchtlos aus Verzweiflung“, weil seine geliebte Frau starb und er sich dem Krokodil im Wasser zugesellt. Das war „Das verlorene Paradies“.

 

Die eigentliche Handlung beginnt mit den drei wohl in Lissabon nebeneinander lebenden Frauen: Aurora (Laura Soveral), die alte Dame, und ihre kapverdische Bedienerin Santa (Isabel Cardoso) sowie Pilar (Teresa Madruga), eine alleinstehende Frau, die sich um alles und jeden kümmert – nur nicht um sich selbst, ahnt man gleich. Aurora zum Beispiel muß sie umgehend mit dem Auto abholen; diese hatte in der Spielbank – wieder einmal – ihr ganzes Geld verspielt. Santa, die von Aurora, der man auch dadurch ihre koloniale Vergangenheit anmerkt, schlecht behandelt wird und dies stoisch erträgt.

 

Schließlich erlahmen Aurora Lebenskräfte, sie kommt ins Krankenhaus und steckt Pilar einen Zettel zu mit einem Namen Ventura und Adresse; ihn soll sie ans Krankenbett holen. Pilar findet den alten Mann, aber Aurora ist schon gestorben. Und nun erzählt der alte Mann seine und Auroras Geschichte, die eine von Liebe und Leidenschaft ist, wie sie in dieser Dramatik besondern intensiv im Kino rüberkommt. Paradies heißt der Teil erst einmal, in dem wir die junge Aurora (Ana Moreira) als verwöhnte Göre, Großwildjägerin und Germanistikstudentin erleben. Während man sich noch fragt, was das alles soll, nimmt die Erzählung Fahrt auf.

 

Was dann erzählt wird, hätte für eine ganze Seifenoperserie gelangt und ist eine Amour fou unter afrikanischem Sternenhimmel und so traurig und so schön, doch mehr aber traurig, weil auch unschön. Ihr Liebhaber wird der junge Ventura, melodramatisch schön und als Latin Lover dargestellt von Carloto Cotta. Es geht nicht anders, obwohl sie gerade von ihrem Ehemann schwanger ist. Deshalb entfleucht er. Sie schreiben sich Briefe, die vorgelesen werden. Es geht übel aus. Beide leben später in Portugal, ohne sich je wiedergesehen zu haben.

 

Diese Worte können weder den Inhalt, vor allem aber nicht die Art und Weise der Verfilmung wiedergeben, weshalb wir den umschreibenden Begriff der Poetik verwandten. Obwohl es um ein Einzelschicksal einer Frau, für die wir uns erst einmal nicht interessieren, weil sie eher unsympathisch ist, haben wir traumverloren ihre Liebesgeschichte verfolgt, weil der Regisseur in afrikanischer Landschaft eine Welt von Gestern errichtet, in der alles möglich ist. Auch das Unmögliche. Ein ganz spezieller Film für Liebhaber.