Wer bekommt die Bären? Die Wettbewerbsfilme auf der 62. Berlinale vom 9. bis 19. 2. 2012, 16/25
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) –Heute erhält Meryl Streep den Goldenen Ehrenbär für ihre seit Jahrzehnten erprobte Schauspielkunst, „als perfekte Verwandlungskünstlerin in allen Filmwelten zu Hause“. Anläßlich der Ehrung wurde im Rahmen des Wettbewerbs ihr letzter Film THE IRON LADY in Originalversion vorgeführt, außer Konkurrenz wie schon andere Filme, die schon vor der Berlinale in den Kinos ihrer Länder waren.
Nach der Vorführung des Films, von dem man ja schon viel gehört und in Ausschnitten gesehen hatte und der bald in die Kinos kommt und den man beim Zuschauen als kaum glaubliche Verwandlungskunst der Meryl Streep als Margaret Thatcher erlebt, gibt es eigentlich nur ein Problem: Meryl Streep, die man kaum erkennt, so sehr konnte sie die Züge der ersten Premierministerin der westlichen Welt sich anverwandeln, spielt die Rolle der alte und dement gewordenen konservativen Politikerin derart intensiv, glaubwürdig und dadurch menschlich, daß man für diese Person eine Sympathie entwickelt, die man im wirklichen Leben nie hatte und aufgrund der erbarmungslosen Politik dieser Eisernen Lady auch nicht haben sollte.
Vom Film also hatte man schon viel gehört und gesehen, aber kaum einer kennt den Regisseur. Der ist eine Frau, nämlich die englische Film- und Theaterregisseurin Phillida Lloyd. Diese nun wiederum hat schon einmal mit Meryl Streep zusammengearbeitet, in MAMMA MIA, wo es ja auch um eine Reise in die Vergangenheit geht, wenn der passende Vater gesucht wird und die Lieder von ABBA ertönen. Ganz unabhängig von der unglaublichen Verwandlungskunst der Meryl Streep, ist der Film durch kluge Einfälle sehr sehenswert, für den, der die Zeiten miterlebt hat, sowieso, aber wer jung ist, kann viel über Veränderungen der Welt und der Politik lernen.
Es ist bekannt geworden, daß Margret Thatcher an starker Demenz leidet. Diese Tatsache ist auch dem Film als respektloser Umgang mit einem lebenden Menschen vorgeworfen worden. Nach dem Anschauen dieser Szenen, wo Meryl Streep auch die ganz alte und immer wieder verwirrte Lady spielt, wird dies niemand mehr anmerken, denn die Filmfigur agiert in einer Würde, der die wispernde und sie beschneidende Umwelt kaum etwas antun kann. Der Film beginnt mit einer Szene, in der sie Milch einkauft und sich über den hohen Preis wundert und dies am Frühstückstisch ihrem Ehemann Denis mitteilt.
Der Ehemann ist immer nur am Rande wahrgenommen worden. Hier im Film spielt er eine zentrale Rolle. Obwohl der tot ist. Eigentlich. Das gehört zu den klugen Ideen, die den Film so sehenswert machen. Denn erst später bekommen wir mit, daß die vielen Szenen mit dem Ehemann, humoristisch Jim Broadbent, alle nur in den Gehirnwindungen der Expremierministerin stattfinden. Da dieser Denis aber nun wohl die einzige Person war, der seiner Frau die Wahrheit sagte und mit britischem Humor gesegnet ist, bricht er die theatralische Wirkung ihrer Auftritte durch Komik und liebevolle Ironie.
Hervorragend auch die Verkörperung der jungen Margret Roberts durch Alexandra Roach, die in ihrer konservativen Ausrichtung vom äußerst wohlhabenden Denis Thatcher – Harry Lloyd - unterstützt wird und ihn 1951 heiratet. Im Film werden die wesentlichen politischen Auseinandersetzungen im englischen Parlament nachgespielt – einschließlich der Meinung der Opposition, sie würde kreischen, weshalb sie Sprachunterricht nimmt - und die bedeutenden Weltereignisse wie beispielsweise der Falklandkrieg oder der Zusammenbruch des Staatssozialismus im Osten in Dokumentaraufnahmen gezeigt.
In Berlin, wo sie schon 2003 einen Silbernen Bären erhalten hatte, wurde sie von Menschenmengen liebevollst begrüßt. In der anschließenden Pressekonferenz konnte sie sich über das Geschenk einer russischen Puppe mit den Zügen der Margret Thatcher, also eigentlich ihren eigenen freuen. Vergleich man übrigens nach dem Film die Züge der Eisernen Lady noch einmal mit dem Spiel der Streep, dann sieht man, daß sie doch eine weichere Version der Eisenfrau ist. Aber vielleicht sagt man sich das auch gerne, weil einem diese filmische Margret Thatcher so ans Herz gewachsen war. Es ist ein fiktiver Film, kein Dokumentarfilm, auch wenn er noch so gut gespielt wird.