Wer bekommt die Bären? Die Wettbewerbsfilme auf der 62. Berlinale vom 9. bis 19. 2. 2012, 14/25
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) –Erstaunlich. Man kann gar nicht anders, als nach dem Wettbewerbsfilm BARBARA von Christian Petzold, der in der DDR 1980 spielt, bei WAS BLEIBT von Hans-Christian Schmid – auf der Berlinale das vierte Mal dabei - mitzudenken, daß dieser Film im heutigen Deutschland nur im Westen spielen kann, daß man ihn einfach nicht im Osten ansiedeln könnte.
Warum, wo es doch um Familie, um Generationenkonflikte genauso wie um Eheprobleme, um nicht aufgehende Pläne beruflicher Stabilität, also um allgemein Menschliches geht? Es ist erstens das Private, daß an keiner Stelle im Film etwas anderes als die familiären Beziehungen und wie man eigentlich leben will, eine Rolle spielen, es ist die abgehobene sozial privilegierte Situation, mit schickem Haus mit vielen Zimmern, die jedes für sich perfekt eingerichtet sind, es ist der Grundton einer Welt, in der materiell für alles gesorgt ist, aber die Seele dürstet.
Vor allem die der Gattin und Mutter Gitte(Corinna Harfouch). Sie will an einem Wochenende ihre Familie im Süddeutschen beisammen haben. Das sind Marko (Lars Eidinger), der Sohn aus Berlin mit dem einzigen Enkel Zowie (Egon Merten), aber ohne seine Frau, von der er getrennt lebt, was die Familie nicht weiß. Das ist der gegenüber lebende Sohn Jakob (Sebastian Zimmler) mit seiner Freundin, der ökonomisch völlig vom Vater abhängig ist, das ist dieser Vater, der Hausherr und Ehemann Günter (Ernst Stötzner) und das ist schließlich seine ans Licht kommende Geliebte Susanne.
Anlaß ist für Gitte, daß sie nach einem Leben mit Tabletten ihrer Depression wegen, diese schon seit zwei Monaten abgesetzt hat und künftig ohne diese leben will und von der Familie als gesund wahrgenommen, vor allem endlich als vollwertig behandelt werden will. Wir erleben Szenen, die jeder kennt. Von daher hat Drehbuchautor etwas ganz Normales aufgeschrieben, wobei der Umgangston der Familie von liebevoll bis streiterfüllt geht. Keine der Personen werden verurteilt oder an den Pranger gestellt, der Autor läßt allen Gerechtigkeit widerfahren, wenngleich die Sympathien der Zuschauer der Mutter gelten, wir auf jeden Fall konnten nicht anders.
Gitte hat keine Chance. Ihr Entschluß der Absetzung der Medikamente hat auch damit zu tun, daß Günter den Verlag, dessentwegen er seit 30 Jahren die Woche in Frankfurt zugebracht hatte und nur am Wochenende zu Hause war, gut verkauft hat, und nun für sein Buch zu „Motiven und Erzählstrategien bei den Assyrern und Sumerern monatelang im Nahen Osten, immer wieder spricht er von Jordanien, recherchieren will. Gitte will mit und nun ihrem Mann eine andere, dem Leben zugewandte Frau sein und selbst endlich glücklich sei.
Für jeden in der Familie ändert sich etwas. Marko unterstützt die Mutter, Sohn Jakob weiß als Zahnarzt mehr über die Wirkungen beim Absetzen von Tabletten und Günter hat ganz andere Pläne für seine Studienreise. Wir sehen erst einmal wie im Kammerspiel, wie jede der Personen nur sich selber sieht und auf dem funktionierenden familiären Hintergrund ein Familienleben abläuft, das für Enkel Zowie eine heile Welt bedeuten muß.
Auf einmal ist Gitte verschwunden. Während sie im Großaufgebot von Polizei gesucht wird, kommen die Schuldgefühle jedes einzelnen bei der gemeinsamen Suche nach Ehefrau und Mutter im Wald, heraus. Schließlich stellt sich heraus, daß Günter seiner Frau die Wahrheit gesagt hatte, daß er sie nicht mitnehmen kann auf die Reise, da er diese mit seiner Geliebten unternimmt, die er seit zwei Jahren hat.
Schnitt. Wir sehen die Familie zu Weihnachten. Statt Gitte steht nun Susanne in der Küche. Äußerlich ist alles beim Alten. Aber die verschwundene Gitte ist ein Grundton, der alles verändert hat. Jakob ist in Schweden, Marko lebt wieder mit seiner Frau. Äußerlich ist alles in Ordnung, innerlich nichts.
Warum man sich mit den seelischen Nöten der Personen befaßt, hat mit der Konzentration zu tun, mit der Drehbuch und Regie dieses Mikrokosmos ablaufen lassen, als ob es nichts anderes gäbe. Das Besondere daran ist die Normalität. Wir haben keine Monster in dieser Familie, keine autoritären Väter, keinen Mißbrauch,alle sind liebevoll zu einander, wenigstens im Umgangston und der leicht aufbrausende Streit zwischen den Brüdern ist normal. Schmid erzeugt mit dieser Normalität dieser Familie die Frage aller, wie man eigentlich leben soll in dieser Welt. Was soll man in Familien offenbaren, was verschweigen? So auf jeden Fall bricht diese Mittelschichtsfamilie auseinander und wird nie wieder heil. Die Krankheit der Mutter ist also durchaus die Metapher für die Krankheit der Familie. Gibt es andere?