Glorious Technicolor – die Retrospektive der Berlinale 2015. Ein Nachschlag

 

Claus Wecker

 

Berlin (Weltexpresso) - Sie ist die Königssektion der Berlinale: die Retrospektive. Dort erholt man sich von manchem schwachen (neuen) Film, dort kann man die eine oder andere filmhistorische Entdeckung machen.

 

Bisweilen knüpft die Retrospektive thematisch an das Vorjahr an. So auch diesmal: Nach ‚Aesthetics of Schadows. Lighting Styles 1915–1950’, dem Rückblick auf den Schwarzweiß-Film im letzten Jahr, ging es diesmal um ‚Glorious Technicolor’, die Geschichte der ‚Technicolor Motion Picture Corporation’, die vor genau hundert Jahren gegründet wurde. Zu sehen waren 31 lange Spielfilme und vier Kurzfilme aus der Zeit von 1922 bis 1953, von den Anfängen bis zur Blütezeit des Farbverfahrens (einige in Original-Technicolor-Kopien).

 

Filme in Technicolor glänzten durch ihren enormen Schauwert, den sie für das an schwarz-weiße Bilder gewohnte Kinopublikum brachten. Die Pracht der gesättigten Farben ist ihr Markenzeichen. Besonders legendär ist das Rot, etwa von den zahlreichen roten Kleidern der Filmdiven oder, um ein Beispiel zu nennen, im Speakeasy, das Gene Kelly in der 'Broadway Rhythm Ballet’-Sequenz von ‚Singin' in the Rain’ (1952) tanzend zu erobern versucht.

 

Um farbige Bilder auf die Leinwand zu bringen, setzte die Firma auf das Teilen und Filtern der Lichtstrahlen. So wurden zuerst jeweils ein grüner und roter Film aufgenommen und auf einen Filmstreifen ‚gedruckt’. Später, in den dreißiger Jahren, entstand mit dem hinzugekommenen Blau ein Farbfilm, der das komplette Spektrum wiedergab.

 

Wie haben nun die Produzenten in Hollywood auf die kostspieligen technische Neuerung reagiert? Sie hielten die exotischen, die historischen oder märchenhaften Stoffe für besonders geeignet. ‚The Toll of the Sea’ aus dem Jahr 1922, eine nach China verlegte ‚Madame Butterfly’-Variation, die, Kosten sparend, in Kalifornien gedreht wurde, gilt als der erste vollständig zweifarbig gedrehte Spielfilm.

 

Der erste Spielfilm im Drei-Farb-Verfahren spielt in einer mexikanischen Musikkneipe. ‚La Cucaracha’ von 1934 ist nur 20 Minuten kurz, die sind dafür sehr amüsant ausgefallen. Und am Ende wartet ein besonderer Gag auf die Zuschauer: das Gesicht eines Mannes, der zuviel Chili gegessen hat, läuft knallrot an. ‚Becky Sharp’ von 1935, der erste abendfüllende Spielfilm in vollem Technicolor, nach Motiven aus William Thackerays ‚Jahrmarkt der Eitelkeiten’ von Rouben Mamoulian inszeniert und ein Fehlschlag an der Kinokasse, lief leider nicht in Berlin.

 

Einfachere Kameras wurden für die Zeichentrickfilme benötigt. Man musste nur die einzelnen Folien mit den entsprechenden Farben anfertigen. Der geschäftstüchtige Walt Disney, der den Wert der Farbe für seine Filme früh erkannte, erhielt einen zweijährigen Exklusiv-Vertrag für seine Animationsfilme. In der Retro wurden der witzige Osterhasen-Kurzfilm ‚Funny Little Bunnies’ (1934) aus der Reihe ‚Silly Symphonies’ und der erste (drei)farbige Langfilm ‚Schneewittchen und die sieben Zwerge’ (1937) gezeigt.

Glanzstücke der Retrospektive waren die Klassiker, die großen Beispiele des Farbfilms à la Hollywood: die beiden Selznick-Produktionen ‚Gone with the Wind’ (Vom Winde verweht, 1939) und ‚Duel in the Sun’(Duell in der Sonne, 1946) mit ihren übersteigert melodramatischen Farbeffekten, der märchenhafte ‚Wizard of Oz’ (Der Zauberer von Oz, 1939) mit der jungen Judy Garland, John Fords Paradewestern ‚She Wore a Yellow Ribbon’ (Der Teufelshauptmann, 1949) mit dem grandiosen Gewitter im Monument Valley und das bereits genannte geniale Musical ‚Singin’ in the Rain’. Auch das hierzulande unbekannte Musical ‚Sweethearts’ (1938) mit der bezaubernden Jeanette MacDonald nimmt auf höchst vergnügliche Art die Broadway- und die Hollywood-Szene aufs Korn; hier dienen die Farben der ironischen Distanzierung.

 

Die Firma Technicolor bestimmte mit eigenen Farbberatern, Kameraleuten, Kostümdesignern und Make-up-Spezialisten die Farbgestaltung, sobald das Drehbuch geschrieben war. Schließlich wurden auch sämtliche Kopien im Hause Technicolor hergestellt. Natalie Kalmus, die erste Frau des Firmengründers Herbert T. Kalmus, war als hochgradiger Kontroll-Freak allgemein gefürchtet.

 

Dagegen haben selbstbewusste Regisseure immer wieder versucht, ihren Einfluss zurückzudrängen. ‚We drove Technicolor crazy’, bemerkte John Huston, der zusammen mit Kameramann Oswald Morris in ‚Moulin Rouge’ (1952) Toulouse-Lautrecs Leben im Stil von dessen Gemälden nachzeichnete (auch dieser Film fehlte in Berlin).

 

Auf dem Weg zu einer naturalistischeren Farbgebung gelten die Briten als wegweisend. David Leans ‚This Happy Breed’ (Wunderbare Zeiten, 1944) und Harold D. Schusters in Irland spielender ‚Wings of the Morning' (Zigeunerprinzessin, 1936), der erste abendfüllende britische Spielfilm in Technicolor, waren Beispiele für einen gemäßigten Einsatz der Farbe. Dass auch hier Technicolor einen wichtigen Anteil hatte, wird gerne unterschlagen. Generell werden die natürlicher wirkenden Farbfilme der Firma Eastman Kodak zugeschrieben, die mit dem vereinfachten Eastmancolor in den fünfziger Jahren die Marktführerschaft übernahm. Doch das ist eine andere Geschichte.

 

INFO:

Zu der Retrospektive ist eine ausführlich bebilderte Dokumentation mit informativen Texten erschienen. ‚Glorious Technicolor’ Hg. von Connie Betz, Rainer Rother, Annika Schäfer, Berlin: Bertz + Fischer, 2015, 180 S., 25 €.