Wer bekommt die Bären? Die Wettbewerbsfilme auf der 62. Berlinale vom 9. bis 19. 2. 2012, 20/25
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – Das gab es auch noch nicht, daß ein ausländisches Ministerium einen Kommentar zu einem Film zur Pressekonferenz in schriftlicher Form auf die Plätze legt. Aus gutem Grund. Es geht um die Mordserie an Roma in Ungarn in den Jahren 2008 und 2009, die der Film CSAK A SZÉL aufgreift, aber nicht in Dokumentarform, sondern als fiktives Spiel.
Denn der Film, dessen tödliches Ende man den ganzen Film über ahnt, weswegen das Schaudern während des sehr stillen und langsamen Filmes zunimmt, endet eben mit dem erneuten Mord an den Personen, die den Film tragen. Im Schreiben des Ministeriums wird dann Bezug genommen auf die Wirklichkeit, nämlich in welcher Weise die ungarische Regierung auf die Mordserie reagiert hat. Man hat nämlich durch intensive Polizeiarbeit die Taten aufklären können und die Mörder verurteilt, sagt die Stellungnahme.
Das ist zwar gut zu hören, aber der Film hat andere, als die Aufklärung der Taten im Sinn. Er ist darauf gerichtet, die Vorurteile und auch Urteile gegenüber den Roma zu benennen. Also die Motive von Menschen, diese andere Menschen, denen sie – denn sie sind ihnen völlig unbekannt – das Leben nehmen, anzusprechen oder wenigstens ahnen zu lassen. Die beiden Polizisten, die die Wache für die potentiellen Mordopfer sein sollen, sind genau diejenigen, die aussprechen, was viele denken: die ‚unwerten’ Zigeuner, diejenigen, die nichts arbeiten, die nur saufen, also auf Kosten der Gesellschaft leben, die kann man umbringen. Es werden hier im Film die Falschen erwischt, meint der Polizist im Film. Das meint die Polizei oder doch besser: ihr Personal.
Im Film wird also der Tagesablauf einer Familie, die in einer Romansiedlung im Wald lebt, für uns erlebbar. Ganz früh morgens muß die Mutter aufstehen, sie fährt zur Arbeit, zur ersten Arbeit, sehen wir dann, denn am Nachmittag putzt sie in der Schule. Dazwischen versorgt sie den alten Vater. Sie wird von einer Roma dargestellt. Das Mädchen ist genauso brav wie die Mutter. Sie steht als nächste auf, versucht auch den Bruder dazu zu bewegen, geht und fährt zur Schule, bekommt in der Schultoilette eine Vergewaltigung mit, die sie reglos mitansieht und den Raum verläßt und auch als sie daraufhin einen Lehrer sieht, den zwar grüßt, aber nichts sagt.
Der Junge, der nicht brave, hat Wichtigeres als Schule zu tun. Er baut sich eine Erdhöhle aus, einen Bunker, in dem er sich vor den Mordattentaten schützen will und deshalb Lebensmittel zusammenklaut, selbst den Kaffee in Mutters Küche, was diese merkt. Er spielt, wo und womit er kann. Die Schwester, die bisher so teilnahmslos durchs Schulleben geht, zeigt sich als liebevolle ältere Schwester eines Kindes der Nachbarschaft und hilft auch deren versoffener und kaputter Mutter als Botin.
Eine Hauptrolle spielt im Film die Landschaft. Da sich alles so sehr langsam entwickelt, mit wenig Ton, ist das Bild umso wichtiger. Wir sehen unaufhörlich unwegsame Wege, über die unsere Protagonisten von zu Hause wegstolpern oder nach Hause zurückkehren. In Schlappen und kaum sicherem Schuhwerk bewegen sie sich ganz unterschiedlich. Die Mutter geht den ganzen Film hindurch gesenkten Kopfes und verbittertem Antlitz unbewegt durch den Film, auf Straßen und Wegen, der Junge spielt beim Laufen, mit allem, was ihm in den Weg kommt und die Tochter hat schon den gesenkten Kopf der Mutter übernommen.
Der Wald bringt seine Doppelseite im Film zum Ausdruck. Er ist schwarz und schweigend in der Nacht und hell und zauberhaft grün des Tags. Aber das helle Grün hilft nicht. Es lauert das Böse auch in der Natur. Der Film aber hat das Böse im Menschen zum Inhalt. Das kann man nicht austreiben, aber Staaten können etwas tun, damit Menschen friedlich zusammenleben. Auf der Pressekonferenz verteilte Stellungnahmen auf jeden Fall reichen nicht.