Wer bekommt die Bären? Die Wettbewerbsfilme auf der 62. Berlinale vom 9. bis 19. 2. 2012, 22/25

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) –Der deutsche Arzt Struensee, der dänische Hof und ein Komplott mit tödlichen Ausgang? Da war doch was, was wir noch in der Schule lernten, heute den Deutschen aber wenig bekannt ist. In Dänemark dagegen weiß das jedes Kind, denn immerhin hat diese königliche Affäre einen Staatsstreich ausgelöst.

 

Darum, so folgerte Regisseur Nikolaj Arcel, ist es mehr als verwunderlich, daß ein solcher ausgewiesener Filmstoff bisher nicht verfilmt wurde. Er auf jeden Fall machte sich ans Werk. Wir selber erinnern uns, daß es in den 50er Jahren einen deutschen Film über Struensee gab, den O.W. Fischer darstellte. Das Erstaunliche ist, daß bei dieser dänischen, tschechischen, deutschen und schwedischen Produktion ein rundherum gelungener Film herausgekommen ist, der sowohl alle geschichtlichen Fragestellungen mit Wahrheit beantwortet, abstrakte Ideen wie die Aufklärung zusammenbringt mit lebendigen Menschen, ein glückvolles Ensemble zusammenbringt, von denen jeder einzelne wie für seine Rolle wie geschaffen scheint.

 

Das gilt in erster Linie für die beiden männlichen Hauptpersonen: König Christian VII. von Dänemark und Johann Friedrich Struensee, als Armenarzt im damals dänischen Hamburg tätig. Wie dieser König als reiner Tor, aber auch als boshafter Mensch, wie er traumbefangen nichts so liebt wie das Theater, aber doch Königsein ausüben muß, das stellt Mikkel Boe Folsgaard mit einer solch umwerfenden Naivität, Selbstsucht, Blödelei her, daß man an seinem Spiel einfach seine Freude hat und seine arme Frau Caroline Mathilde, die er mehr als derb behandelt, einfach bedauern muß.

 

Der einzige, der mit ihm zurechtkommt, ja sein Idol wird, ist dieser Struensee. Mads Mikkelsen, der als Gegenspieler von Daniel Craig in CASINA ROYAL internationale Beachtung fand, ist uns aus vielen Filmen als ausdrucksstarker Schauspieler bekannt. Hier hat er einen Charakter zu spielen, der sich nicht sehr verändert, der aber eine ganz bestimmte virile und Autorität ausstrahlende Präsenz besitzt, die ihn zur den Film beherrschenden Figur macht. Das war auch im wirklichen Leben so und der dänische Hof kam mit der Ankunft des Deutschen, den König Christian gerne den König von Preußen nennt, erst aus dem Tritt, geriet dann auf die schiefe Bahn und wurde mit Hilfe der Prinzipien der Französischen Revolution wieder sattelfest und in Europa führend als Vertreter von Menschenrechten und Bürgerbeteiligung.

 

Im Film erfahren wir alles aus einem Brief, den die ob ihrer Liaison mit Struensee nach Celle verbannte Königin an ihre zwei Kinder, den späteren Frederic VI. und Louise schreibt, den diese aber erst bekommen sollen, wenn sie dafür reif sind. Wie sie aus dem liberalen England kommend, in Dänemark die Restauration kennenlernt, dann den König, der auf abstoßende Weise ein einziges Mal mit ihr schläft – der Sohn -, wie dann Struensee nach Kopenhagen kommt und endlich eine vernünftigere Politik gemacht wird. Denn Caroline verliebt sich nicht nur in den Mann Struensee – die Tochter Louise stammt von ihm -, sondern auch in ihn als Verkörperung der Ideen der Menschenrechte, von Freiheit und Gleichheit.

 

Im Film wird sehr anschaulich entwickelt, wie die persönliche Beziehung und die neue Politik im Staate Dänemark Hand in Hand
gehen. Der König selbst macht seinen Leibarzt zur politischen Führungsfigur und Schlag auf Schlag werden Leibeigenschaft abgeschafft, Folter verboten, Presse- und Meinungsfreiheit erlaubt, das Schulwesen reformiert, vor allem aber die Privilegien des Adels beschnitten. Letzteres kostet Struensee dann in einem Staatsstreich den Kopf. Seine Ideen aber, die setzten sich nach dem ersten Rückschlag mit der Amtführung von Frederic VI. erneut durch, wobei die aus der Französischen Revolution stammenden ökonomischen Eingriffe in die Rechte des Adels noch viel weitergehend waren, als sie Struensee einst gefordert hatte.

 

Das Erstaunliche an diesem Film, der so überzeugend auf der Leinwand wirkt, ist, daß er einerseits kein historischer Kostümfilm ist, obwohl er dauernd Kostüme zeigt, daß er ein richtiger Politkrimi geworden ist, daß er ein schöner und ergreifender Liebesfilm auch noch ist – wir haben die Königin Caroline, der Alicia Vikander ein natürliches, intellektuelles und leidenschaftliches Gesicht gibt, noch nicht gewürdigt - , dem es gelingt eine Melange unterschiedlicher Ansprüche in ästhetische Bilder zu gießen, die man deshalb so genießen kann, weil es auch um die richtige Sache ging, an denen Struensee zu Grunde ging. Insofern ist auch ein solcher Film erneut eine Wiedergutmachung eines historischen Erbes.