PHOENIX von Christian Petzold auf DVD von good!movies/Piffl ab 20. März

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – PHOENIX ist ein Film, der beim zweiten Mal noch spannender wird, als beim ersten Schauen und beim dritten Mal erneut Details zeigt, die die erzählte Geschichte noch runder, noch fundierter,noch sinnlicher macht. Wie wird das erst mit dem vierten und fünften Sehen?

 

Im Ernst. So etwas kann man nur schreiben, wenn einem schon beim ersten Mal der Film unter die Haut geht. Und weil Christian Petzold dramaturgisch sehr geschickt den Film erst einmal ruhig erzählt und dann ein furioses Finale hinlegt, wartet man beim ersten Mal, auf was das Ganze hinausläuft, und weiß ab dem zweiten Sehen, das das Eigentliche, wo der Zuschauer auch Genugtuung erfährt, ganz am Schluß kommt. Darf man das denn schon verraten? Das ist gar nicht nötig, denn die Geschichte ist auch ohne den Schluß eine, die sich durch das Zuschauen selbst erklärt.

 

Man muß allerdings mitdenken beim Schauen und das ist das Zwingende am filmischen Geschehen. Wenn es rätselhaft beginnt und wir Lene (Nina Kunzendorf) und Nelly (Nina Hoss) in einem Auto die Grenze von der Schweiz ins von den Amerikanern besetzte 1945er Deutschland begleiten, wissen wir noch nicht, was passiert ist und auch nicht, was passieren wird, aber das total verbundene Gesicht von Nelly bereitet uns auf etwas Verborgenes vor, was nicht Schicht auf Schicht abgetragen, sondern in einer skurrilen Szene enthüllt wird: ihr Gesicht mußte durch plastische Chirurgie wiederhergestellt werden und die Frage, wie sie aussehen möchte, haut nicht nur die Hauptdarstellerin um.

 

Für sie selbst ist das klar, sie möchte aussehen wie sie selbst, nämlich, wie sie war. Der Arzt allerdings schlägt ihr gewohnheitsmäßig die beliebten weiblichen Gesichtszüge vor, nämlich die von Zarah Leander und Kristina Söderbaum, bis ihm einfällt, daß die NS-Zeiten vorbei sind und damit deren Gesichter auch. Schon witzig übrigens, daß die beliebtesten Schauspielerinnen der Nazis Schwedinnen waren, letztere mit Veit Harlan verheiratet. Das aber nur nebenbei. Das Wichtige ist, das Gesicht als veränderbare Identität zu betrachten. Dabei entsteht Identität im Inneren eines Menschen, das vom Äußeren zwar gestützt werden kann, sicher aber nicht konstituiert werden kann.

 

Betrachtet man die erst einmal hilflose Situation von Lene auf der Suche nach ihrem Gesicht als Suche nach ihrem alten Selbst, so gewinnt der Anfang des Films eine tiefere Bedeutung, in dem sie zwanzig Minuten lang überhaupt kein Gesicht hat. Tatsächlich ist sie ein Niemand. Noch lange verfolgt uns im Film die Heilung der OP-Wunden, bis sich nach und nach das Gesicht herausschält, das die meisten für Nellys halten, nur zwei Personen nicht: sie selbst und ihr Mann Johnny (Ronald Zehrfeld). Und weil wir nicht alles der Reihe nach erzählen wollen und können, was der Film durch ein Hin und Her rätselhaft, aber durchschaubar macht, hier die Geschichte in Kurzform.

 

Nelly ist Jüdin. Eigentlich ist sie gar keine in ihrem eigenen Verständnis, aber die Nazis machten sie zu einer und sie gehört zu den wenigen, die Auschwitz überlebte. Sie selbst glaubt, daß sie durch ein Hausmeisterehepaar verraten wurde, doch Lene, ihre treue Freundin, die in der Schweiz überlebt hatte und für die Aufarbeitung der NS-Verbrechen arbeitet, und mit ihr nach Israel übersiedeln will, muß ihr nicht nur mitteilen, daß Nellys ganze Familie ermordet wurde, sie dadurch als Erbin nun sehr reich ist, sondern daß ihr eigener und geliebter Mann Johnny der Verräter war, der sich zudem noch rasch von ihr hatte vorsorglich scheiden lassen.

 

Was den Film nun vorwärtstreibt und uns intensiv dabeibehält ist der Prozeß, in dem Nelly nicht glauben darf, daß ihr eigener Mann der Feind ist, sondern sie ihn sehr sehr lange dazu braucht, daß er ihr altes Selbst wiederherstellen hilft. Es kommt nämlich zu einer aberwitzigen Situation. Nelly spürt Johnny auf, der sie jedoch nicht erkennt, wohl aber eine vage Ähnlichkeit mit seiner in Auschwitz verbrannten Frau verspürt. Er kann sich gar nichts anderes vorstellen, als daß Nelly tot sein muß. Als er die Ähnlichkeit sieht, reift sofort der Plan in ihm, diese Frau vor ihm zu seiner alten Nelly zu machen, dann nämlich kann er sie als die Erbin ausgeben und mit ihr das dicke Erbe teilen.

 

Wie lange Nelly nun ihre Hoffnung aufrechterhält, er möge sie erkennen, solch Hoffen kann nur aus Liebe entstehen: „Wenn er mich erkennt , dann liebt er mich noch!“ Aber auch Liebe führt irgendwann zum eigenen Erkennen – und wie Christian Petzold das Erkennen inszeniert, ihr Erkennen seines miesen Charakters und seiner mangelnden Liebe etwas früher als sein Erkennen, daß diese, von ihm zur Nelly gemachte Frau die wirkliche Nelly ist, gehört zu den tollsten Szenen der Filmgeschichte. Großes Kino.

 

 

INFO:

 

PHOENIX, ein Film von Christian Petzold, DVD und Blu-Ray von good!movies/Piffl, Special Edition mit Nina Hoss, Ronald Zehrfeld, Nina Kunzendorf u.a., 2014, 97' Film und Extras

Ab 20. März!!

 

Zur DVD Special Edition

 

Daß Christian Petzold seinen Film dem Hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer gewidmet hat, finden wir gut, finden wir passend, hätten aber gerne zum Beispiel bei den EXTRAS der DVD mehr dazu gehört. Mit dem Vorgefundenen in dieser Edition sind wir ansonsten aber sehr zufrieden.Von den Dreharbeiten erfahren wir sehr kluge Gedanken über ihre Rolle von Nina Hoss, auch Ronald Zehrfeld hat viel beizutragen, natürlich kommen die entscheidenden Passagen vom Regisseur Christian Petzold, der auch seine eigene Jugend heranzieht, um die Frage nach dem Gestern und vor allem der Situation 1945 lebendig zu halten. Sehr gut, daß man das im Begleitheft auch noch einmal nachlesen kann.

 

Dann haben wir gestaunt, daß das Nachkriegstrümmerberlin in Polen entstand, in Legrica. Solche Hintergrundinformationen locken uns immer sehr, uns stärker noch mit dem Drehen zu beschäftigen. Ansonsten kann man Trailer der bisherigen Filme Petzolds sehen, die ausführliche Besetzungsliste und natürlich auch die Blindenhilfe aktivieren.