Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 2. April 2015

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Das ist ein interessanter Vorgang, wenn man nach dem Sehen eines Filmes eine Kritik geschrieben hat, der Film aber erst nach fast zwei Monaten in die Kinos kommt und man dann erneut eine Rezension verfaßt. Was bleibt von der Erinnerung an einen Film? Und wie stark stimmt sie überein mit der Erstkritik, die wir erst nach der zweiten wiederlesen?

 

Eigentlich ist es die Leere, die überdauert. Die große Leinwand hatte uns so oft nur Landschaft oder den Blick vom Inneren hinaus gezeigt. Ein großes Freiheitsbedürfnis ahnt man und die Dichotomie von drinnen und draußen. Das ist erst einmal nur räumlich gemeint. Denn ein Haus, ein Zimmer, ist eine Burg, abgeschlossen und von daher sicher und auch gemütlich, wenn man, wie die Mutter am Kamin sitzt und ein Buch liest. Aber ein Haus ist auch eine Fessel, etwas, was einengt und klein macht. Und schon sind wir bei der eigentlichen Dichotomie, Ambivalenz wäre das falsche Wort, aber um zwei Seiten geht es allemal, um die zwei Seelen in einer Brust beispielsweise.

 

Zuvörderst ist die Brust des Helden Tomas gefragt, dem James Franco ein so stilles Gesicht gibt. Da ist wenig, was wir in ihm lesen können. Und wer denselben Darsteller gerade – wie auf der Berlinale, wo beide Filme im Wettbewerb dicht hintereinander liefen – in erotisch aufgeladener Zweisamkeit mit Nicole Kidmann, natürlich mit ihrer Verkörperung der Queen OF THE DESERT gesehen hat, glaubt es einfach nicht, daß dieser in sich Gekehrte hier bei Wim Wenders derselbe Mensch sein soll. Aus dem viril aufgeladenen, charmanten, ja ironisch-verführerischen Liebhaber ist hier ein – ja, sagen wir es – ein Autist geworden. Ein Autist auch sich selbst gegenüber, der nicht mal die Stimme im eigenen Kopf und Körper hört, noch ihr nachgeht.

 

Höchste Zeit, die Geschichte zu erzählen, die zwar tragisch ist, aber im Film kein anderes Drama auslöst, als daß einer seiner Haut entkommen möchte, aber es nicht kann, sehr lange nicht kann, Zukunft nicht ausgeschlossen. Da fährt also ein junger Mann mit dem Auto durch die verschneite Gegend, sieht aus dem Augenwinkel einen Schatten auf das Auto zufliegen, Vollbremsung, er spürt noch etwas unter den Rädern, stürmt nach draußen und zieht erleichtert einen sechsjährigen Knaben heil unter seinem Auto hervor, der auf dem Schlitten den Hügel hinuntergeglitten war.

 

Das Folgende gehört zu den Schockern der Filmgeschichte, wenn man die Geschichte nicht vorher kennt. Denn nach der Erleichterung des Fahrers, daß dem Jungen in der einsamen Gegend nichts passiert ist, bringt er ihn zum alleinstehenden Haus in Sichtnähe und erst als die in die Türe tretende Mutter ihren Sohn nach dem zweiten, dem Kleinen fragt, dämmert es dem Fahrer und dem Zuschauer, daß es ein großes, ein nicht wieder gut zu machendes Unglück ist, dem wir beiwohnen.

 

Damit ist die Geschichte eigentlich erzählt. Denn daß man nicht heilen Sinnes als Fahrer – und sei man auch noch so unschuldig, was man nie ist, weil Autofahren eben die volle Aufmerksamkeit erfordert, die man selten gewährt, weil die eigenen Gedanken im Kopf um einen selber kreisen – den Tod eines kleinen Jungen verwindet, ist genauso gültig, wie der bodenlose Schmerz der Mutter, die sich schilt, bei dem Wetter den kleinen Bruder dem großen anvertraut zu haben, der doch selbst noch ein Kind ist. Dieser nun wiederum wird sich sehr viel später fragen, warum er schwieg, als der Fremde ihn unter dem Auto hervorholte. Auch, wenn das nichts mehr geändert hätte.

 

Eine multidepressive Situation also, auf die wir nicht weiter eingehen wollen, sondern auf unsere Berlinalekritik (Link unten) verweisen und uns lieber noch stärker mit der Machart des Films in 3 D beschäftigen wollen. Daß 3 D räumliches Sehen auf der flachen Leinwand ermöglicht, diese Erfahrung hat bestimmt inzwischen jeder Kinofan gemacht. Allerdings trumpften die 3Dler erst einmal mit den Sensationen auf, die den Kinosessel zu einem gefährlichen Ort machten, da alleweil irgendein Ding von der Leinwand her auf einen zuflog, wirklich um die Ohren flog, so daß man – man konnte gar nicht anders – unwillkürlich den Kopf einzog, um nicht getroffen zu werden. Von solchen Scherzen ist Wim Wenders Film gänzlich frei. Ja, es hat sogar Besucher des Films gegeben, die gar nicht bemerkten, daß hier eine 3 D Fassung vorliegt, auch wenn sie die nötige Brille ordentlich aufgesetzt hatten.

 

Wim Wenders benutzt 3D nicht spektakulär, nach vorne gewandt, sondern eher als räumliche Distanzierung im Bild selbst, nach innen, nach hinten also. Es scheinen die Figuren abgekapselt in sich zu agieren. Das paßt zur Geschichte und auf einmal weiß man gar nicht mehr, was man sieht, ob die Empfindung aus der Narration kommt oder dem, was uns die Leinwand als sinnliche Erfahrung überläßt. Es kann gut sein, daß man, wenn man der Geschichte zu stark verfällt und sich in die Figuren, ihre Konstellationen und Handlungen vertieft, tief enttäuscht das Kino verläßt. Man hat zu wenig psychologische Raffinesse gesehen, die Figur des Franco verändert sich zwar leicht, aber doch zu wenig, um als Erzählung ernst genommen zu werden.

 

Die Mutter der Charlotte Gainsborough, die anfangs eine große Rolle spielt, wird liegen gelassen und man fragt sich, welche Rolle ihr anfängliches Interesse an Tomas eigentlich spielte. Das kommt nicht von innen, von einem starken Druck der Personen, sondern wirkt willkürlich und deshalb auch stark konstruiert. Auch die Anfangsfreundin und die neue Beziehungen sind eher zufällig und haben nichts Zwingendes. Aber, so sagen wir uns, wir sehen diese Fragen mit den Augen des.Hauptdarstellers, also mit den Augen eines von uns einfach Autisten Genannten, der ja gar nicht anders kann, als wenig Äußeres und wenig Spezifisches wahrzunehmen.

 

Dieser inhaltliche Ansatz in Verbindung mit 3 D, müßte uns der nicht zur Einschätzung von etwas Besonderem bringen, zur Einschätzung, daß EVERY THING WILL BE FINDE ein großer Film sei? Für uns leider nicht.

 

 

INFO:

 

R: Wim Wenders

Deutschland, Kanada, Frankreich, Schweden, Norwegen 2015

Englisch, 118'

D: James Franco, Charlotte Gainsbourg, Rachel McAdams, Marie-Josée Croze, Robert Naylor, Patrick Bauchau, Peter Stormare

 

Unsere Berlinalekritik 

 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/kino/4221-every-thing-will-be-fine