Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 23. April 2015, Teil 1
Hanswerner Kruse
Berlin (Weltexpresso) – „A Girl Walks Home Alone At Night “ wird als erster iranischer Vampirfilm angepriesen, der noch dazu auch das Genre Horrorfilm bedienten soll. Das großartige Werk ist jedoch eher ein surrealistisches Traum- und Liebesspiel als „eine Symphonie des Grauens.“
Ein namenloses Mädchen rollt im flatternden Tschador auf ihrem Skateboard durch die nächtlichen Straßen einer düsteren Stadt. Diese melancholische Vampirin trifft auf Arash, der reglos eine Laterne wie den Mond anglotzt. Verkleidet als Graf Dracula hat er sich - ausnahmsweise völlig mit Drogen zugedröhnt - nach einem Kostümfest verirrt. Irgendwann nimmt er die frierende Unbekannte in seine Arme und meint: „Ich bin ein Vampir, aber Du musst keine Angst vor mir haben...“ Die Situation wirkt so grotesk, weil wir Zuschauer wissen, dass die Fremde bereits einigen Menschen das Blut ausgesaugt hat. Auf ihrem Skateboard schiebt sie Arash zu sich nach Hause, denn der kann nicht mehr laufen. Dort hören sie gemeinsam eine Rockballade, tanzen dazu endlos lange in Zeitlupe...
Der in schwarz-weiß gedrehte Film ist nicht wirklich ein Vampirfilm, seine eigentlich schlichte Geschichte schnell erzählt: Arash (Arash Marandi) muss seinen geliebten Ford Thunderbird dem Dealer Saeed (Dominic Rains) überlassen, weil sein drogensüchtiger Vater bei diesem hoch verschuldet ist. Das Mädchen (Sheila Vand) tötet nur böse Menschen, auch den sadistischen Saeed, als sie und Arash sich noch gar nicht kennen. Durch dessen Tod bekommt er sein Luxusauto zurück und eine Menge Drogen, mit denen er dealen kann. Bald nachdem sich die Beiden begegnen, will er mit ihr „Bad City“ verlassen: „Aber ich habe so böse Dinge getan“, sagt das Mädchen. „Ich auch“, entgegnet Arash.
Der fast ausschließlich des Nachts gedrehte Film entfaltet seine Magie durch die großartig gestalteten Bilder in und neben einer Industrielandschaft. Im Wechsel vor der Totalen eines Ölfeldes oder zwischen Nahaufnahmen von seltsamen Maschinen agieren einsame und traurige Figuren, die ihrer Bestimmung nachgehen: Der Drogensüchtige. Die Hure. Der Dealer. Das Kind. Arash und seine Unbekannte können sich vielleicht aus ihren Rollen in diesem Zwischenreich lösen und woanders leben.
Die junge iranischstämmige in den USA lebende Regisseurin Ana Lily Amirpour erlaubte sich, mit der Kamera in der Hand zu träumen: „Ich fand eine trostlose Ölstadt in der Wüste Kaliforniens, die zur fiktiven iranischen Geisterstadt ‚Bad City’ wurde, und plötzlich gab es keine Regeln mehr. Ich habe mein eigenes Universum geschaffen und dort die Regeln selbst gemacht.“ Amirpour gestaltet expressionistische Bilder wie F. W. Murnau in „Nosferatu“ (1922) und nutzt iranisch-amerikanische Rockmusik als essentiellen Bestandteil des Films, ähnlich wie Jim Jarmusch die Musik in seinem Vampirfilm „Only Lovers Left Alive“ (2013). Die Geschichte wird nicht stringent erzählt sondern mit eher assoziativen Tableaus ausgebreitet, die keine eindeutigen Interpretationen zulassen: Ist der Film einfach nur eine Liebesgeschichte? Haben Liebende in „Bad City“ keinen Platz? Macht die iranische Gesellschaft Menschen böse? Gewiss ist der sehenswerte Film voller cineastischer Zitate und politischer Anspielungen. Doch die muss man nicht entschlüsseln, um sich von diesem visuellen Meisterwerk berühren zu lassen.
Das einzig Ärgerliche sind die wenigen, vom persischen Farsi (mit Untertiteln) ins Deutsche synchronisierten Dialoge. Das nimmt dem Film etwas von seiner eigenartigen Fremde und wirkt so, als würde der Verleih Amirpours Bildern nicht trauen.
INFO:
„A Girl Walks Home Alone At Night“, USA (2014), 99 Minuten, ab 23. April im Kino,
Regie Ana Lily Amirpour mit Sheila Vand, Arash Marandi, Dominic Rains und anderen.
FOTOs
© capelight pictures 2004-2015 Titel und „Nächtliche Begegnungen mit dem namenlosen Vampir-Mädchen“