GoEast: 15. Festival des mittel- und osteuropäischen Films, von Freitag, 24., bis Mittwoch, 29. April in Wiesbaden,   Teil 8

Kirsten Liese

 

Wiesbaden (Weltexpresso) - Es ist einige Zeit her, dass die ehemals jugoslawischen Länder cineastische Meisterwerke hervorbrachten. Die international bekanntesten Vertreter sind wohl immer noch die beiden Serben Emir Kusturica und Miki Manoljevic. Umso stärkere Beachtung verdiente in Wiesbaden die kroatisch-slowenische Koproduktion „The Reaper- Der Sensenmann“.

 

Sie überragte den Spielfilmwettbewerb. Landschaften, die in ihrer Einsamkeit an den amerikanischen Maler Edward Hopper erinnern, und sehr subtile zwischenmenschliche Begegnungen zeichnen den „Sensemann“ aus.

 

Unheimlich wie ein Thriller setzt er ein, nachts, auf einer verlassenen Straße. Eine Frau hat eine Autopanne, ihr ist das Benzin ausgegangen. Ivo, ein Traktorfahrer, der zur späten Stunde noch arbeitet, zeigt sich bereit, ihr zu helfen. Er fährt mit ihr zu einer Tankstelle, wo sie erfährt, dass Ivo einmal zum Vergewaltiger wurde, wenn auch vor 20 Jahren. Das mulmige Gefühl wächst, als die Frau trotz ihrer Todesangst wieder auf den Traktor steigt und nicht bemerkt, dass er ihren Autoschlüssel entwendet hat, erst später stellt sich heraus, dass die Sehnsucht nach menschlicher Wärme den vereinsamten Mann dazu bewogen hat.

 

Dass der Regisseur dieses Film, Zvonimir Juric, bei der Preisverleihung leer ausging, wirkt so gesehen erstaunlich.

 

Allerdings bewegte sich der Wettbewerb insgesamt auf einem hohen Niveau, und gleich mehrere sehenswerte Produktionen kamen aus Serbien und Kroatien, darunter auch zwei der Preisträgerfilme.

 

Niemandskind“ von Vuk Ršumović, die Kaspar-Hauser-Geschichte eines Jungen, der von Jägern in den bosnischen Wäldern gefunden wurde, gewann in Wiesbaden den Preis für den Besten Film. Pućke ist ohne Kontakt zu Menschen unter Wölfen aufgewachsen. Vehement sträubt er sich gegen die Bemühungen der Erzieher, ihn zu zivilisieren. Er muss lernen, aufrecht zu gehen, sich Schuhe zu binden, zu sprechen und mit Besteck zu essen. - Szenen, die unweigerlich an das französische Drama „Die Sprache des Herzens“ von Jean-Pierre Améris erinnern, in dem eine altruistische Nonne ein taubstummes 14-jähriges wildes Mädchen sozialisiert. Im Gegensatz zu ihr macht Pućke jedoch nur schlecht Erfahrungen. Alle Bezugspersonen, zu denen er ein wenig Vertrauen aufbaut, lassen ihn eines Tages im Stich, zu guter Letzt landet er 1992 in den Wirren eines Bürgerkriegs. Als Kämpfer an der Front wird er auf absurde Weise in der so genannten Zivilisation wieder zum Wilden.

 

Ein wenig überbewertet erscheint der mit dem Regiepreis der Landeshauptstadt Wiesbaden und dem Fipresci-Kritikerpreis ausgezeichnete slowakisch-tschechische Beitrag „Koza“, eine minimalistische, leise Studie über einen Profi-Boxer, der über seine zurückliegenden sportlichen Erfolge zu einem Wrack geworden ist. Wachsende gesundheitliche Probleme machen ihm zu schaffen, er erlebt nur noch Niederlagen. Trotzdem kehrt er immer wieder in den Ring zurück, um das nötige Geld aufzubringen, das seine Freundin für eine Abtreibung braucht. Viel lieber würde er gerne Vater werden. Ivan Ostrochovsky erzählt diese absurde Geschichte mit kontrastreichen Bildern von Melancholie und Härte. Aber die Szenen wiederholen sich, die auf 75 Minuten gestreckte Geschichte hätte auch einen Kurzfilm getragen.

 

Im Dokumentarfilmwettbewerb fand Želimir Žilniks „Logbook Serbistan“ große Aufmerksamkeit, ein Pamphlet gegen die restriktive europäische Einwanderungspolitik. Er gewann den Preis des Auswärtigen Amtes für kulturelle Vielfalt.

 

Der Leiter eines Asylbewerberheims in einer serbischen Kleinstadt behandelt die Flüchtlinge etwas schroff, die Ansprüche und Einschätzungen einiger Migranten stimmen allerdings auch nachdenklich: So unterstellt etwa ein Schwarzafrikaner den reichen Industriestaaten, sie würden den Ebola-Virus nur bekämpfen, um die hohen Flüchtlingszahlen zu minimieren. Er hält es für erstrebenswerter, sich eine Zukunft in Westeuropa aufzubauen, als daran zu arbeiten, dass das Leben in seiner Heimat lebenswerter wird.

 

Mit solchen diskussionswerten Beiträgen hat sich das Wiesbadener GoEast weiter politisiert. Seine Bedeutung wächst damit in der Festivalszene.

 

Foto: aus Der Sensenmann