Die angelaufenen Filme in deutschen Kinos vom 21. Mai 2015, Teil 1
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Selten waren wir auf einen Film so gespannt und dann so enttäuscht, wie über diese Verfilmung des DER ENGEL MIT DEN EISAUGEN genannten spektakulären Mordfalls an der englischen Studentin Meredith Kercher am 2. November in Perugia, der durch die Anklage der amerikanischen Studentin Amanda Knox und ihres italienischen Freundes dann für Jahre unglaubliche Verhältnisse der italienischen Justiz offenbarten.
Enttäuscht deshalb, weil es in diesem Film um den Mordfall und die ewige Frage nach der Täterschaft gar nicht geht. Dazu gleich mehr. Denn wir finden, daß der hier nur im Hintergrund schwelende Fall der Amanda Knox, der zu regelrechten Gerichtstribunalen wurde, in denen die jeweiligen Gerichte sich eifersüchtig beharkten, es wert ist, vor der Kenntnis des Films auf den neuesten Stand gebracht werden. Also: der Fall ist beendet. Der sich seit dem Jahr 2007 hinziehende Fall, über den Weltexpresso in gleich acht Artikel seit dem Mai 2013 berichteten – unten als Link -, hat mit der abschließenden Entscheidung des höchsten Gerichts Italiens im nunmehr fünften Prozeß am 28. März 2015 zum Freispruch für Amanda Knox und Raffaele Sollecito geführt. Und da wir uns zwangsläufig sehr mit der Beweislage beschäftigen mußten, glauben wir, daß dies keine Fehlentscheidung ist, aber alles rätselhaft bleibt.
Wahrscheinlich war also Regisseur Michael Winterbottom gut beraten, gar nicht den Fall selbst filmisch zu einer Zeit zu behandeln, wo der Fall nicht abgeschlossen war – so sehr das nun wirklich spannend wäre – sondern in quasi postmoderner Manier diesen Mordfall vor Gericht für einen Film vorzubereiten lassen, wozu ein Drehbuch gehört, das der Held und zukünftige Regisseur des Films Thomas Lang (Daniel Brühl) nun in Siena schreiben will und soll. Damit er sich besser zurechtfindet, hat er Kontakt aufgenommen zur Journalistin Simone Ford (Kate Beckinsale), die seit Jahren diese Mordprozesse begleitet. Aus Perugia wurde also Siena, aus den wirklichen Namen von Opfer und potentiellen Tätern Phantasienamen. Das geschieht aus rechtlichen Gründen.
Und nun kommt es, worum es im Film geht. Wie kann sich jemand, der hinzukommt und in eine Reporterclique gerät, wo sich seit Jahren in den immer neuen Prozessen die Journalisten längst gut kennen und eine eigene Subkultur entwickelt haben, zwischen Männer und Frauen, zwischen den Leitartiklern und den kleinen Schreiberlingen, zwischen der internationalen Presse, vor allem amerikanische, und den lokalen Reportern, wie kann sich also Thomas Lang im Dickicht der Wahrheitssucher die Wahrheit verschaffen? Denn die – seine Wahrheit - braucht er, um einen Film über das Geschehen zu drehen. Letztlich ist der Film eine Reflexion über das Filmemachen, wenn sie die Wirklichkeit zum Ausgangspunkt für den Film nimmt und nicht gleich fiktiv wird. Und genau dies macht uns Winterbottom dann auch vor, weil er ja aus dem wirklichen Fall sozusagen einen fiktiven macht.
Das geht schief. Für uns gründlich. Das vorhandene Dilemma des Thomas Lang kann uns Daniel Brühl einfach nicht interessant genug machen, weil ihm der Regisseur dazu zu viele traditionelle Mittel an die Hand gibt, die nicht fesseln. Natürlich sollen wieder die Frauen ran und so findet sich Thomas Lang auf seiner Wahrheitssuche, die ja zu einer Sinnsuche für sich selbst und sein eigenes Leben und Existieren wird, nicht nur mit der rationalen Journalistin in erotischer Zwischenlage, sondern mit Melanie (Cara Delevingne) taucht dann eine junge Studentin auf, die dem Film und dem Thomas Lang eine ganz neue Wendung gibt. Dabei, die Ausgangslage gilt es zu bedenken, ist dieser Thomas Lang ja total verunsichert nach Siena gekommen, denn seine Frau hat ihn wegen eines anderen Mannes sitzen lassen und in ständigen Gesprächen über Skype mit seiner kleinen Tochter wird diese Wunde ständig vertieft, kann nicht heilen.
Das ist uns zu viel - schon von Thomas Lang persönliche eingebrachte - Düsternis und Verwirrtheit, wo doch der Mordfall kompliziert und verwirrend genug ist. Deshalb ist das Abrutschen des Thomas Lang in eine mentale Zwischenwelt erst recht gegeben, wenn der Filmemacher sich dann noch auf die ganzen Experten einläßt, die behaupten, die Wahrheit herausgefunden zu haben, wie dieser italienische Blogger, den er nicht mehr loswird. Und dann kommt auch noch Dante ins Spiel. Seine GÖTTLICHE KOMÖDIE und sein Leben sollen auf einmal auch noch den Film, den Thomas und den Fall strukturieren?!
Schluß. Zuviele Metaebenen verderben den Brei. Und daß junge Studentinnen frischen Wind bringen, das wollen wir hoffen. Aber den Rest müssen mittelalterliche mürbe Männer schon selber bringen.
INFO:
Lesen Sie
Douglas Preston, Mario Spezi, Die Bestie von Florenz, Knaur 2010
Douglas Preston, Mario Spezi, Der Engel mit den Eisaugen, Knaur 2013
Amanda Knox, Zeit, gehört zu werden, Droemer Verlag 2013
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