Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 2. Juli 2015, Teil 4
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wußten wir doch, daß wir auf Geschmacksfragen zurückkommen müssen. Diesmal gilt aber nicht der Geschmack, daß einem der eine Film mehr liegt als ein andere, sondern echte Geschmacksfragen, Dinge also, die unter die Gürtellinie gehen oder in der Fäkalsprache einfach ordinär daherkommen. Beides bestimmt diesen Film, aber es hat in ihm seine grundlegende Funktion. Tolles Ding.
Man weiß gar nicht wo anfangen, denn der Begriff 'unter die Gürtellinie' erzwingt fast, sofort auf Elias zu sprechen zu kommen, den ein nicht wiederzuerkennender Mads Mikkelsen als den sexkranken schrägen Helden spielt, der er ist, denn er muß, das ist genetisch disponiert, alleweil, also mehrmals täglich Samen ablassen, weshalb dieser seine eine Hand ständig unter der Gürtellinie bewegt, falls er gerade wieder loslegen muß, denn der Trieb überkommt ihn wie die Rammler, wie die nach den rammelnden Kaninchen heißen, wobei unser Elias aber immer selbst Hand anlegen muß, denn eigentlich ist der Dauermasturbierende eine Jungfrau.
Oder war das der andere Bruder? Fangen wir lieber von vorne an. Das Presseheft gibt Hilfe, wenn es statt vieler Worte einfach eine Ahnengalerie präsentiert, wo unsere insgesamt fünf Brüder neben Elias noch Gabriel (David Dencik), Gregor (Nikolaj Lie Kaas), Franz (Soren Malling) und Josef (Nicolas Bro) im Porträt verewigt sind. Ihnen ist ein Hahn beigesellt und damit ist die grundlegende Geschichte schon angedeutet. Es geht schlicht darum, was passiert, wenn ein Mensch sich mit einem Tier paart. Als uns eben dies Wort so schwer in die Finger kam, schauten wir nach und fanden als Alternativen: begatten, bespringen, besteigen, decken, koitieren, kopulieren, sich hingeben, sich lieben, sich begatten, beschlagen, beschälen, ranzen, rollen, treten oder auch sich zusammenfügen, beiwohnen. Sag noch einer, die deutsche Sprache sei nicht vielfältig auch in diesem Bereich.
Auf jeden Fall sind die Söhne allesamt Produkte eines wissenschaftlich forschenden Vaters, der das Reagenzglas bemühte bei der Produktion seiner Söhne, die jeweils eine andere Mutter hatten, die bei der Geburt verstarb, wie es offiziell hieß. Der genetisch forschende, gleichzeitig praktizierende und schon uralte Evilio Thanos – wer müßte da nicht gleich an Marvel's THE AVENGERS und auch Thanatos, den griechischen Totengott denken – lebt auf der menschenleeren Insel Ork. Wichtig wird das für Gabriel erst einmal, als sein vermeintlicher Vater stirbt und er mit Bruder Elias den posthumen Brief an die Brüder liest. Denn er ist nicht der leibliche Vater und nennt nun den Brüdern, die ebenfalls nur Halbbrüder sind, den eigentlichen Vater beider.
Man kommt schon hier aus dem Staunen und auch dem Lachen, oft gegen eigenen Willen, nicht heraus, wie der dänische Regisseur Anders Thomas, spätestens seit ADAMS ÄPFEL für artifiziell Schräges bekannt, hier jedem der Brüder ein eigenes Gesicht, nämlich unheimliche Physiognomien anschminkt, die alle in einer Hasenscharte die Verwandtschaft zeigen, einen eigenen Charakter, eine eigene Körperverfassung, eine eigene Kostümierung, jeder der fünf ist so eigenartig und auffällig, daß es eine Freude ist, wenn sie bloß nicht so häßlich wären. Aber das ist dann wieder das Gemeinsame dieser Ungleichen.
Es bleibt aber beileibe nicht bei Äußerlichem. Allein, wie subtil dieser des Akademischen überdrüssige Gabriel gezeigt wird, der an der Universität ausgerechnet Evolutionspsychologie (was ist das?) und Philosophie lehrt. Man kennt diese ausgebrannten Typen, die vom Leben mal was wollten, zu wenig bekamen und nun hoffnungslos abgehängt dem Leben, das sie nicht lebten und leben, hinterherweinen – gepaart mit einem Überdruß, sich für dieses ewige Kind, seinen Bruder Elias lebenslang verantwortlich zu fühlen, verantwortlich zu sein. Los des Älteren.
Jede der Rollen ist so was von schräg und trotzdem bleibt die Paraderolle die des Elias. Aber das müssen Sie selber sehen. Beschreiben ist viel zu wenig. Erzählen wir lieber kurz die Geschichte. Denn nach dem Brief des Verstorbenen müssen die Brüder einfach ihren Erzeuger kennenlernen und fahren los. Und schon die Fahrt ist eines eigenen Filmes wert, vor allem ihr Ankommen auf der Insel, was nur noch Übertroffen wird, durch den Empfang, der ihnen bereitet wird und den sie gerade mal so überleben.
Denn bis die fünf eine verschworene Gemeinschaft von fünf Brüdern werden – ja, sie werden es, wenn auch immer wieder Koalitionen einzelne ausgrenzen – ist erst einmal Kampf angesagt. Das wird schon sehr klamottig, was da abgeht, aber es ist bei aller existentiellen Not und deren pragmatischer Befriedigung der drei angetroffenen Brüder auch immer wieder anrührend, wenn klar wird, daß hier Kindern und Heranwachsenden die natürlichen Bedürfnisse nach Nähe und Liebe einfach nicht gegeben wurden, was in tiefer Sehnsucht nach einer Mutter und überhaupt auch einer Frau gipfelt, aber in Gewalt zum Ausdruck gebracht wird.
Und da sind da noch die Tiere, die Lebens- und Familienersatz der Brüder sind, die ihren Vater versorgen, den die angekommenen zwei weiteren Brüder nun endlich kennenlernen wollen. Das tun sie auch, aber danach ist nichts mehr wie vorher und der eigentliche Film im Film beginnt und das ist so gewaltig, was da abgeht, daß Schweigen angesagt ist.
In diesem Film wird gefressen, gerülpst, gefurzt, geschissen, gekotzt, gehurt...und was einem noch so alles dazu einfällt, also genau das, was gegen den guten Geschmack und uns persönlich wirklich gegen den Strich geht. Eigentlich. Denn hier, in MEN & CHICKEN hat das alles eine dramaturgische, eine Lebensfunktion. Ein großer Spaß, herrliche Schauspieler in unglaublichen Szenen, aber unterfüttert von einem großen Schrecken, was Wissenschaft und das Verändern von Genen mit Menschen machen kann.
Foto:
Im Bild die beiden bei uns bekanntesten Schauspieler der Films. Rechts - wirklich kaum wiederzuerkennen - Mads Mikkelsen als sexsüchtiger Elias und Nikolaj Lie Kaas als nicht minder behindeter Bruder Gregor.