Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 23. Juli 2015, Teil 1

Hanswerner Kruse

Berlin (Weltexpresso) - Jafar Panahis Film „Taxi Teheran“ gewann bei der Berlinale 2015 den Hauptpreis. Das cineastische Meisterwerk zeigt auf eigenwillige Weise das Leben der Menschen in Teheran, der Heimatstadt des iranischen Regisseurs. Jetzt kommt der Film in die Kinos.

 

Ein schwer verletzter Mann wird zum Krankenhaus gefahren. In das Smartphone des Taxifahrers stammelt er sein Testament. Wird er überleben? Ein mieser Typ schwadroniert über die Todesstrafe für Diebe. Zwei alte Damen lassen die Droschke quer durch die Stadt rasen. Ihr Goldfisch soll zu einer bestimmten Zeit in der Quelle eines Flusses schwimmen. Sonst müssen die abergläubischen Frauen sterben. Der illegale DVD-Händler erkennt den Chauffeur: „Du bist doch Panahi, das hier sind ja Dreharbeiten...“

 

Tatsächlich ist es Jafar Panahi (55), der iranische, mit Hausarrest und Berufsverbot belegte Filmemacher, der mit einem Taxi durch Teheran fährt und Fahrgäste befördert. In dem engen, geschlossenen Raum filmen Minikameras mit festen Einstellungen die kleinen Dramen oder politischen Streitereien zwischen den Mitfahrern sowie die naseweise Reflexion der zehnjährigen Nichte des Regisseurs über das Filmemachen im Iran. Wieder einmal hat sich der Künstler mutig über das Berufsverbot hinweggesetzt, einen listigen Film gedreht, heimlich außer Landes geschafft - und dafür den Goldenen Bären der Berlinale 2015 erhalten.

 

Kurz vor den Berliner Filmfestspielen wurden in Paris Redakteure von „Charlie Hebdo“ ermordet, wir kommentierten einige Tage später die Preisverleihung: „In Zeiten, in denen Künstler für die Freiheit der Kunst sterben, darf auch die Kunst für die Freiheit der Künstler kämpfen.“ Die Berlinale ist das politischste der großen Filmfestivals, aber den Goldbären auf einen politischen Protestpreis zu reduzieren, greift zu kurz: „Der Film ist ein Liebesbrief ans Kino", sagte Jury-Präsident Darren Aronofsky bei der Verkündung des Gewinners.

 

Sehr humorvoll und ohne Larmoyanz schildert der Filmemacher aus einer interessanten und zugleich emblematischen Perspektive (des eingeschränkten Raums), das alltägliche Leben der Menschen im Gottesstaat. Der Film ist spannend, lange ahnt man nicht wie er ausgehen könnte, schließlich endet er abrupt in der iranischen Wirklichkeit. Der Regisseur spielt mit Fiktion und Realität, was ist von ihm inszeniert, was ist authentisch? Das erfährt man auch beim zweiten Sehen nicht - das Werk bleibt verrätselt, reflektiert jedoch das Kino selbst und erkundet seine Möglichkeiten unter schwierigen Bedingungen. Als Film im Film wiederholt das Hana, Panahis Nichte, die ihn beim Fahren filmt sowie die cineastischen Direktiven ihrer Lehrer aufsagt und kommentiert: „Sie tun es, aber sie wollen nicht, dass man es zeigt.“

 

Gelassen aber engagiert fährt Panahi als Taxifahrer durch Teheran, diese Rolle ähnelt seiner Rolle als Filmemacher: „Zuhause findest Du keine Themen“, sagt er einem zugestiegenen Filmstudenten, „du musst hinausgehen auf die Straße.“ Allerdings hat dem couragierten Regisseur diese Haltung viel Ärger eingebracht. Seine kritischen Filme waren den Mullahs immer ein Dorn im Auge. Seitdem er 2009 die iranische Oppositionsbewegung unterstützte, darf er nicht mehr ausreisen, war mehrmals im Gefängnis, lebt derzeit ohne Vollstreckung eines gefällten Urteils in „Freiheit“ und darf offiziell keine Filme mehr drehen. Bereits vor und nach seinem Berufsverbot wurden seine Filme auf internationalen Festivals gezeigt und prämiert.

 

Du bist wohl ganz unten angekommen“, meint durchaus ernstgemeint, einer der letzten Fahrgäste im Taxi. Panahi schmunzelt und schweigt.

 

Jafar Panahi „Taxi Teheran“, Iran 2014, 82 Minuten, FSK ab 12 Jahre. Auf weitere Angaben wurde zum Schutz der Beteiligten verzichtet.

 

 

FOTO: © Weltkino Filmverleih