Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 3. September 2015, Teil 2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Schon seltsam, die Politik der Filmtitel in Deutschland. Dieser heißt original 45 Years. Wieso man das nicht auf Deutsch sagen kann, ist unerfindlich. Andere englische Titel werden für Deutschland mit neuen englischen Titeln versehen, so daß man überhaupt nicht mehr weiß, wie das Original lautet, weil man ja denkt, aha, auf Englisch der Titel, also Original. Und andere werden wie früher ins Deutsche übersetzt. Chaotisch.
Damit wäre aber genau der Begriff gewählt, der das Gegenteil von diesem leise und beharrlich erzählten Film ist. Keine Spur von Chaos. Er brachte bei der Nachmittagsvorführung auf der Berlinale die Kritiker zum Schwärmen: „Endlich ein richtiger Film.“ und das liegt sicher daran, daß das Erzählte im Film sehr überschaubar ist, einen also als Zuschauer auch sicher macht, alles zu verstehen, weil man alles mitbekommt. Gerade aber die ausgestrahlte Normalität dieser Ehe, die ihr 45stes feiert, ist es dann, die so viele Sprünge bekommt, daß wir Zuschauer nicht wissen, wie dieses Paar nach der Feier ihres 45sten weitermacht. Und dazwischen liegt dieser Film von 93 Minuten.
In Berlin hatte 45 Jahre zur Berlinale im Februar mit den lauten Frauendramen auf der Leinwand, mit der Eiskönigin Juliette Binoche und der Wüstenkönigin Nicole Kidman, konkurrieren müssen, ach was heißt, müssen, man müßte sagen: dürfen, denn – und darum der Begriff still – 45 Jahre hebelte diese Filme durch seine auf den Alltag beschränkten Problematiken einfach aus. Wir hatten formuliert, daß das Heben einer Augenbraue eine größere Bedeutung gewinnt, als es Sandstürme oder Eiseinbrüche im Beziehungsgeflecht von Menschen sein können. Und natürlich geht es um die Augenbraue der Charlotte Rampling. Sie ist es, die diesen Film mit einer Bescheidenheit und Kraft trägt, zurückgenommen und stur, als sie erkennt, daß ihr Fundament ihrer Beziehung zu ihrem Mann gar nicht aus dem festgefügten Material besteht, von dem sie ausging.
Charlotte Rampling verkörpert eindrucksvoll diese Kate Mercer, die erst kurz vor der 45jährigen Hochzeitsfeier von etwas erfährt, was für ihren Mann Geoff (Tom Courtenay), wäre das, was sie bisher nicht wußte, nicht passiert, als Konsequenz gehabt hätte, daß die beiden nie geheiratet hätten. Das ist doch was nach 45 Jahren! Und er, der einem im Film am Anfang wie ein unsensibler Trottel vorkommt, hat dann den ganzen Film hindurch genug zu tun, um zu merken, was er durch (uns Frauen auf jeden Fall) unverständliches Verschweigen angerichtet hat. Wie im Hochleistungssport ist er ab da bemüht, noch einmal alles aus sich herauszuholen, um der eigenen Frau nach 45 Jahren zu imponieren, ihre Herz zurückzugewinnen und die Ehe zu stabilisieren.
Wir sind Zeuge, wie locker Kate auf diesen Hochzeitstag zugeht, wie sie sich freut, wie man ihn in Erinnerung an die Hochzeit von damals auch mit der Musik von damals bestückt, nach der getanzt werden soll. Aber statt der Freude auf dieses Ereignis, zu dem alle Freunde und Verwandte in großer Zahl eingeladen sind und bei der wir am Schluß des Films auch dabei sind, statt der Freude stellen sich bei Kate nun gegenteilige Gefühle ein: Fremdheit dem eigenen Mann gegenüber, einen Vertrauensbruch, den sie empfindet, ja geradezu Treulosigkeit, direkt gesagt, die Eifersucht auf eine andere Frau. Die ist zwar schon 50 Jahre tot, aber daß Toms damalige Freundin auf der gemeinsamen Tour in den Schweizer Alpen in einer Eisspalte verschwand und gerade jetzt – nach so vielen Jahrzehnten – im Eis gefunden wurde, wiegt deshalb so schwer, weil Tom dies Kate, die er erst danach kennen- und liebenlernte, niemals erzählte.
Sie selber findet dann auf dem Dachboden noch heraus, daß diese Freundin schwanger von Tom war – die beiden Mercers haben keine Kinder – und daß beide heiraten wollten. Diese so wichtige Begebenheit dem Menschen, mit dem man 45 Jahre zusammenlebt, nicht erzählt zu haben, sagt natürlich etwas über diesen Mann, aber auch über diese Ehe aus. Man hat bei Kate, die zu den ehemaligen Lehrerinnen gehört, die dann immer als besonders patent, auch burschikos, auf jeden Fall bestimmend dargestellt werden, das Gefühl, daß mit einem Male alle vorhandene Selbstgewißheit, die durchaus selbstgerechte Züge trägt, alle Zufriedenheit über das Erreichte dahin und das Leben schal geworden ist.
Was der Film beschreibt, ist kein Drama, sondern die Situation, die eintritt, wenn auf eine spiegelglatte Fläche, die das Leben der beiden war, ein Stein geworfen wird, der nun Risse zieht, von denen keiner – auch nicht die Hauptpersonen, auch nicht der Regisseur – weiß, wie es weitergehen wird. Ob der Riß sich vergrößert, zum Einbruch wird und einen oder beide hinunterzieht, oder ob der nächste Frost ihren Boden wieder zufrieren und damit kitten wird.
INFO:
R: Andrew Haigh
Großbritannien 2015
Englisch, 93'
D: Charlotte Rampling, Tom Courtenay, Geraldine James, Dolly Wells, David Sibley, Sam Alexander, Richard Cunningham, Rufus Wright, Hannah Chalmers, Camille Uca
Zur Berlinale erschien unsere Kritik: