Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 10. September 2015, Teil 5

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Seltsam kam uns das vor, wie aus der Zeit gefallen, daß auf einmal ein Film über den 1858 als Österreicher in Tirol geborenen Giovanni Segantini und ganz unglücklich schon 1899 als Schweizer, nein Staatenloser gestorbenen Maler in die Kinos kommt, wo unsere ganze Umwelt kaum weiß, wer das ist, während jeder, der Malerei liebt, seine Freilichtmalerei in der Hochgebirgswelt mitsamt der bäuerlichen Staffage bewundert.

 

Aber was weiß man gemeinhin über den Maler selbst? Wie ich selbst nach dem Anschauen des 82 Minuten langen Films sagen muß: zu wenig. Zwar war er mir als Maler mitsamt den Kollegen gut bekannt, aber über seine Herkunft, sein Leben und vor allem seinen schrecklichen Tod wußte ich wenig. Fangen wir also damit an, was dieser Film vom Schweizer Dokumentarregisseur Christian Labhart uns nahebringt. Dabei muß gleich erwähnt werden, daß der Film weder ein Kunstfilm ist in dem Sinn, daß kunsthistorisch vertieft auf das Werk eingegangen wird, noch eine Dramatisierung des Lebens durch nachgestellte Szenen erfolgt. Vielmehr versucht Labhart uns den Künstler aus seinem Inneren heraus lebendig zu machen, um die Faszination nachempfinden zu können, die diesen Maler antrieb, dem Licht in den Bergen auf die Spur zu kommen und es auf seinen Leinwänden einzufangen.

 

Wie schon der Name andeutet, gehört Segantini zu den sogenannten Welschtirolern. Seine väterlichen Vorfahren waren als Segatinis aus der Nähe von Verona erst ins Trentino ausgewandert, dann kam Giovanni in Arco nördlich des Gardasees zur Welt, die Mutter aus Venedig war sowieso zu der Zeit Staatsbürgerin des Habsburger Kaiserreichs und so auch Giovanni. Seine Kindheit und Jugend klingt wie von Dickens erfunden. Er dauert einem beim Lesen und er dauert einem beim Zuschauen, was erst seine Familie, aber auch die Behörden mit ihm trieben. Die Mutter starb früh, der Vater konnte sich als Alkoholiker nicht um das Kind kümmern und schob den durchaus erziehungsresistenten Jungen zu seiner Tochter aus erster Ehe. Die haßte den Halbbruder, der von Anfang an ihre Vorbehalte bemerken mußte und immer wieder ausriß, was die Polizei verfolgte, bei der die Halbschwester erreichte, daß ihm die österreichische Staatsangehörigkeit entzogen wurde. Da war der Junge sieben Jahre und so blieb Segantini lebenslang staatenlos.

 

Ohne Papiere und auf freier Strecke sozusagen, wurde er aufgegriffen, landete in einem Erziehungsheim. Was schrecklich klingt, war ein Segen, denn dort, einer Reformerziehungsanstalt kam er – inzwischen erlernte er den Beruf des Schuhmachers - in die Obhut eines alten Priesters, der sein künstlerischen Talent entdeckte und förderte und ihm von religiöser Malerei und Künstlern wie Frau Angelico erzählte. Tatsächlich kam er mit 20 Jahren an die Mailänder Kunstakademie Accademia di Brera, wo die Begegnung mit dem späteren, wirklich legendären Möbeldesigner Carlo Bugatti nicht nur zur lebenslangen Freundschaft führte, sondern auch zu familiärer Verbundenheit, weil es sich in dessen Schwester verliebte, wie diese in ihn. Sehr tolerant, daß die Eltern die Beziehung mit dem staatenlosen und erst einmal einkommenslosen Segantini und ihrer siebzehnjährigen Tochter zuließen.

 

1875 hatte Segantini seine Ausbildung in Mailand begonnen und schon vier Jahre später fiel er mit seiner Lichtsymphonie beim Chorgestühl von Sant' Antonio auf. Seine Lichtmalerei erklärte er technisch durch das Aneinanderfügen von reinen Farben, die erst durch die Netzhaut des Menschen verschmelzen und dieses Lichtdurchflutete herstellen. Aber die Umwelt ließ ihn wieder nicht leben und zumindest hatte Segantini immer ein wenig Glück im Unglück, denn er lernte den Kunsthändler Grubicy kennen, der die Qualität seiner Bilder erkannte und für den Verkauf sorgte.

 

Das war wichtig, denn inzwischen war klar, daß die Bice genannte Luigia Bugatti, die ihren Mann um 39 Jahre überlebte, die Frau seines Lebens war, die er auch immer wieder malte, die er ohne Papiere nicht heiraten konnte, aber mit ihr insgesamt drei Söhne und eine Tochter hatte, die viele Umzüge mitmachen mußten, lange (1886-1894) dann in Savognin zu Hause waren. Dort konzentrierte er sich auf das, was ihn berühmt machte, Motive aus dem Dorf- und Alpenleben in einer Art auf die Leinwand zu zwingen, daß die Natur sozusagen lichtumflossen ihren Segen gab. Auffällig, wie oft er Frauen malt, auffällig, wie sehr diese Frauen Mutteridolen entsprechen, was angesichts seiner Kindheitserfahrungen psychoanalytisch nicht weiter erklärt werden muß.

 

Der Film leistet beides, wie gesagt, den Maler mit seinem Werk nahezubringen, seine Motive auch erkennen zu können, aber eben auch die persönliche Befindlichkeit des Malers zum Thema zu machen. Was es zum Beispiel heißt, wenn die eigene Frau einem das Lesen und Schreiben beibringt. Segantini vergolt ihr das ein Leben lang, was rührende Briefe dokumentieren.

 

Segantini lernt Cuno Amiet bei Giovanni Giacometti kennen, seine naturalistischen Bilder gehen ins symbolistische Richtung, werden dann reiner Symbolismus und weltbekannt. Ob Japan oder Europa, er wird ein herausragender Maler der Zeit. Maloja im Oberengadin wird sein letztes Zuhause, die Hochalpenwelt sein bevorzugtes Sujet. Er stirbt völlig überraschend auf dem Höhepunkt seines Erfolges.

 

Der Film hat eine spezielle Form, was zwei Sprecher versinnbildlichen. Bruno Ganz ist derjenige, der aus den Schriften liest und Mona Petri liest aus dem Asta Scheib Segantiniroman DAS SCHÖNSTE, WAS ICH SAH, den man sich gleich besorgen will und es dann doch nicht tut.