Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 17. September 2015, Teil 2
Claudia Schulmerich
Frankfurt (Weltexpresso) – Ganz egal, was alle die sich so hochwissenschaftlich gebenden Kollegen Filmkritiker sagen: wir hatten unseren Spaß an diesem rasanten Film, in dem nicht nur der Schauspieler Daniel Brühl als Möchtegern endlich wieder einmal brillieren darf und in dem deutlich wird, daß zwischen Künstler (eindrucksvoll Jesper Christensen als Kaminski) und Kunstfälschern (auch manchmal Kaminski) zeitweise nur ein Hauch liegt.
Seltsam, diesen Roman von Daniel Kehlmann von 2003, dem der Film nachspürt, kennen wir nicht, obwohl er 2003 den Autor auch international bekannt machte. Und weil Kehlmann sowohl in der Literatur- wie der Filmkritik auch eine gewissen Häme entgegengebracht wird, sagen wir gleich, daß wir alle anderen Bücher kennen und sie sehr schätzen. Und doch wollten wir einen Kehlmannfilm mal ohne das Buch ansehen, weil dann der Film keine Vergleichsmöglichkeiten bietet. Und er braucht sie auch nicht. Das ist ein Film, der sich von selber versteht, ein eigenes Ding und ganz und gar nicht eine herkömmliche Literaturverfilmung.
Dabei versteht man am Anfang nur, daß hier ein geltungssüchtiger, eitler junger Fatzke auf Teufel komm raus seinen Reibach machen will. Nicht mit Geld. Sondern mit journalistischem Ansehen, gepaart mit Kunstsinn. Das ist der Kunsthistoriker Sebastian Zöllner, der so gerne ein beachteter Kunstkritiker wäre und nun darauf spekuliert, daß ein einst berühmter und hochbetagter Maler, Manuel Kaminski, bald endlich stirbt – aber erst, nachdem er ihn ausgiebig interviewt und eine Biographie über ihn verfaßt hat.
Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Der Film folgt der intelligenten Vorlage und führt uns andere Wege, als der Zuschauer am Anfang glauben mag. Übrigens hat Wolfgang Becker, dem sein Welterfolg von GOOD BYE, LENIN! 2003 wohl derart in die Glieder gefahren ist, daß der Regisseur seither schwieg, auch den meist zurückgezogenen Weltstar Geraldine Chaplin als totgeglaubte Jugendliebe Therese Lessing zum Mitspielen – köstlich – gewinnen können. Aber da sind wir der Zeit und dem Film schon weit voraus.
Wir müssen mit dem Ekelpaket Sebastian Zöllner – Achtung: nicht verwechseln mit Frank Zöllner, wirklich hervorragender Kunsthistoriker und Leonardoforscher und Professor an der Universität Leipzig dazu! - die ersten Filmminuten verbringen und dessen Geltungssucht, müssen seine Aufgeblasenheit, seine Niedertracht, seine Hohlheit aber auch in allen Fasern miterleben, wie er sich dauernd schon ob seines zukünftigen Erfolges und des fertigen Buches von morgen selbstbespiegelt. Daniel Brühl macht das wunderbar, weil er so selbstverständlich dümmlich selbstbezogen agiert, daß es nie nach Übertreibung aussieht, sondern eben einfach nach einem Gernegroß. Das will sagen, der Zuschauer wird so eindeutig als moralische Anstalt dieser Figur gegenüber aufgebaut, die er verachtet, aber doch nicht so, daß er bei aller Ablehnung der Zöllnerschen Methoden diesen als Haßfigur vor den eigenen Augen aufbaut. Der Typ bleibt über- und vorausschaubar. Das ist wichtig.
Völlig undurchsichtig dagegen das Objekt seiner Begierde. Der Maler oder auch gewesene Maler Kaminski. Denn dieser lebt abgeschieden in den Alpen und will keinen Menschen sehen, was er sowieso nicht kann. Denn er ist blind. Und das war sein Markenzeichen zu den Zeiten, wo er groß rauskam. Und das waren die 60 Jahre, wo er noch von Picasso gefördert und von Warhol in einer Pop-Ausstellung ausgezeichnet als neue Ikone galt und wo seine Bilder mit „Painted by a blind man“ beschriftet wurden. Doch das ist lange her. Er lebt jetzt mit seiner Tochter in den Alpen, die den immer noch berühmten Vater managt. Und jetzt kommen wir zu einem weiteren Besetzungshit von Wolfgang Becker. Die Tochter spielt die Französin Amira Casar, die man in Filmen hierzulande viel zu selten sieht – auf dem diesjährigen LICHTERFILMFEST in Frankfurt glänzte sie im letzten Film vom - leider Ende August gestorbenen - Peter Kern, in DER LETZTE SOMMER DER REICHEN.
Hier kommt sie einem erst einmal bieder vor, wenn der superschlaue und dabei nur naive Großkotz Zöllner, nachdem er die Leute, die überhaupt Kaminski kennen, mit seinem Diktiergerät gemolken hat, nun einfach in das abgeschottete hohe Haus emporsteigt, denn einen Fahrweg gibt es für ihn erst mal nicht. Das ist alles so witzig gemacht, daß wir gar nicht die Handlung weitererzählen wollen, sondern von den filmischen Einfällen berichten wollen. Die Szenen wechseln rasant. Dabei bleibt die Kamera erst mal in dem Haus des Malers, in das dieser Zöllner eindringt und tatsächlich auf Werke stößt, die wohl neuere sind. Eine Sensation!
Eine malerische Sensation, die gut zu dem Buch, wie es sich Zöllner vorstellt, paßt: ein Enthüllungsbuch: „Mein Buch durfte nicht vor seinem Tod und nicht zu lange danach herauskommen, für kurze Zeit würde er im Mittelpunkt des Interesses stehen. Man würde mich ins Fernsehen einladen, ich würde über ihn sprechen, und am unteren Bildrand würde in weißen Buchstaben meine Name und Kaminskis Biograph eingeblendet sein. Das würde mir einen Posten bei einem der großen Kunstmagazine einbringen.“, so das Original Kehlmann.
Und dann ergibt sich auch eine biographische Sensation. Denn Zöllner findet heraus, daß Kaminskis totgeglaubte Jugendliebe – siehe oben – noch lebt, was diesen so enthusiasmiert, daß er sich sofort mit Zöllner im Auto der Tochter auf den Weg macht, diese aufzusuchen. Aus dem räumlich überschaubaren Anfang wird nun das, was man Roadmovie nennt, mit Ereignissen, wie einem Tippelbruder besonderer Art, überhaupt treten im Film immer wieder Personen auf, die nichts von 08/15 haben und dennoch keine Schablonen sind. Hervorragend gemacht. Und die größte Überraschung ist der Meister selbst. Denn aus dem abgehalfterten Tattergreis, den wir bisher sahen, weil die Welt ihn so sehen wollte, nachdem er sich der Welt so präsentierte, wird ein hochintelligenter, verschlagener, auf seine Weise skrupelloser Durchblicker, der den sich überlegen fühlenden Zöllner nach allen Regeln der Kunst austrickst, manipuliert etc.
Mit einem Wort. Wir sind hell begeistert. Über den Schluß verraten wir nichts. Den kann sich jeder schon denken, wenn er weiß, wie gut Töchter im Managen von berühmten Vätern sind. Die Begeisterung gilt auch der Geschichte, vor allem aber den filmischen Mitteln von Becker. Er macht daraus einen satirisch funkelnden Essay über das Leben und die Kunst, mit Tempo und Ruhe gleichermaßen. Das ist eigentlich ein Film, den man von einem deutschen Regisseur gar nicht erwartet, so sophisticated, so spielerisch, so surreal und intellektuell in einem Guß. Ein Genuß.
Foto:
links Daniel Brühl als Zöllner, rechts Jesper Christensen als Kaminski