Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 17. September 2015, Teil 3
Claudia Schulmerich
Frankfurt (Weltexpresso) – Der Hintergrund der Geschichte, der zwei Familien betrifft, ist nicht neu, auch für Filme nicht neu: bei der Geburt wurden zwei Baby vertauscht, was niemand merkte bis...Was auch im normalen Leben die Dramatik pur und die schwierigsten menschlichen Verwicklungen bedeutet, potenziert sich, wenn es um einen Israeli und einen Palästinenser geht.
Ja, richtig, der Sohn der Araber, der Palästinenser aus der Westbank ist eigentlich der Sohn der beiden Juden aus Israel (Tel Aviv) und umgekehrt. Sie sind im Krankenhaus direkt nach der Geburt verwechselt worden. Das kommt heraus, als Joseph (Jules Sitruk) für seinen beabsichtigten Militärdienst in der israelischen Armee bei seiner Blutgruppenbestimmung weder die Blutgruppe der Mutter (Emmanuelle Devos) noch die vom Vater ( Pascal Elbé) aufweist. Josephs Mutter fühlt sich ungerechtfertigt vom Ehemann und anderen Mitwissern des Ehebruchs verdächtigt, weshalb sie der Sache auf den Grund geht. „Entschuldigung!“ sagt dann der Zuständige den beiden Eheleuten, die eingeladen wurden, um die Wahrheit zu erfahren, daß nämlich der als eigener Sohn betrachtete junge Mann jeweils der Sohn der anderen ist.
Und jetzt geht es in die Vollen, denn dieser Sohn der anderen, der in der Familie als eigener Sohn aufwächst, ist eigentlich ja der eigene Feind. Nicht persönlich, aber nach der Logik des Systems im Verhältnis von jüdischen Israelis und arabischen Palästinensern. Nicht aber nach der Gefühlslage der beiden Elternpaare. Denn beide schließen aus, daß der, der als eigener Sohn bei ihnen aufwuchs, kein Sohn mehr sein sollte. Die Mütter halten an ihren bisherigen Söhnen fest und sehen den anderen, den „vom eigenen Fleisch und Blut“ als weiteres Kind an, wozu die Väter noch etwas brauchen.
Die beiden kleinen Schwestern der größeren Brüder haben damit sowieso kein Problem. Sie freunden sich Hand in Hand gleich an. Nur der große Bruder von Yacine (Mehdi Dehbi), der Bilal (Mahommod Shalabi) heißt, beschimpft sowohl seinen bisherigen Bruder nun als Juden, wie er aber gleichzeitig den neuen, aber doch „elenden“ Juden Joseph nicht als Palästinenser und seinen Bruder anerkennen will. Er ist völlig durcheinander und daneben.
Man braucht kein Wort über die Situation der Palästinenser und die Arroganz der Israelis zu verlieren, allein die Filmszenen, wie Joseph in die Westbank geht und Yacine nach Israel wechselt, um die gegenseitigen Familien kennenzulernen, sind derart aussagekräftig, daß es weder vieler Worte noch irgendwelcher zusätzlichen politischen Statements bedarf. Die Französin Lorraine Lévy überrascht mit einem leichten, die Zuschauer berührenden Film über ein ernstes Thema, der nicht über Politik spricht, aber sie impliziert. Sie macht das Thema zudem – auch am Drehbuch war sie beteiligt – noch ernster, als es sonst Verwechslungskomödien oder -tragödien sind. Denn hier sind die Vertauschten junge Männer, die schon über sich und ihr Handeln selbst bestimmen können und nicht abhängige Figuren im Wind bleiben.
Der Film atmet Menschlichkeit, hat viele überraschende Momente, auch rührende, ohne in die Kitschfalle zu geraten. Bei mindestens zwei Gelegenheiten fühlt man, hier passiert richtig großes Kino, hier ist der Film an den richtigen Knackpunkten angekommen. Der eine ist die Frage von Joseph an den Rabbi, wie es denn mit seinem Judensein sei. Denn er ist beschnitten, hat die Bar-Mizwa – die religiöse Mündigkeit der Knaben - erlangt, geht selbstverständlich in die Synagoge und erfährt auf einmal vom Rabbiner, daß er nun kein gläubiger Jude mehr sei, weil er biologisch Kind von Palästinensern ist. Er müsse jetzt erst nach den Regeln für Erwachsene um Aufnahme in das Judentum nachsuchen. Das ist so schräg wie ungeheuerlich, weil wir den gläubigen jungen Juden vor uns sehen, der nun angeblich keiner mehr ist, das ist so überzeugend gegen die lebensfremden Regeln von Religionen, hier dem Judentum, daß es besonders unter die Haut geht.
Die andere Szene spielt im Haus der Palästinenser, wohin Joseph aus Tel Aviv zu Besuch kommt, um seine biologische Familie kennenzulernen. Jeweils sind – wie im richtigen Leben – die Frauen die lebenspraktischen, die handeln und die Männer diejenigen, die erst einmal in ihrer Ablehnung der neuen Situation gegenüber verharren. Sehr ungemütlich also die Tischgesellschaft, in der es Joseph nun schmecken soll. Und was macht der? Er fängt an zu singen und nach und nach fallen die anderen ein, der Vater holt sein Zupfinstrument und alle machen Musik, sind glücklich und werden zur Familie.
Joseph will nämlich Musiker werden und als dies seine Mutter in Tel Aviv der Mutter in der Westbank erzählte, sprach diese von der Musikleidenschaft ihres Mannes. So hat uns durch die Blume die Regisseurin auch etwas über Genetik erzählt, nachdem sie schon überzeugend die soziale Schiene fuhr: die jungen Männer wissen, daß sie etwas dazugewonnen haben, sie fühlen sich in einem Verhältnis wie Brüder. Die Vertauschung brachte ein Mehr und kein Weniger.
Foto:
Im Bett der durch Israelis verletzte Joseph, sein Blutsbruder und Yacine, mit dem er im Krankenhaus nach der Geburt vertauscht wurde.