Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 1. Oktober 2015, Teil 8

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Indonesien ist das diesjährige Gastland der Buchmesse Frankfurt von 14.-18. Oktober. Der US-amerikanische Regisseur Joshua Oppenheimer wurde durch THE ACT OF KILLING (2013) bekannt, einem Film, der von heute her die furchtbaren und furchtbar verschwiegenen Morde an ganzen Bevölkerungsgruppen im Indonesien von1965 zeigt, was 50 Jahre in der indonesischen Bevölkerung verdrängt und verschwiegen wurde.

 

Von Tätern und „Opfern“ verschwiegen, wollten wir über das Schweigen so dahinschreiben und müssen uns wieder einmal sagen, wie zynisch so etwas ist, da ja Opfer nicht mehr reden können. Erst heute treten die für sie stellvertretend ein, die 1965/66 etwas gesehen haben, die es mitbekommen haben, denen aus den Familien einzelne oder sogar die ganze Familie ermordet wurden. Denn die Zielgruppe war klar: man hatte in der Kommunistenhatz und gemeinhin kritischen Linken genau die im Visier, die für weiter Teile der Bevölkerung Außenseiter am Rande der Gesellschaft waren, wozu kam, daß die damalige indonesische Herrschaft Sündenböcke für ihr eigenes erfolgloses Wirtschaften suchte.

 

Geschichtlicher Hintergrund, den der Film nicht detailliert erzählt, ist der Militärputsch von 1965, den man der Kommunistischen Partei Indonesien in die Schuhe schob, was sich historisch heute als unzutreffend erwiesen hat. Dann aber wurden – was schon schlimm genug ist – nicht nur Kommunisten abgeschlachtet, sondern Mordkommandos zogen durch Indonesien und erklärten jeden, der ihnen als Gewerkschafter, Intellektueller oder Chinese, auch als landloser Bauer nicht gefiel, zum Feind und brachten ihn um. Es handelt sich also um einen staatlich organisierten Massenmord an Minderheiten desselben Volkes.

 

Wie schon bei dem ersten Film, sind auch diesmal ausführende Produzenten Werner Herzog und Errol Morris; Joshua Oppenheimer sagt deutlich, daß ohne dieses Engagement die beiden Filme nicht gedreht und geschnitten hätten werden können. Da schon die Andeutungen des Themas in den Jahren der Drehaufnahmen für großen Protest in Indonesien sorgte und die Aufführung von THE LOOK OF SILENCE erst mal verboten wurde, ist es interessant, wie beide Filme zusammenhängen, will sagen, wie das Drehen und Herstellen des zweiten überhaupt möglich wurde. Dazu gleich.

 

Die beiden Filme unterscheiden sich fundamental in der Ausgangslage. Der erste ist auf Tätersuche – und findet sie. Massenhaft. So massenhaft wie auch der Massenmord an rund einer Million Indonesier geschah. Ihnen, Ihrem Andenken und ihren Familien wurde von den Mördern und Abschlachtern – diesen Begriff muß man bringen, weil Morden noch nichts aussagt, über die verheerende Qualität des Quälens und besonders grausamen Tode nach Folterungen – noch nicht einmal 50 Jahren danach auch nur ein Bedauern oder ein Schuldeingeständnis zuteil.

 

Der neue Film dagegen berichtet aus der Opferperspektive, aus den politischen Kreisen und dem Kreis der Verwandten und Freunde der Ermordeten. Auch diesmal ist die Methode der Leinwandpräsentation das sogenannte Re-Enactment, was doch als „Nachspielen der Situationen“ nicht nur besser klingt, sondern auch verständlicher ist. Es werden die wahren Begebnisse von damals, so wie sie in der Erinnerung der einzelnen sind, wiederholt. Vor der Kamera. Aber es werden auch die Szenen gezeigt und reflektiert, die Joshua Oppenheimer schon im Jahr 2004 aufgezeichnet hat. Jetzt war es vor allem Adi, der die Täter stellte und sie in harmlose Gespräche verwickelte, wo die ganz offen noch heute mit ihren schrecklichen Taten prahlen. Die Nachkommen der Opfer können meistenteils nicht mit ihren eigenen Namen auftreten, solche berechtigte Angst herrscht noch heute in Indonesien – aber und das muß man deutlich sagen, mit immer weniger Berechtigung, denn die offiziellen Stellen versuchen heute, das Massaker von vor 50 Jahren als geschichtlichen Tatbestand in die öffentliche Wahrnehmung zu rücken. Wenigstens das.

 

Dieser Adi ist 40 Jahre und Optiker. Er ist also erst nach den Greultaten geboren, aber sein älterer Bruder Ramli wurde damals getötet. Er wandert durch diesen Film – sein Beruf ist ein gutes Vehikel mit den Leuten ins Gespräch zu kommen und in den Dörfern ist er wirklich sehr willkommen, denn dort gibt es keine Ärzte und Optiker auch nicht. Er hat nichts von einem investigativem Journalisten an sich, verkörpert das Gegenteil, ist sanft und gut erzogen und bringt die Leute zum Reden, daß man sich nur so wundert. Aber einige verstehen sofort, was da vor sich geht und drohen ihm ganz offen. Kaum zu ertragen ist, wenn dann die Mörder von gestern fett in ihren Sesseln sitzen und das immer noch richtig finden, was sie damals taten.

 

Noch einmal: bis heute sind keine Strafverfahren da. Aber zumindest das Schweigen ist gebrochen. Das diese beiden Filme dazu beitragen, ist wie ein Wunder. Aber hier kommen Filme zur rechten Zeit auf ein Publikum, das sich aufmacht, seine eigene Geschichte kennenzulernen, damit es diese nicht wiederholt. Man darf auf die Diskussion auf der Buchmesse gespannt sein. Denn, was hier über diesen Film gilt, trifft erst recht auf die Literatur der Gegenwart zu. Als bei der Buchmesse die erste Konferenz das Gastland vorstellte, war gleich meine Frage, wie die Literatur den Genozid von vor 50 Jahren spiegele. Sie tut es. Sie tut es mit einem Schlag gewaltig. Mehr also auf der Frankfurter Buchmesse.

 

P.S.: Inzwischen heißt es, dürfe der neue Film auch in Indonesien gezeigt werden. Aber schon bei den Aufnahmen für den ersten Film hatte Oppenheimer vorsorglich die Dreharbeiten für den zweiten miterledigt, weil er damals erst einmal keine Einreise und Dreharbeiten genehmigt bekommen hätte.

 

 

Info: Glück hat, wer in der Nähe Frankfurts wohnt und das ausgezeichnete Programm des Kinos des Deutschen Filmmuseums dort nutzen kann. Am 15. Juni war dort nämlich Joshua Oppenheimer zu Gast, der seinen Film dort vor dem Anlaufen in deutschen Kinos zeigte und darüber mit dem Publikum sprach, ein Film, der eine Kommentierung nicht braucht, einem durch die Berichte des Regisseurs von den Dreharbeiten dennoch noch näherkam.

 

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