Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 8. Oktober 2015, Teil 8
Roman Herzig
München (Weltexpresso) – Ein verstörender Film, das alleine deshalb, weil irgendwann zwischen den Guten in Mexiko und den Bösen kaum mehr zu unterscheiden ist, nein, so ist das falsch ausgedrückt, auf einmal gibt es im Film überhaupt keine Guten mehr, die eindeutig gegen den Mord und Terror der Drogenkartelle zu Felde ziehen. Worum es geht? Um Bürgerwehren. Und Drogenkartelle.
Und da müssen wir nun über Mexiko hinaus auch die Grenze zu den Vereinigten Staaten nennen, auf deren Territorium ebenfalls Bürgerwehren existieren, die aber nicht den Rauschgifthändlern im eigenen Land gelten – ohne die USA als Hauptkonsument wäre das Drogenparadies Mexiko auch nicht denkbar. Diese US-amerikanischen Bürgerwehren sind bewaffnet und wollen mit Waffengewalt verhindern, daß Mexikaner reihenweise 'rübermachen' von Mexiko ins gelobte Land USA. Dabei geht es nicht nur um Drogen, das wird oft vorgeschoben, sondern um die 'Reinhaltung' des nördlichen Amerikas. Davon noch mehr.
Wie er das gemacht hat, der junge amerikanische Dokumentarfilmer Matthew Heineman (schon rührend, wie man den heutigen amerikanischen Nachnamen durch das Weglassen des 2. N die deutsche Namensherkunft ansieht), der 2012 schon Escape Fire als Dokumentarfilm herausbrachte, wie er das also geschafft hat, uns im Film so hautnah dabei sein zu lassen, ist sein Geheimnis. Gestellt ist das nicht. Er habe volles Risiko gefahren, wird betont, denn er ist in die Höhle des Löwen gegangen, hat dort gefilmt, wofür er beim Sundance Film Festival 2015 den Preis für die beste Regie und beste Kamera für einen US-Dokumentarfilm erhielt. Interessant auch,daß Oscar-Preisträgerin Kathryn Bigelow den Film produzierte.
Wir sind voll dabei, wenn wir in den Widerstandsszenen der Bevölkerung mitbekommen, wie von unten dieser Widerstand gegen Mord und Terror seitens der Drogenbosse wächst, die man als Gruppierung die „Autodefensas“ nennt, und wie sich der angesehene Arzt José „El Doctor“ Mireles als laut- und wohltönendes Sprachrohr der Bevölkerung gegen diese widerliche Kumpanei von Politik und Drogenkartellen empört. Es war 2013, wo die Autodefensas unter ihrem Anführer tatsächlich eine Stadt nach der anderen befreiten und die gefangengenommenen Drogenhändler den staatlichen Organen übergaben. Wie oft diese dann wieder frei kamen und sogar aus einbruchssicheren Gefängnissen ausbrechen, erzählt nicht nur Don Winseln im DAS KARTELL (bei Droemer erschienen), sondern das erzählt auch die Wirklichkeit, als im Juli des Jahres der mexikanische Drogenbaron Joaquín 'El Chapo' aus dem Hochsicherheitsgefängnis Altiplano ausgebrochen ist, der als Kopf der Drogenkartelle gilt.
Auf der anderen Seite der Grenze dagegen sind es die, die wir mit Heimwehr spätestens seit den Nazis – historisch korrekt entstand der Ausdruck für bewaffnete paramilitärische Einheiten im Österreich der Zwischenkriegszeit, was übrigens hierzulande überhaupt kein Terminus ist - als diejenigen kennen, die als Selbstschutzverbände Recht und Gesetz in ihre eigenen Hände nehmen. Nackte Gewalt also. Und in Arizona ist das der Ex-Soldat Tim 'Nailer' Foley, der die Bürgerwehrbewegung anführt und die Bewaffneten massiv steuert. Was die beiden so unterschiedlichen Heimwehren verbindet, ist ihre Enttäuschung über das jeweilige staatliche Handeln, was sie unterscheidet, ist, daß in Mexiko sich die Autodefensas für Bürgerrechte einsetzten und in den USA dafür, die Grenzen dicht zu machen.
Wir folgen mit Entsetzen, wie es auf beiden Seiten zugeht, unser Herz schlägt aber für diesen beliebten Doktor, der übrigens auch noch praktiziert und die Heimwehr als wacher und vom Volk geliebter Anführer zusammenhält. Doch dann passiert etwas, im westlichen Zentralmexiko, in Michoacán, was wir lieber nicht gesehen hätten und was die Hoffnung, im Kampf gegen die Drogenmafia könne die gute Seite siegen und den Verbrechern das Handwerk gelegt werden, schwinden läßt. Kann man überhaupt im Kampf gegen solche Machenschaften persönlich sauber bleiben, kann es eine gesellschaftliche Bewegung, können es die Autodefensas?
Verstört und nachdenklich verläßt man das Kino. Ein hervorragend gemachter Film im übrigen, dessen Regisseur neben den Erfolgen auch Vorwürfe ereilten. Er habe durch das so nahe Dabeisein mit den jeweiligen Bürgerwehren Kumpanei betrieben. Beispielsweise dann, wenn er einen Mord filmt, statt ihn mit seinem Team zu verhindern. Wobei danach natürlich keine Aufnahmen für einen Film mehr entstehen. Eine schwierige film- ethische Frage.
Artikel über den Film sowie Drogenkartelle in Weltexpresso