Selbstporträts von Anderen: Das Universum von Agnès Varda im Deutschen Filmmuseum Frankfurt
Helga Faber
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wir hatten dies schon angekündigt, aber nun ist es heute soweit. Die Lecture von Kelley Conway am Donnerstag, 5. November, um 20:15 Uhr, der am Donnerstag, 19. November, um 20:15 Uhr die von Delphine Bénézet folgt. Begleitende Filme von Claude Chabrol und Chris Marker.
Agnès Varda, geboren 1928 in Brüssel, Spielfilmregisseurin, Dokumentaristin, Installationskünstlerin und Filmtheoretikerin, ist eine der großen Künstlerpersönlichkeiten der Filmgeschichte. Sie bildete – zusammen mit Jean-Luc Godard, und im Dialog und Widerstreit mit diesem – das intellektuelle Gravitationszentrum der Nouvelle Vague. Die entscheidende Frage ist für sie nicht, was Kino ist, sondern was es bedeutet, Kino zu machen – für sie selbst, für andere, und im Zusammenspiel mit anderen. Vardas Kino ist entsprechend offen und erfinderisch, oft autobiografisch und zugleich universell, stets changierend zwischen Formen, Formaten und Gattungen.
In der Reihe Lecture & Film entwerfen internationale Experten bis Juli 2016 eine Kartographie des Werks von Varda. Die Vorträge werden ergänzt durch eine Filmreihe mit Werken, die in Verbindung mit der Arbeit Vardas stehen. Im November sind dies Frühwerke von Claude Chabrol und Chris Marker, die die Nouvelle Vague maßgeblich beeinflusst haben.
LES PLAGES D’AGNÈS: Selbstporträt einer Filmemacherin
Lecture von Kelley Conway
Vortrag in englischer Sprache
Donnerstag, 5. November, 20:15 Uhr
In ihrer langen Karriere als Regisseurin, Fotografin und bildende Künstlerin stellte Agnès Varda immer Figuren ins Zentrum, die sich nur schwer ergründen ließen. Von der verschlossenen Landstreicherin in SANS TOIT NI LOI (FR 1985) zu den schweigsamen Ladeninhabern in DAGUERRÉOTYPES (FR 1978) hat Varda ihren Protagonisten und Orten gegenüber immer eine Haltung des Respekts und der Neugier eingenommen. Das wirft die Frage auf, wie Varda sich selbst als Figur konstruiert, wenn sie sich der Herausforderung stellt, ihre eigene Lebensgeschichte zu erzählen. Am Leitfaden dieser Frage erkundet der Vortrag die erzählerischen und stilistischen Techniken in Vardas autobiographischem Dokumentarfilm LES PLAGES D’AGNÈS (FR 2008).
Kelley Conway ist Professorin für Filmwissenschaft an der University of Wisconsin-Madison. Zu ihren Publikationen zählen die Monographien Chanteuse in the City (2004) und Agnès Varda (2015).
Filmbeginn: ca. 21:15 Uhr
Zusätzlicher Film-Termin ohne Vortrag: Mittwoch, 11. November, 18 Uhr
LES PLAGES D’AGNÈS Die Strände von Agnès
Frankreich 2008. R: Agnès Varda
D: Agnès Varda, André Lubrano, Blaise Fournier. 110 Min. DCP. OmeU
„Könnte man in die Menschen hineinblicken, fände man Landschaften. Würde man in mich hineinsehen, wären es Strände.“ Agnès Vardas poetische Selbstbeschreibung spiegelt sich wider in diesem autobiografischen Dokumentarfilm. Varda, geboren 1938, kehrt zurück an die Strände, die in ihrem Leben eine Rolle spielten. Dabei streift sie ihren persönlichen Werdegang von den Anfängen als Theaterfotografin über die bewegten Zeiten der Nouvelle Vague bis zu ihrem Leben mit Jacques Demy.
Küstensehnsüchte: Das Meer, die Lieder und die Sonne in Vardas DU CÔTÉ DE LA CÔTE (1958) und DOCUMENTEUR (1980-81)
Lecture von Delphine Bénézet
Vortrag in englischer Sprache
Donnerstag, 19. November, 20:15 Uhr
Der Reichtum und die Vielgestaltigkeit des Werks von Agnès Varda stellt für Kritiker und Filmwissenschaftler eine Herausforderung dar. Dieser Vortrag zeigt Verlaufslinien in Vardas Werk auf, indem er zwei Filme miteinander kontrastiert, die in ihrer Entstehung mehr als 20 Jahre auseinander liegen: DU CÔTÉ DE LA CÔTE aus dem Jahr 1958, ein überschäumender Reisebericht, der an der französischen Riviera gedreht wurde, und DOCUMENTEUR (1981), der fiktionale und eher melancholische Teil von Vardas kalifornischem Dyptichon. Besondere Beachtung findet hierbei Vardas innovativer Umgang mit Montage, Musik und Stimme. Das poetische Motiv der Küstenlandschaft verfolgt der Vortrag schließlich weiter zu neueren künstlerischen Arbeiten wie LES VEUVES DE NOIRMOUTIER (2005), PING PONG TONG ET CAMPING (2006) und LES PLAGES D’AGNÈS (2008).
Delphine Bénézet ist Film- und Literaturwissenschaftlerin und arbeitet derzeit an der London School of Economics. Sie veröffentlichte das Buch The Cinema of Agnès Varda: Resistance and Eclecticism (2014).
Filmbeginn: ca. 21:15 Uhr
DOCUMENTEUR Menschengesichter
Frankreich 1981. R: Agnès Varda
D: Sabine Mamou, Mathieu Demy, Lisa Blok-Linson. 65 Min. DCP. OmeU
„Ein falscher Dokumentarfilm über Dokumentarfilm dokumentiert den Dokumentarfilm“, schreibt Wenke Wegner über DOCUMENTEUR. Agnès Varda filmt Passanten wie in einem Dokumentarfilm und lässt die Bilder in eine fiktive Geschichte einfließen. Eine Frau lebt und leidet im Exil unter Identitätsverlust. Ihr Sohn kann nicht einschlafen. Gemeinsam versuchen die beiden, die Schatten der Vergangenheit loszuwerden. Dabei sind es die Alltagsaufnahmen, durch die sich die Gefühle der Protagonistin vermitteln.
Vorfilm: DU CÔTÉ DE LA CÔTE
Frankreich 1958. R: Agnès Varda.
Dokumentarfilm. 25 Min. OmeU
Samstag, 14. November, 18 Uhr
Mittwoch, 18. November, 18 Uhr
LE BEAU SERGE Die Enttäuschten
Frankreich 1958. R: Claude Chabrol
D: Gérard Blain, Jean-Claude Brialy, Michèle Mérit. 98 Min. Blu-ray. OmeU
Claude Chabrols Debütfilm gilt als erster Film der Nouvelle Vague, die das Weltkino nachhaltig verändert hat. Der Student François ist an Tuberkulose erkrankt und soll sich in seinem Heimatdorf von seinem Leiden erholen. Dort angekommen erkennt er schnell, dass sich vieles verändert hat: Sein alter Freund Serge ist dem Alkohol verfallen, dessen Frau Yvonne hat eine Fehlgeburt erlitten. François will den beiden helfen, kommt dabei jedoch seinem persönlichen Abgrund immer näher. LE BEAU SERGE wurde beim Filmfestival in Locarno 1958 für die beste Regieleistung ausgezeichnet.
Mittwoch, 25. November, 18 Uhr
LETTRE DE SIBÉRIE Ein Brief aus Sibirien
Frankreich 1957. R: Chris Marker
Dokumentarfilm. 62 Min. Blu-ray. OmeU
Sibirien sei für die meisten nur das größte Ödland der Welt, kritisiert Chris Marker. Mit seinem ethnografischen Essayfilm LETTRE DE SIBÈRIE widerlegt der Regisseur diese Annahme. Er lässt eine sibirische Welt entstehen, die bis heute frisch und aktuell daherkommt. Es ist eine Kombination aus fantastischen Animationen von Mammuts und fotografisch-dokumentarischen Elementen, die den Film prägt und richtungsweisend für die Ästhetik der Nouvelle Vague machte. Auch eine Frühform des Videospiels lässt sich finden: Zu einer Filmsequenz werden ähnlich einem Quiz drei unterschiedliche Kommentare vorgeschlagen. Was ist wahr? Was ist Traum, was Realität?
Vorfilm: DIMANCHE À PEKIN Frühstück in Peking
Frankreich 1956. R: Chris Marker.
Dokumentarfilm. 22 Min. OmeU
Info:
Eine Veranstaltungsreihe des Instituts für Theater-, Film- und Medienwissenschaft und des Exzellenzclusters „Normative Orders“ der Goethe-Universität mit dem Kino des Deutschen Filmmuseums und im Rahmen der hessischen Film- und Medienakademie (hFMA). In Kooperation mit dem Institut français pour l’Histoire en Allemagne, dem Masterstudiengang „Curatorial Studies“, der Städelschule und dem Institut für Filmwissenschaft der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.
Der Eintritt zu den Vorträgen und zu den dazugehörigen Filmen ist frei!!
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