Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 12. November 2015, Teil 1

Hanswerner Kruse

Berlin (Weltexpresso) - Frauen verschwören sich und beseitigen ihre Männer. Ein Dieb tötet den Liebhaber seiner Frau und muss ihn deshalb aufessen. Peter Greenaways Filme waren spannend und brachen lustvoll Tabus, doch nicht (nur) diese spektakulären Themen begründeten seinen Erfolg. Der Brite beeinflusste vor allem durch seine hochartifizielle Bildsprache maßgeblich die Filmästhetik zum Ende des 20. Jahrhunderts.

 

Lange war es still um den Regisseur, nun hat er einen Film über den russischen Kino-Pionier Sergei Eisenstein („Panzerkreuzer Potemkin“) gedreht. Das ist nicht überraschend, denn der Russe prägte ebenfalls mit seiner radikalen Schnitttechnik in seinem schmalen Oeuvre in den 1920er-Jahren die Kinogeschichte. Aber der auf der letzten Berlinale präsentierte Film ist kein Biopic oder Doku-Drama über das Aushängeschild der russischen Revolution. Zur Bestürzung strenger Cineasten erzählt Greenaway lediglich eine kleine Episode aus dem Leben Eisensteins - dessen (angeblich) homosexuelles Comingout.

Ob das authentisch war, ist unwichtig, denn „Guanajuato“ ist ein unterhaltsamer Spielfilm: 1931 kommt der dreiunddreißigjährige Eisenstein nach Mexiko, um den Sieg der Revolution in diesem Land zu filmen. Er wird fürstlich untergebracht, ist von grimmigen Leibwächtern umgeben und staunt über das Leben der sinnlichen Menschen: „Hier in diesem Land erschlägt mich alles!“

Aus dem Aufeinandertreffen des moralischen Russen mit den etwas schluderigen Mexikanern, entstehen absurde Situationen. Eisenstein (Elmer Bäck) versteckt seine Schuhe unter dem Kopfkissen, weil die in der Sowjetunion immer geklaut werden. Seinem Penis erzählt der schüchterne Russe: „Benimm Dich!“ Doch schon bald verführt ihn Palomino (Luis Alberti), der attraktive, ihm zugewiesene Reisebegleiter. Eisenstein ist verwirrt und weiß nicht, wie er mit seiner neu entdeckten Lust umgehen soll: „Ich kam als Jungfrau und reise als Verdorbener ab. Ich verlasse den Himmel.“

Der Film gefällt durch seine frivole und leicht groteske Handlung, Greenaways wunderbare sinnliche Bilder trösten über die Längen manch allzu philosophischer Dialoge hinweg. Die Tableaus sind oft symmetrisch aufgebaut und stark komponiert, der Filmemacher ist ja auch Maler. Der Erzählfluss wird häufig durchbrochen mit Clips aus Eisensteins Filmen, surrealen Überblendungen oder verdreifachten Bildern. Bekannte Personen werden manchmal eingeblendet, wenn sie in Gesprächen erwähnt werden.

Greenaway erzählt seit jeher Geschichten, in denen vor allem seine Bilder faszinieren und zu Assoziationen herausfordern. In der multimedialen Berliner Ausstellung „Gehorsam“ inszeniert er die jüdische, christliche und islamische Geschichte von Abraham, der seinen Sohn töten soll. Die Installationen und Environments ermöglichen Erlebnisse, die alle Sinne berühren. Ein „Engelraum“ ist vollständig mit Federn ausgekleidet, in einem anderen, dunklen Saal läuft man über Schafwolle. Am Ende der Ausstellung werden auf drei riesigen Leinwänden immer wieder streiflichtartig verletzte Kinder, fliehende Menschen und Tanzclips eingeblendet. Die Besucher werden nicht belehrt, sondern berührt und verstört - und damit quasi zu eigenen Assoziationen gezwungen.



FOTO: © Edition Salzgeber

Eisenstein (Elmer Bäck) staunt über das Leben und dem Umgang mit dem Tod der sinnlichen Menschen in Mexico



Info:

Eisenstein in Guanajuato“, GB 2015, 110 Minuten, FSK ab 16 Jahre, Regie Peter Greenaway mit Elmer Bäck, Luis Alberti, Maya Zapata und anderen. Filmstart 12. November 2015.

Gehorsam“ im Jüdischen Museum Berlin ist (leider) nur noch bis zum 15. November geöffnet.



Weltexpresso hatte den zur Berlinale 2015 im Wettbewerb gelaufenen Film auch damals besprochen. Mit einer ganz anderen Tendenz, was im Vergleich interessant ist:

http://weltexpresso.tj87.de/index.php?option=com_content&view=article&id=4235:eisenstein-in-guanajuato&catid=79:kino&Itemid=471