Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 12. November 2015, Teil 2
Kirsten Liese
Berlin (Weltexpresso) - Jan Philipp Albrecht ist Datenschutzbeauftragter der Grünen im Europäischen Parlament. Hoch motiviert arbeitet der junge Abgeordnete an einem Gesetz, das die Privatsphäre der Bürger besser schützen soll. Vor ihm liegt ein langer Weg durch viele Gremien und Instanzen. Denn der Widerstand seitens anderer Fraktionen, Lobbyisten und Mitgliedstaaten ist gewaltig.
Über 4000 Änderungsvorschläge landen auf dem Tisch des Parlamentariers, für jeden einzelnen muss ein Kompromiss gefunden werden. Andernfalls scheitert der Gesetzentwurf an der erforderlichen Mehrheit.
David Bernet hat den Idealisten Albrecht in seinem Film „Democracy- Im Rausch der Daten“ zu einer zentralen Figur gemacht. Über mehrere Jahre hat er den Jungpolitiker bei dem langwierigen Prozess in Brüssel begleitet. Es war das erste Mal überhaupt, dass ein Filmteam so tief in das Innere der EU vordringen durfte.
Regisseur Bernet dokumentiert die anstrengende Arbeit des Parlamentariers aus der Perspektive des Beobachters. Auch Befürworter und Gegner kommen zu Wort. Die EU-Kommissarin Viviane Reding will mit Hilfe eines Datenschutzgesetzes das Vertrauen der Bürger in Wirtschaft und Industrie stärken; der amerikanische Lobbiyst John Boswell dagegen mit Hilfe der Daten die Welt verbessern.
Aber wie soll der Laie solche Aussagen bewerten? Die Protagonisten fachsimpeln bisweilen kompliziert über Details, so dass der Zuschauer kaum mitkommt. Was ist ein Datensubjekt, was versteht man unter „Singling-Out“? Der Regisseur bekennt, selbst Vieles nicht zu verstehen, das aber bringt die Komplexität der Materie mit sich, auch, dass spannende inhaltliche Fragen zu kurz kommen. Was zum Beispiel ist dem Benutzer zumutbar? Wie kann er letztlich seine Daten schützen? Muss er die Geschäftsbedingungen, denen er bei der Online-Buchung eines Flugtickets zugestimmt hat, auch gelesen haben?
„Democracy- Im Rausch der Daten“ ist in erster Linie ein Film, der beispielhaft aufzeigt, wie mühsam sich generell Gesetzesverhandlungen in Brüssel gestalten und auch formal ein bemerkenswerter Dokumentarfilm. Mit monochromen Schwarzweißaufnahmen im Breitwandformat bricht er bewusst mit den aus Brüssel gewohnten Fernsehbildern. Zwischen die Verhandlungen im Parlament montiert Bernet Stadtansichten - Bilder von stockendem Verkehr und Großbaustellen stellen assoziativ einen Bezug zu dem „Tanker EU“ her.
Zum Ende hin erreicht der Film noch einen dramatischen Höhepunkt: Der NSA-Skandal bringt nach achtzehn Monaten Stagnation wieder Bewegung in die zähen Verhandlungen über eine Datenschutzreform. Im Zuge dessen gelingt Jan Philipp Albrecht 2014 tatsächlich ein überarbeiteter Gesetzesentwurf, den die Mehrheit des Parlaments befürwortet.
Die Verhandlungen mit dem Rat dauern aber noch bis heute an. Und so ist „Democracy – Im Rausch der Daten“ ein informativer sehenswerter Film, der mit einer ernüchternden Bilanz sehr nachdenklich stimmt.