Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 12. November 2015, Teil 3

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt (Weltexpresso) – Der Mann, der Mensch, der hier den Unterschied ausmacht, ist der 1920 noch in Ungarn/Rumänien geborene und mit Eltern im gleichen Jahr in die USA eingewanderte Benjamin Ferencz. Er hat als Chefankläger mit 27 Jahren den Nürnberger Einsatzgruppenprozeß gegen die SS-Führer geleitet, die in der UdSSR und Polen für die Ermordung von rund einer Million Juden und anderer verantwortlich waren.

 

Die Nürnberger Prozesse muß man benennen, weil in unserem historischen Gedächtnis fast nur der gegen die 24 Hauptkriegsverbrecher aufscheint, wo von den angeklagten Führenden aus Staat, Militär, Kriegswirtschaft, SS, Gestapo etc. 20 verurteilt wurden durch Tod durch den Strang(12) oder Haft(8) sowie drei Freisprüche und eine Selbsttötung. Doch war dies nur der erste der insgesamt 13 Nürnberger Prozesse, die gesondert Ärzten, Juristen, IG-Farben etc. galten, darunter auch der Einsatzgruppenprozeß als neunter der zwölf Folgeprozesse, der vom 15. September 1947 bis zum 10. April 1948 durchgeführte wurde.

 

Zwar wurde auch dieser Prozeß im Schwurgerichtssaal 600 durchgeführt, aber die politische Gemengelage war längst eine andere. Der Hauptprozeß hatte nämlich vor dem Internationalen Militärgerichtshof(IMG, englisch: IMT) stattgefunden, zu dem die Siegermächte (UdSSR, USA, England) auch Frankreich hinzunahmen. Nürnberg als Ort des Prozesses war wegen der ideologischen Bedeutung als eigentliche Reichshauptstadt gewählt worden, aber schon direkt nach dem Ende des ersten Nürnberger Prozesses hatten sich die Russen zurückgezogen, weshalb dieser Einsatzgruppenprozeß vor einem rein amerikanischen Militärgericht stattfand – The United States of America against Otto Ohlendorf, et al. - und Benjamin Ferencz als Chefankläger sagen konnte: „Das war kaltblütiger Massenmord und ich kann das beweisen.“ Das gelang ihm, alle Angeklagten wurden schuldig gesprochen. Die schriftlichen Beweise waren vorhanden.

 

Das muß man vorausschicken, bevor man sagen kann, eigentlich ist dies ein Film von einem wunderbaren Menschen, der noch mit 95 Jahren die Kraft, die Entschlossenheit und das Feuer aufbringt, für eine menschliche Welt zu kämpfen – noch dazu mit den Mitteln des Rechts, das – eine alte Leier – ja nicht mit Gerechtigkeit zu verwechseln ist. Aber dieser Benjamin Ferencz ist einer, das erlebt man die ganzen 94 Minuten hindurch, für den Recht und Gerechtigkeit synonym gelten und der als Person Geschichte geschrieben hat, die er laufend noch fortschreibt.

 

Denn dieser Film hat über die persönliche Seite dieses liebens- und bewundernswerten 'unwürdigen' Greises - selten einen 95jährigen so wenig greisenhaft gesehen – hinaus eine politische Botschaft, die gerade in diesen Jahren noch wichtiger geworden ist als grundsätzlich: politische Probleme zwischen Staaten mit den Mitteln des Rechts zu klären. Konkret geht es um den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag, der im Jahr 2003 zustandekam( Vorläufer war eben der Nürnberger Internationale Militärgerichtshof )für den Benjamin Ferencz Jahrzehnte gestritten hatte und weiterhin streitet, jetzt nämlich darum, welche Verbrechen gegen die Menschheit vor ihm geführt werden sollen, wer mit welcher Begründung angeklagt werden soll.

 

Dieser Film, den Ullabritt Horn in einer geschickten Mischung von historischen Aufnahmen und durch Benjamin Ferencz vorgenommenen heutigen Würdigung spannend hält, lebt durch und mit seinem Hauptdarsteller Benjamin Ferencz. Ihm steht im Film sein Sohn, ein Juraprofessor, was auch sein Vater wurde, zur Seite und man sich freut sich daran, wie hier der Vater mit dem Sohne wiederum eine geglückte Mischung von persönlicher Vertrautheit und Liebe und dem fachlichen gemeinsamen Tun ausstrahlt. Eigentlich möchte man direkt nach dem Filmerlebnis seine Begeisterung Benjamin Ferencz persönlich sagen und auch, daß wir ihm noch viele Stunden hätten zuhören wollen.

 

Für Deutsche ist etwas anderes wichtig. An diesem Einsatzgruppenprozeß, dessen Zustandekommen und dessen Durchführung lange im Mittelpunkt des Films steht, kann man erkennen, wie dankbar wir heutigen sein können, daß Männer wie Ferencz sich in dies juristisch so schwierige Gebiet hineinwagten und Recht sprechen konnten. Glück war auch dabei. Denn das Problem aller damaligen NS-Verfahren war die schriftliche Beweislage, mit der man den Angeklagten konkrete Taten nachweisen konnte. Man ist an den Fall des FR-Journalisten Gnielka erinnert, dem Unterlagen des KZ Auschwitz zugespielt worden waren, die er dem Hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer überreichte und die dieser für die Einleitung des Auschwitz-Prozessen brauchte und in der Durchführung nutzen konnte.

 

Denn um 1946/7 wurden in den staatlichen Archiven in Berlin – die Nazis waren Bürokraten! - von dem Amerikanern Leitz-Ordner zu den Einsatzgruppen-Meldungen gefunden, die lückenlos aufführten, wer wann wo wie viele Menschen umgebracht, bzw. ermordet hatte lassen. Da, wie Ferencz listig im Film ausführt, zudem im Sinne der Belobigung von oben die Mörderbanden ihre „Erfolge“ sicher zahlenmäßig nach oben korrigierten, waren diese Beweise sehr gut gerichtsverwertbar. Diese Zahlen sprechen von über einer Million. Was also neben der Bewunderung für diesen Mann bleibt, ist die Erkenntnis, daß die mit dem Kriegsbeginn gegen die Sowjetunion eintretenden Mörderkommandos der SS, die vorwiegend der 'jüdischen Intelligenz' galten, aber auch jeden auslöschte, der nicht arisch genug erschien, im Deutschland des Jahres 2015 weiter Thema bleiben muß. Man denkt auch sofort an den Film DAS RADIKAL BÖSE, der aufzeigt, wie neue Kommandos dort weiter mordeten.

 

So gelingt dem Film einerseits, einen wunderbaren Menschen zu porträtieren und andererseits aufzuzeigen, daß einen, gegen das Unrecht von Staaten ein Leben lang ankämpfenden Mann nicht Bitteres, nichts Desillusionierendes eigen ist, sondern der lebenslange Kampf für Recht und ein besseres Leben für Menschen glücklich machen kann. Dieses Glück über ein erfülltes Leben im Dienste der Menschheit spürt man den ganzen Film über genauso wie das persönliche Glück eines Familienvaters. Und das macht einen dann trotz der schauerlichen Hintergründe selber glücklich und dankbar für einen solchen Film.