Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 10. Dezember 2015, Teil 3

 

Lona Berlin

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Mit der neuen Verfilmung von HEIDI haben wir viel vor. Anders als normalerweise wollen wir nicht nur den Film besprechen, sondern das ganze Phänomen HEIDI. Dazu allerdings sind wir erst gekommen, als mehrere aus der Redaktion ihre Kindheitslektüre auffrischten und HEIDI richtig toll fanden.

 

Außerdem, darüber werden wir noch öfter sprechen, hat sich der Filmverleiher eine zu lobende Mühe gemacht und in einem Heft zum Film sehr Grundlegendes ausgebreitet, was wir gerne weitergeben. Das war viel Mühe, weshalb die HEIDIartikel erst diese Woche erscheinen. Der Film war letzten Donnerstag angelaufen.

 

Von der Romanfigur zur internationalen Marke: „Heidi ist besser als Schweizer Schokolade und viel berühmter als unsere Banken!“ so Bruno Ganz vor Beginn der Dreharbeiten. Johanna Spyri hat mit „Heidi“ die wohl berühmteste Schweizerin und das bekannteste Bergmädchen der Welt geschaffen. Sie ist nationales Kulturgut und Schweizer Mythos.

 

Und hat als Marke in den letzten fünfzig Jahren weltweit einen unvorstellbaren Siegeszug angetreten. „Heidi“ steht für die heile Bergwelt, unberührte Natur und für Schweizer Stereotypen, es gibt Milch, Käse und Schokolade namens „Heidi“, „Heidi“-Themenparks, Musicals und sogar „Heidiland“-Autobahnraststätten. Doch was stand am Anfang dieser Entwicklung?

 

 

Johanna Spyri: Eine Frau, die ihrer Zeit voraus war

 

Die Schweizer Schriftstellerin wurde am 12. Juni 1827 in Hirzel, Kanton Zürich, geboren. Der Vater der gebürtigen Johanna Louise Heusser arbeitete als Arzt, ihre Mutter war Tochter eines Pfarrers. Später studierte Spyri in Zürich moderne Sprachen und Piano. Schon in jungen Jahren waren Bücher ihr Ein und Alles, sie entdeckte unter anderem Goethe und löste sich von der frommen Welt, wie sie ihr von der Mutter vermittelt worden war. Sie verbrachte zahlreiche Sommer in Maienfeld im Kanton Graubünden. Die Orte sollten später zum Schauplatz ihres Romans „Heidi" werden.

 

1852 heiratete sie Johann Bernhard Spyri, Anwalt und später Stadtschreiber von Zürich. Ihr erster und einziger Sohn Bernhard wurde 1855 geboren, starb jedoch 1884 an Tuberkulose. Nach dem Tod ihres Sohnes widmete sich Johanna Spyri voll und ganz der Schriftstellerei und Wohltätigkeitswerken. Am 7. Juli 1901 starb sie im Alter von 74 Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung.

 

Obwohl Johanna Spyri meist ausschließlich mit „Heidi“ in Verbindung gebracht wird, hat sie in den

Jahren von 1871 – dem Erscheinungsjahr ihrer ersten Erzählung, „Ein Blatt auf Vrony’s Grab“ – bis zu ihrem Tod 31 Bücher, 27 Erzählbände und vier Broschüren veröffentlicht. Viele ihrer Bücher und Texte werfen einen realistischen, nicht beschönigenden Blick auf die Schweiz und die Lebensbedingungen der Menschen.

 

Spyri beschreibt in ihrer Literatur sehr genau und mit viel Mitgefühl die Armut der Leute in einer Zeit, als die Industrialisierung gerade in ihren Anfängen und das Leben der Menschen von vielen Umbrüchen geprägt war. Besonders das Schicksal von Kindern, die ihre Eltern verloren haben, lag ihr am Herzen. Diese Art von sozialem Realismus war neu zu dieser Zeit, insbesondere im Bereich der Kinderliteratur. Insofern war Spyri durchaus Pionierin – und das zu einer Zeit, die auch als Geburtsstunde der Frauenemanzipation gilt.

 

Spyris erstes Kinderbuch mit Titel „Heimathlos“ enthielt die Erzählungen „Am Silser- und am Gardasee“ und „Wie Wiseli’s Weg gefunden wird“ und erschien 1878 beim Verlag F. A. Perthes in Gotha. Als Autorin war nicht Johanna Spyri angegeben, sondern „Von der Verfasserin von ‚Ein Blatt auf Vrony’s Grab’“. Erstmals fand sich auf dem Umschlag die Anmerkung „Eine Geschichte für Kinder und auch für Solche, welche die Kinder lieb haben“, die auf fast allen Werken Spyris enthalten ist. Im selben Verlag erschien dann 1879 „Heidis Lehr- und Wanderjahre“, das sich sofort ausgesprochen erfolgreich verkaufte und der Autorin einen angenehmen Lebensabend ermöglichte.

1881 folgte der zweite Band mit Titel „Heidi kann brauchen was es

gelernt hat“.

 

Dass „Heidi“ eine dermaßen populäre Laufbahn vorherbestimmt war, sich als Schweizer Nationalmythos in die Annalen der Weltliteratur schreiben sollte, hätte sich die Autorin seinerzeit niemals erträumen lassen.

 

Was macht das Faszinosum „Heidi“ aus? Die Verherrlichung der heilen Alpenwelt, die Bewahrung der eigenen Kindlichkeit wird als gängigstes Argument oft genannt – es ist aber auch das oberflächlichste. Oft wird in analytischen Abhandlungen von der „grundlegenden Erfahrung“ gesprochen, die die Figur verkörpere. Das Spannungsverhältnis von Natur und Kultur, Land und Stadt, Freiheit und Etikette, Ort des Geborgenseins und krankmachendes Heimweh findet sich in den Büchern. Die Geschichte vom Verlust, der durch Industrialisierung und Modernisierung entsteht, geht Menschen weltweit zu Herzen, macht Heidi das unverdorbene Mädel von der Alm zur „Ikone der Moderne“. Und hat selbst heute an Aktualität nichts verloren.

 

 

Mehr als 50 Millionen Exemplare: Der Erfolg der Romane, die mehrfach auf Film gebannt wurden

 

Von Vietnamesisch bis Afrikaans, von Isländisch bis Hebräisch und Japanisch: In knapp 60 Sprachen sind die beiden „Heidi“-Romane Johanna Spyris übersetzt worden und haben so eine Gesamtauflage von über 50 Millionen Exemplaren erreicht (diese Zahlen beziehen sich ausschließlich auf die verkauften Romane, nicht erfasst sind alle Bilderbücher, Bastelbögen, Adaptionen, Hörspiele usw.). Damit gilt „Heidi“ als erfolgreichstes fiktionales deutschsprachiges Buch der Welt. In den USA gelang „Heidi“ schon mit der 1899 erschienenen Übersetzung der Durchbruch. Seither war das Buch nie „out of print". Die Popularität der Romane führte „Heidi“ zwangsläufig zu etlichen Wiederverwertungen.

 

Von Europa bis nach Asien und Amerika gibt es kein Land, das auf der Leinwand und später auch dem Bildschirm nicht die Freuden und Leiden des kleinen Waisenkindes gezeigt hätte, das bei seinem Großvater auf einer Alm im Kanton Graubünden wohnt. Kino, Fernsehen, Theater, Musical, Comic, Internet, ja sogar Geschäft und Politik haben dieser Figur der Kinderliteratur immer wieder Besuche abgestattet.

 

Natürlich wurde auch Hollywood auf die Geschichte aufmerksam. Der erste Stummfilm entstand 1920. 1937 folgte eine sehr freie Romanadaption mit dem damaligen Kinderstar Shirley Temple in der Titelrolle, die erfolgreich an den Kinokassen reüssierte. Weitere Filme, eine Oper und ein „Heidi“-Musical, in dem das Buch mit der Lebensgeschichte von Johanna Spyri verknüpft wurde, folgten im Verlauf der Jahre. 1952 produzierte die Schweiz den ersten deutschsprachigen „Heidi“-Kinofilm, der sehr nahe am Roman blieb und dem ebenfalls großer Erfolg beim Publikum beschieden war.

 

Die Fortsetzung von 1955, „Heidi und Peter“, ziemlich frei nach dem zweiten „Heidi“-Band inszeniert, blieb indes hinter den Erwartungen zurück. Neben zahlreichen weiteren Spielfilmen und TV-Serien erlangte vor allem die japanische Animeserie von HayaoMiyazaki und Isao Takahata aus dem Jahr 1974 große Popularität.

 

Seit Veröffentlichung der ersten japanischen Ausgabe von „Heidi“ 1920 erfuhr Spyris Werk dort intensive Rezeption. Sage und schreibe 123 verschiedene Auflagen der Heidi-Bücher, 21 Mangas, 28 Bilderbücher und diverse Zeichentrickadaptionen zeugen davon. Auch „Heidi“-Themenparks sind in Japan keine Seltenheit.

 

Willkommen in der Welt von „Heidi“

 

Zum internationalen Kultstatus trug dann auch vornehmlich ebenjene japanische Zeichentrickserie bei, die 1977 in Deutschland ausgestrahlt wurde und zu einem der größten globalen TV-Hits avancierte. Bis heute hat kaum etwas das internationale Bild der Heidi so sehr geprägt wie die Zeichentrickserie. Sicher ist es zum Teil auch dieser Serie zu verdanken, dass heute rings um Maienfeld jährlich zehntausende „Heidi“-Fans wandeln. Der Tourismus nahm dort richtig an Fahrt auf, nachdem sich die Gemeinden rings um die Buch-Schauplätze zur „Ferienregion Heidiland“ zusammenschlossen. Das war 1997. Hier bekommen Gäste seither all das serviert, was zu einem ,Heidi‘-Urlaub gehört – Übernachtung auf der „Heidi“-Alm und Spaziergang mit Ziegen inklusive.

 

Informationsquellen: www.literatur.geschichte-schweiz.ch, Wikipedia sowie Rezensionen/Ankündigungen zur Ausstellung „Heidi: Mythos - Marke - Medienstar aus Neue Zürcher Zeitung, taz und Die Zeit.

 

Entnommen dem Presseheft HEIDI von SUTIOCANAL 2015