Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 10. Dezember 2015, Teil 5
Helga Faber
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wer gewerblich Filme schaut, also die Pressevorführungen besucht, um darüber schreiben zu können, der erlebt seit Jahren den Niedergang der publizistischen Begleitung von Filmen durch ausführliche Pressehefte. Ja.man muß schon froh sein, wenn man überhaupt noch Unterlagen erhält, die einen die Daten, die Besetzung in einer Form an die Hand geben, die für die Besprechung einfach wichtig sind.
Bestimmte Verleiher sind nämlich schon lange dazu übergegangen, keine gedruckte Fassungen zu erstellen oder es gibt noch Schriftliches, aber auf Englisch mit einem Deckblatt auf Deutsch. Sie erkennen aus einer solchen Aussage auch, daß die überwiegende Zahl der Filme englischsprachig, hier vor allem US-Produktionen sind. Zu dieser miesen Arbeitssituation für Journalisten steht das Presseheft von HEIDI, vom Filmverleih STUDIOCANAL verantwortet, in diametralem professionellen Gegensatz. Dies wollen wir würdigen und entnehmen dem Heft die beiliegenden Notizen über das Zustandekommen des Films und seine Verfilmung.
Die Anfänge des Projekts
Man wird wohl kaum jemand finden, der mit „Heidi“ nicht ganz spezielle Assoziationen und Erinnerungen verbindet. Manche werden unweigerlich sofort an den Song von Gitti & Erika denken, der die Ausstrahlung der japanischen Serie von Zeichentrickgigant Hayao Miyazaki in den Siebzigerjahren begleitete: „Deine Welt sind die Berge!“ Manche werden an Shirley Temple denken, andere an die Schweizer Adaption aus den Fünfzigerjahren, die zu den Klassikern des deutschsprachigen Nachkriegskinos zählt. Manche werden sofort Assoziationen haben mit einer unberührten Bergidylle. Oder ihnen werden Namen wie Geißenpeter, Almöhi oder Fräulein Rottenmeier durch den Kopf schießen. Und wieder andere werden sich daran erinnern, mit großer Faszination die zeitlosen Romane von Johanna Spyri gelesen zu haben, die „Heidi“ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus der Taufe hob.
Diese Vielzahl verschiedenster Vorstellungen sind natürlich einerseits Fluch: Jeder hat seine ganz persönliche Meinung zu „Heidi“. Andererseits ist der hohe Bekanntheitsgrad auch ein Segen: Man muss niemandem erklären, wer oder was „Heidi“ ist; die Geschichte ist zeitlos; die Themen haben nichts von ihrer Aktualität verloren. Was auch der Hauptgrund ist, warum die Abenteuer des Schweizer Waisenmädchens, das aus seiner Idylle in den Bergen von Graubünden gerissen und nach Frankfurt am Main in einen gutbürgerlichen Haushalt geschickt wird, immer wieder neu erzählt werden kann.
Bereits vor sieben Jahren begannen Reto Schaerli und Lukas Hobi von der Züricher Produktionsfirma Zodiac Pictures, sich intensiv mit der legendären Geschichte zu befassen. „Wie viele Schweizerinnen und Schweizer kenne ich die Geschichte von ‚Heidi’ sehr gut, aber die Bücher hatte ich nie gelesen“, gesteht Lukas Hobi. „Unsere Generation kennt die Geschichte vielmehr von den Animes und den Verfilmungen. Nachdem ich die Romane dann gelesen habe, war ich total begeistert. Ich hatte den Eindruck, dass ich das, was ich da las, in den Filmen so noch nie gesehen hatte. Diese Erkenntnis war die Geburtsstunde des Projekts.“
Und Reto Schaerli fügt hinzu: „Wir Schweizer unterscheiden zwischen Schweizer Verfilmungen und Verfilmungen, die nicht aus der Schweiz heraus entstanden sind. Für uns ist die Landschaft, in der die Geschichte spielt, unglaublich wichtig. Und auch die Gesellschaft und die Armut der Schweiz, so wie sie von Spyri beschrieben wird, haben etwas sehr lokales, so universell die Geschichte auch ist. Die letzte klassische Schweizer Verfilmung liegt schon weit in der Vergangenheit. Sie entstand Anfang der Fünfzigerjahre und war noch in Schwarzweiß gedreht. Wir hatten deshalb gar nicht das Gefühl, dass es bereits etliche Verfilmungen gibt.“
Schaerli räumt aber auch ein: „Trotzdem mussten wir uns die Frage stellen, wie man sich von all den anderen Projekten abgrenzt. Mit Drehbuchautorin Petra Volpe, die von Anfang an in das Projekt involviert war und die Vision des Films stark mitgeprägt hat, haben wir uns intensiv mit dieser Frage auseinandergesetzt. Unser gemeinsamer Ansatz war schnell klar und im Prinzip banal, wir wollten versuchen, den Romanen gerecht zu werden. Was für uns auch hieß, die Teile, die in den Büchern stark von der damaligen Zeit geprägt waren, in Spyris Sinne zu modernisieren.“
Und Lukas Hobi sagt: „Unser Anspruch war es, den Film so zu machen, wie ihn Johanna Spyri für die heutige Zeit hätte haben wollen. Könnte sie ihn heute anschauen, würde sie sagen: ,Genauso und nicht anders‘. Das ist unser Wunsch.“ Auf diese Weise hebt sich der neue HEIDI-Film auch von den ursprünglichen „Heidi“-Filmen aus der Schweiz ab, findet Schaerli: „Die erste Schweizer Verfilmung von 1952 ist sehr stark geprägt von der Nachkriegszeit und davon, wie die Schweiz auf das Ausland geblickt hat. Das hat ihn auf dieser Ebene auch vom Roman entfernt. Spyri war viel ambivalenter. Sie hat auch den Kindern viel zugetraut, ihre Figuren stecken voller emotionaler Wucht. Sie hat sowohl die Figuren als auch die Zeit sehr ernsthaft beschrieben. Das kennt man aus den aktuellen deutschsprachigen Kinderfilmen eigentlich gar nicht mehr. Wir wollten bei all den erwähnten Aspekten mit dem Roman mitgehen. So gesehen, verfolgten wir ein ganz einfaches und sehr klares Konzept, bei dem wir uns immer wieder auf den Roman zurückorientieren konnten.“