Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 14. Januar 2016, Teil 2

 

Kirsten Liese

 

Berlin (Weltexpresso) - Ihr Roman „David Golder“ machte Irène Némirovsky mit einem Schlag bekannt. Aber das unvollendete Opus magnum der ukrainisch-jüdischen Schriftstellerin, das erst 1996 im Nachlass ihrer Tochter Elisabeth zum Vorschein kam, wird vielleicht noch immer unterschätzt.

 

 

Zumindest legt Saul Dibb („Die Herzogin“) mit seiner bewegenden Adaption nahe, dass man die „Suite Francaise“ auch anders deuten kann als jene Literaturkritiker, die der Emigrantin jüdischen Selbsthass unterstellen. Immerhin erzählt Némirovsky, die 1942 kurz nach ihrer Deportation in Auschwitz starb, differenziert von den belasteten Beziehungen von Franzosen und Deutschen im besetzten Frankreich.

 

Die Geschichte beginnt im Sommer 1940. Nach dem Einmarsch der Deutschen flüchten viele Pariser aufs Land. In dem kleinen Ort Bussy lebt Lucile Angellier (Michelle Williams) bei ihrer kaltherzigen Schwiegermutter (Kristin Scott Thomas), die sich weigert, die Realität anzuerkennen und die Pacht von der armen Landbevölkerung eintreiben will, auf dass ihr geliebter Sohn bei seiner Rückkehr aus dem Krieg bestens versorgt sein soll.

 

Zähneknirschend nimmt Madame den deutschen Offizier Bruno Frank (Matthias Schoenaerts) bei sich auf. Auf ihren Befehl hin soll Lucile den Feind verachten, aber das fällt der jungen Frau zunehmend schwerer. Der neue Mitbewohner teilt ihre musischen Interessen und schenkt ihr eine Aufmerksamkeit, die sie seit langem vermisst. Eine zarte Liebe bahnt sich an, sie wird im Widerstreit der Gefühle zwischen Loyalität, Sehnsüchten und Ehrlichkeit für beide immer mehr zu einer Zerreißprobe. Dibb schildert den Verlauf dieser aussichtslosen Liebe sehr berührend und ohne Anflüge von Trivialität.

 

Suite Francaise“ ist dabei nicht nur das Melodram einer verbotenen Affäre, sondern auch ein unpatriotisches, komplexes Gesellschaftspanorama, in dem es seitens beider Nationalitäten Gute und Böse, Rebellen und Obrigkeitshörige, Mutige und Feige gibt. Dass sich die männliche Hauptfigur als ein „Good German“ entpuppt, erscheint dabei dank trefflicher Besetzung mitnichten als ein Indiz für den vermuteten Antisemitismus der zum Christentum konvertierten Buchautorin.

 

Matthias Schoenaerts verkörpert ihn glaubwürdig als einen Mann, der hin- und hergerissen ist zwischen Pflichterfüllung und Instinkt, Empathie und geforderter Härte und unweigerlich auch ein bisschen an jenen Hauptmann Hosenfeld erinnert, der dem jüdischen Pianisten Wladislaw Spilmann zu überleben half und wohl vergessen wäre, wenn nicht Roman Polanski ihm ein cineastisches Denkmal gesetzt hätte.

 

Dass sich die meisten Besatzer freilich eher barbarisch aufführten, zeigt sich an allerhand Nebenfiguren wie dem von Tom Schilling verkörperten widerwärtigen Jungoffizier Bonnet, der verheiratete Frauen sexuell belästigt, oder an dem von Heino Ferch dargestellten gnadenlosen Major, der gegen französische Aufständische mit äußerster Härte vorgeht.

 

Bei alledem ist dies nach „Sarahs Schlüssel“ und „Die Kinder von Paris“ ein weiterer wichtiger Beitrag zur bislang noch etwas spärlichen Aufarbeitung der französischen Kollaboration im Kino. Nur ein Manko wird dem Zuschauer der Originalversion nicht entgehen: Es wirkt nicht sehr authentisch, dass die Franzosen Englisch reden.