37. Max Ophüls Festival Saarbrücken vom 18. bis 24. Januar
Kirsten Liese
Saarbrücken (Weltexpresso) - Ein Gesicht prägt sich besonders ein, mit den etwas ungleichen schmalen Augen und geheimnisvollen Blicken. Odine Johne ist eine aparte Erscheinung und mit ihrer subtilen Mimik eine große Entdeckung.
Wer sie einmal in Johannes Schmids kongenialer Adaption von Peter Stamms gleichnamigem Roman „Agnes“ gesehen hat, möchte sich die Physikerin, die in ihren jungen Jahren schon so besorgt über den Tod sinniert, und mitunter geistesabwesend ins Leere starrt, als sei sie nicht von dieser Welt, nicht mehr anders vorstellen.
Jurys treffen mitunter diskussionswürdige Entscheidungen, aber zumindest mit ihrem Darstellerpreis für diese starke Persönlichkeit lag sie beim 37. Saarbrücker Max Ophüls Festival goldrichtig. „Agnes“ kommt mit dieser einen Nebenauszeichnung gleichwohl viel zu kurz. Der Film überragte den Spielfilmwettbewerb haushoch, bezeugte mit anregenden Dialogen zu zeitlosen, großen Themen, subtiler Psychologie, künstlerischem Anspruch und gutem Geschmack Qualitäten, die im deutschen Kino selten geworden sind.
Ungemein packend erzählt Schmid die Geschichte einer nicht alltäglichen Liebe, die an dem gewagten Versuch scheitert, sie literarisch auszuloten. Eigentlich wollte sich Walter (auch ein unverbrauchtes, ausdrucksstarkes Gesicht im deutschen Kino: Stephan Kampwirth) nur noch auf Sachbücher spezialisieren. Aber dann lässt sich der Intellektuelle doch dazu erweichen, über Agnes und ihre Beziehung zu schreiben. Nur nacherzählen, was er und seine Freundin erleben, will er jedoch nicht: Glück bringt keine guten Geschichten hervor, es muss schon etwas passieren.
Die fiktionalen Freiheiten, die Walter sich gönnt, bleiben wiederum nicht ohne dramatische Folgen für die reale Beziehung. Raffiniert verzahnt der Regisseur die unterschiedlichen Erzählebenen ineinander, so dass auch der Zuschauer auf reizvolle Weise zwischen Imagination und Wirklichkeit die Orientierung verliert.
Noch ein anderes Beziehungsdrama, das die Juroren offenbar ungleich mehr beeindruckte, so dass sie es mit dem Preis des Saarländischen Ministerpräsidenten auszeichneten, bezieht seine Spannung daraus, dass Fantasie und Realität zusehends ineinander verschwimmen.
„Fado“ ist ein - mit stimmungsvollen elegischen Stadt-Impressionen aus Lissabon auch visuell kraftvolles Psychodrama um eine zerstörerische Eifersucht. Fabian ist Doro in die portugiesische Metropole nachgereist, weil er unbedingt mit ihr zusammen sein will. Doro trifft sich aber auch mit einem anderen Mann. Sie sagt, er sei nur ein guter Freund, aber kein Liebhaber, und das klingt irgendwie auch ehrlich. Fabian möchte das glauben, aber schafft das nicht. Wie ein moderner Othello steigert er sich in sein Misstrauen, bis sich seine Bilder in seinem Kopf verselbstständigen und nicht mehr erkennbar ist, ob die tragisch endende Geschichte nur noch aus seiner verzerrten Wahrnehmung ihren Fortlauf nimmt. Wie „Agnes“ endet auch dieses Drama verstörend tragisch. Man denkt noch lange darüber nach.
Die unterschiedlichsten Probleme Heranwachsender sind nach wie vor ein Dauerthema in Saarbrücken. Diesmal rückten dabei die Krisen junger Frauen und Mädchen ins Zentrum. Und noch zwei weitere Trends lassen sich ausmachen: Das junge deutsche Kino wird wieder deutlich kommerzieller. Das zeigt sich vor allem an der musikalischen Untermalung, der Soundtrack fällt oft allzu dick und beliebig aus. Dazu passt es, dass die Nachwuchsfilmer ihre ernsten Themen lieber in versöhnlich endende Feel-Good-Movies verpacken statt in bewegende Sozialdramen. Das gelingt in vielen Fällen angesichts flacher Drehbücher („Ferien“, paradoxerweise ausgezeichnet mit dem Drehbuchpreis) und fragwürdiger Frauenbilder („The Composition“) nicht so überzeugend, so doch aber zumindest in einem recht gut: „Luca tanzt leise“ hat mit einer selbstbewussten Heldin, die sich nach Jahren lähmender Passivität endlich aufrafft, etwas aus ihrem Leben zu machen, eine starke weibliche sympathische Identifikationsfigur. Seit die tierliebe Veganerin einen Hund aus einer Tötungsstation bei sich aufgenommen hat, verfolgt sie wieder ein Ziel. Sie will Tiermedizin studieren, muss dazu aber erst das Abitur nachmachen. Leicht wird das nicht, mit Mathe tut sie sich schwer, zudem gibt es Spannungen mit dem gewalttätigen Exfreund, der ihr in die Quere kommt. Aber trotz all dieser Nöte ist klar: Luca schafft das!
Den mit 36.000 Euro dotierten Max Ophüls Preis gewann der Österreicher Stephan Richter für eine Milieustudie, in der sich zwar kein so interessantes Gesicht entdecken lässt wie das der Odine Johne. Aber zumindest zählt „Einer von uns“ nach einer wahren Begebenheit mit großer Langsamkeit und dokumentarischer Schärfe sehr treffend von der Tristesse und Perspektivlosigkeit in einer österreichischen Vorstadt rund um einen Großmarkt. Bis zum dramatischen Höhepunkt eines tödlich endenden Einbruchs geschieht nicht viel, auf subtile Weise vermitteln sich aber die Spannungen zwischen frustrierten Jugendlichen, Arbeitslosen und Losern und denen, die lustlos und genervt noch ihren Job machen. Es ist kein emotional stark berührender Beitrag zu den bedrückenden Zuständen an den Rändern der Gesellschaft, aber formal ein anspruchsvoller Autorenfilm.