Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 11. Februar 2016, Teil 1

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Vom Familienidyll in die Auflösung aller Werte entführt uns Micha Strawinsky, der nicht nur das Drehbuch schrieb, sondern selbst Regie führte. Daß dies so spannend und psychologisch zwingend geschieht, hat mit der Besetzung des Familienvaters durch Devid Striesow zu tun. Der zeigt minutiös, wo aus einem Lächeln ein Beißen wird. Toll!

 

Ja, wir kennen sie, diese harmoniesüchtigen, so außerordentlich netten Menschen, die immer kompromißbereit ein freundliches Gesicht machen, grüßen, ja auf jeden Fall grüßen, denn dann hat man schon die Markierung gesetzt. Das sind die Leute, der Glas nicht nur immer halbvoll, sondern mindestens dreiviertelvoll ist und die vor guter Laune nur so sprühen, die zudem allem gegenüber offen und tolerant tun, ja, nur tun, nicht sind, denn wehe, wenn auf einmal etwas aus dem Ruder läuft, wenn Nettsein nicht mehr langt, dann kommt das schwarze Loch, das Nichts und zwar gewaltig. Wir hören erst später im Film davon, was sich dieser Thomas (Devid Striesow) geleistet hatte und mit uns hören auch zum ersten Mal die Ehefrau (Maren Eggert) und Tochter Jenny (Lotte Becker), diesen Vorgang, der einen Prozeß nach sich zog, in dem er zur Therapie gerichtlich verdonnert wurde. Wie gesagt, die Familie weiß von nichts. Dabei strahlen einen die himmelblauen Augen von Devid Striesow so ehrlich an.

 

Aber das ist gut so, denn auch wir fallen erst einmal auf diesen so netten Familienvater herein. Denn die Tochter nervt doch, das merkt man, und mit der Ehefrau ist auch nicht alles ganz koscher. Die will nämlich den Urlaub nur als Möglichkeit nutzen, ihren Roman endlich fertig zuschreiben, weil sie zu Hause zu nichts kommt. Unsere ganze Sympathie gehört also diesem Netten, das hat der Regisseur gut hinbekommen, der es mit seinen zwei Weibern nicht leicht hat, wo er doch deren Lebensgrundlage schafft. Er ist Freiberufler, Literaturkritiker, da muß man sich schon mit den Chefs gut stellen, aber bei ihm so scheint es, ist es seine, ja eben Nettigkeit, warum er auf Bitten seines Chefs dessen 15jährige Tochter Sara (Annina Walt) in den geplanten Familienskiurlaub in die Schweizer Berge mitnimmt, was weder Frau noch Tochter gefällt.

 

Die Fahrt geht los, wir sehen die beiden Mädchen bei ihrem Abgrenzungstheater und Fremdeln und alle wissen sofort, was da alles assoziiert wird, von jedem Zuschauer, der schon mal im Auto mit Familie in die Ferien fuhr. Wetten, das sind alle, fast alle. Da hören wir genau zu und schauen genau hin, es sind Kleinigkeiten, an denen wir uns erst mal orientieren müssen, denn wir wissen ja buchstäblich nicht, wohin die Fahrt in die Schweizer Berge geht. Wohin sie filmisch geht. Schnell sind sie angekommen, aber noch ist das Heim, das sie jedes Jahr wählen, nicht geheizt und während wir noch denken, aha, jetzt wird uns die Wertschätzung vorgezeigt, die Thomas bei den Einheimischen genießt, da der Hausbesitzer sofort seinen Sohn schickt, wissen wir später, daß die Szene auch dem Auftauchen des jungen Ruedi (Stéphane Maeder) dient. Davon später.

 

Erst einmal geht der Skiurlaub los und noch immer haben wir den gutgelaunten Familienvater vor uns, der alles tut, um seine Lieben zufriedenzustellen. Doch, das haben wir jetzt schon gemerkt, daß hinter seiner Freundlichkeit so etwas wie Zwang hervorlugt. Er kann nicht anders. Er will beliebt sein, auch bei der Tochter und der Tochter seines Chefs. Was die alles ihremVater über ihn erzählen könnte. Und weil er abhängig von Bestätigung ist, läßt er die Aussage seiner Frau, daß die Mädchens noch zu jung für diese abendliche Party von Ruedi sind, an sich vorbeirauschen und macht das Gegenteil: er erlaubt den beiden, auf die ländliche Party zu gehen.

 

Als die Tochter nicht zur verabredeten Zeit heimkommt, fährt Thomas hin und ist sichtlich ungehalten über ihren Zustand und auch, daß Sarah verschwunden ist. Dabei wollte deren Vater sie telefonisch sprechen. Als sie auftaucht, derangiert und verstört, meint er, daß mit Ausschlafen alles zu regeln ist. Er überhört ihre Andeutungen und dann, als er erfaßt, daß sie vergewaltigt worden ist, noch dazu vom Sohn ihres Gastwirts Ruedi, redet er das hinweg, dann will er mit ihr zur Polizei und die beiden versichern sich ständig aus ganz unterschiedlichen Gründen, daß es jetzt nicht passe, zumal Anfassen, wie Thomas sagt, ja nicht gleich eine Vergewaltigung ist.

 

Mehr wollen wir gar nicht ausführen, denn nachdem diese Situation da ist, wird klar, es muß etwas passieren. Aber was? Thomas gerät an seine Grenzen und verhält sich so, wie er immer ist, wenn er überfordert ist. Er hat Angst, denkt man zwischendrinnen beim Zuschauen. Angst wovor? Am meisten vor sich selber. Aus gutem Grund. Aus dem netten Familienvater kann ein ganz ander werden und wir erinnern uns an Wolf Biermann, der sang: „Jeden Samstag geht der nette, fette Vater einen Eimer Kohlen holen, aus dem Keller für das Bad, daß er sau-, daß er sau-, daß er saubre Kinder hat“ (aus dem Gedächtnis), was sehr blutig ausgeht.

 

So weit sind wir in der Schweiz noch nicht. Aber es geht zur Sache und mit der Gemütlichkeit ist es vorbei. Gut gemacht, gut gespielt, sehr erfreulich.