Die Wettbewerbsfilme der 66. Berlinale vom 11. bis 21. Februar 2016, Film 4

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Zu Beginn sieht man einen langen schlanken Mann, der als Typ Ähnlichkeit mit Pep Guardiola hat, nur älter, auf einer unglaublich grünen Wiese umrandet von Wald stehen, über der ein Hubschrauber kreist, der das hochgewachsene Gras in alle Richtungen aufwirbeln läßt. Es ist der mittelschwere Sturm, der auch das Innerste von Boris Malinovsky bewegt.

 

Und am Schluß sieht man dieselbe Einstellung und wieder fegt der Hubschrauberwind das Grün hin und her, aber Boris Malinovsky hat innerlich Ruhe gefunden. Die Ruhe nach dem Sturm. Schnell stellen wir fest, daß wir im französischen Kanada mit dem Russen Malinovsky ein Ekelpaket der besonderen Art erleben: gut aussehend, sehr reich auf Grund seiner Unternehmen, mit einer schönen, blonden Ministerin der kanadischen Regierung verheiratet, mit eins-zwei anderen Damen liiert, ein Lebemann, der sich auch noch für Kunst interessiert und eine derartige Arroganz an den Tag legt, daß niemand so richtig mit ihm zu tun haben möchte.

 

Das ist das eine. Das andere ist, daß seine Göttergattin einer Depression verfallen ist, zu der, heißt es, eine schwere Melancholie hinzukommt, wo wir das doch im Kern für dasselbe hielten.Sie ist völlig apathisch, also nicht ansprechbar und wird von Karla betreut, einer jungen Russin. Natürlich fragt sich der Zuschauer sofort, was soll das denn, was bedeutet das, daß hier russische Brocken fallen? Ist das ein Seitenhieb auf reiche Russen. I wo!! Den Boris gibt der des Russischen mächtige Schauspieler James Hyndman und Klara die geborene Russin Isolda Dychauk, die Drehbuchschreiber und Regisseur Denis Coté auf einer der Berlinalen hier kennengelernt hatte. Und durch die gemeinsame Sprachkenntnisse von Hauptdarsteller und ihr lag es nahe, sie zu Russen zu machen und so im Film dadurch zwischen beiden eine besondere Nähe herzustellen.

 

Wir erleben nun mit, wie dieser selbstsichere und selbstbezogene Mann, der über alles und jeden Kontrolle ausüben möchte, ins Straucheln gerät, weil sein Erfolgsrezept, als erfolgreicher Forderer der Welt gegenüber dazustehen, keine Basis mehr hat, denn er liebt seine Frau Beatrice (Simone-Elise Girard), auch wenn das niemand merken kann, er selbst schon gar nicht. Ihre Apathie und Hilflosigkeit ist mit Geld nicht aufzuwiegen und – so möchte es der Regisseur gerne – führt bei Boris zu tiefen Erschütterungen seines Selbst, die ihn wenigstens ein wenig läutern. So schafft er als erstes seine Geliebte ab, was diese mit einer Verwüstung seiner Landhauses beantwortet, da nämlich, wo seine kranke Frau von Karla gepflegt wird und wohin der Premierminister des Landes auf Visite vorbeikommt. Den spielt Bruce La Bruce, selbst ein bekannter, geradezu kulthaft verehrter Regisseur und ehrlich gesagt, ist dies die einzige wirklich überraschende Szene, so warmherzig und menschlich souverän erscheint dieser, der seine Ministerin gesund und in seiner Regierung tätig sehen will.

 

Und dann gibt es neben der Tochter, die als ungebärdige junge Frau dennoch kein Problem damit hat, vom Geld des Vaters gut zu leben, auch noch die Mutter von Boris, die in einem Altersheim lebt. Und in diesem Altersheim lebt auch Mister Lewis, der zum Schluß mit Mutter und Tochter von Boris zu Besuch ins Landhaus kommt und sich als der Unbekannte herausstellt, der seit Wochen Boris belästigt und ihn Fragen nach seinem Selbst, nach seinem Leben, seinen Hoffnungen, Einschätzungen und Verhaltensweisen stellt und Boris damit sowohl herausfordert wie auch belästigt.

 

Eine Lesart dieses Unbekannten gab einem der Regisseur in dem anschließenden Pressegespräch an die Hand: ist dieser Unbekannte vielleicht das zuvor verdrängte Selbst des Boris? Wie auch immer, dieser rätselhafte Typ ist die Stimme des Zweifels an den schnellen Erklärungen für die Welt und erst als sich Boris darauf einläßt, wird auch seine Frau gesund.

 

Interessant übrigens, daß wir schon wieder einem Mann zusehen müssen, der mit dem Leben nicht mehr zurechtkommt, weil er glaubt, alles bestimmen zu können, und der durch Frauen aufgerichtet zu verstehen lernt, daß er sich ändern muß. Der Schluß sei offen? Eigentlich nicht, denn die Ehe geht weiter und solche Zwischenergebnisse wie, daß der Ehemann vielleicht Anlaß des Fallens in die Depression der Ehefrau ist, fallen unter den Tisch. Nein, überzeugend ist das alles nicht, sehr konstruiert und alles darauf ausgerichtet, daß Boris lernfähig wird.