Die Wettbewerbsfilme der 66. Berlinale vom 11. bis 21. Februar 2016, Film 2

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Was sofort bei dieser Berlinale auffällt, das ist, daß Filme um Männer kreisen, wo die Frauen die Funktion erhalten, diese Männer zu Verstand zu bringen, ihre Gefühle frei zu legen und sie sozusagen zu sich selber zu bringen. Ob das damit zu tun hat, daß bisher nur Männer in Berlin im Wettbewerb Filme zeigten und von den 23 Filmen nur zwei von einer Frau gedreht wurden?

 

Grundsätzlich nicht, denn im letzten Jahr war es eine unkonventionelle Amerikanerin, die Juliette Binoche unter der Regie von Isabel Coixet im Eröffnungsfilm hinlegte und der sogleich mit THE QUEEN OF THE DESERT ein Film mit Nicole Kidman folgte, von Werner Herzog. Diesmal also 21 Männer und nur zwei Frauen und dann kreisen die Filme bisher auch nur um Männer. Also, es geht um Hedi (Majd Mastoura), einen jungen Tunesier, dessen Name im Arabischen auch die Bedeutung von „Bleib ruhig“ hat. Wir erleben ihn direkt vor seiner Hochzeit mit einer hübschen,mehr als belanglosen jungen Frau, deren Vater reich ist und Hedi eine herausgehobene Beschäftigung anbietet, denn dieser ist im Moment ein Vertreter von Peugeot, der von seiner Erfolglosigkeit schon überzeugt, lieber am Strand in der Sonne liegt und schwimmt.

 

Arrangiert hat sein Leben bisher seine Mutter, die eine typische arabische bestimmende und ständig quasselnde und Anweisungen verteilende Mutter ist, die aber interessant gezeichnet ist, weil sie ein Sensorium dafür entwickelt, daß es ihrem Sohn nicht gut geht und sie immer wieder, statt ihn weiter durch Kleinmachen zu reizen, schweigt. Es gibt noch den älteren Bruder, der in Frankreich lebt und zur Hochzeit nach Hause kommt und den die Mutter dem jüngeren Hedi immer als leuchtendes Beispiel vor Augen führt.

 

Mit zwei filmischen Mitteln bringt uns der Regisseur die Gefühlswelt des schweigenden Hedi nahe. Das eine ist das Schweigen selbst, das Hedi gegenüber der Verlobten und der ganzen Welt zeigt, wo er sich aber in eine Quasselstrippe verwandelt, als er Rim (Rym Ben Messaoud) kennenlernt, lieben lernt, liebt. Das ist fein gezeichnet. Und ein kleines Detail verrät, daß sich der Regisseur schon im Klaren ist, wie Männer ticken. Wir sind dabei, wenn Hedi, der im Hotel der Tanzgruppe der Animateuren zugeschaut hatte, wenn Hedi also durch ein Guckfenster den schönen nackten Rücken einer Tänzerin sieht und als nächstes zum mobilen Telefon greift und seiner Verlobten eine SMS schickt, er vermisse sie.

 

Dabei wissen wir längst, daß dies nur verbale Ergüsse sind, denn diese junge Frau, die er heiraten soll, ist ihm gleichgültig und als er mit Rim auf eine selbstsichere und lebenslustige, einfach erwachsene Frau stößt, erlebt er Liebe und ist nicht mehr derselbe. Er will mit Rim zum nächsten Engagement nach Frankreich, nach Montpellier reisen, die Hochzeit platzen lassen, seine beruflichen Möglichkeiten auch und die Mutter auf der Wohnung, die sie im eigenen Haus für den Sohn geschaffen hatte wie die Braut sitzen lassen.

 

Daß er sich wirklich verändert hat, zeigt aber das Filmende, das im Kollegenkreis für lebhafte Debatten sorgte: Er kommt einfach nicht zu seiner Hochzeit, erzählt schließlich alles seiner Mutter, sein Bruder unterstützt ihn sogar bei der Absicht ,nach Frankreich zu gehen, er packt, sieht noch einmal ins Schlafzimmer seiner Mutter, die schläft, fährt zum Flughafen, nimmt Rim in den Arm und sagt ihr, er könne nicht mit ihr nach Frankreich gehen. Sie, tief getroffen, versteht aber, umarmt ihn fest und ist weg.

 

Wie der Lebensweg von Hedi weitergeht, ist offen. Es geht aber letzten Endes um die altbekannten Fragen von Flüchten oder Standhalten (Buch von Horst-Eberhard Richter). Denn nachdem Hedi durch die Beziehung mit Rim in sich Kräfte entdeckt, die schlummerten, will er sein Leben jetzt erstmals und endlich selbst in die Hand nehmen. Wohin die Reise geht, ist nicht das Wichtigste, sondern, daß er sie begonnen hat.

 

Natürlich ist diese private Geschichte im Tunesien nach dem Arabischen Frühling gar nicht anders als politisch zu interpretieren. Dieser Film, der übrigens der erste arabisch sprechende seit 20 Jahren ist, ist ein Plädoyer für das sich Einmischen in sein eigenes Leben, was die Voraussetzung ist, sich auch im Gemeinwesen, sprich Tunesien einzumischen, also Demokratie zu leben. Natürlich muß man bleiben, wenn man dort etwas ändern will.

 

Darum verblüffte in der Pressekonferenz am Schluß noch der Darsteller des Hedi. Der hatte nämlich den umgekehrten Weg gewählt. Nach den Dreharbeiten ging er – kein Witz, sondern höchstens Ironie der Geschichte – nach Montpellier, wo er künstlerisch sich Anregungen und Ausbildung erhofft, die ihm Tunesien nicht bieten kann. Eine solche Lösung aber hätte den Film ins Belanglose gekippt. In vielen Details zeigt Regisseur Mohamed Ben Attia das von ihm noch etwas zu erwarte ist.