Die Filme der 66. Berlinale vom 11. bis 21. Februar 2016, Teil 1
Kirsten Liese
Berlin (Weltexpresso) - Über das deutsche Kino wird viel geklagt: Trotz hoher Filmförderung brachte es in jüngerer Zeit nur wenige bedeutsame Produktionen hervor, im Ausland kommt es selten an. Gleichwohl zeigt sich auf der 66. Berlinale, dass es weitaus besser ist als sein Ruf.
Das zeigt sich insbesondere an dem jüngsten Werk von Doris Dörrie, das sich einmal nicht so überdreht und betont skurril gibt wie so manche ihrer früheren Komödien, sondern bemerkenswert anspruchsvoll. In den schwarz-weiß gehaltenen Bildern einer ausradierten Landschaft widmet sich „Grüße aus Fukushima“ existenziellen Fragen: Was passiert, wenn ein Mensch alles und jeden verliert? Was bleibt, wenn nichts mehr ist? Eine junge Deutsche reist mit einer Gruppe von Clowns in das 2015 wieder freigegebene japanische Sperrgebiet, um die vergessenen Alten, die vor der atomaren Katastrophe fliehen mussten, in ihren Dauer-Notunterkünften zu bespaßen.
Eine ehemalige Geisha will sich mit ihrem Schicksal nicht abfinden und macht sich daran, ihr verwüstetes Haus, sprich ihr altes Leben zurückzuerobern. Die junge Deutsche, die sich nach einer geplatzten Hochzeit ebenso auf einer Sinnsuche befindet, hilft ihr dabei.
Mit psychologischem Gespür und subtilem Witz schildert Dörrie, wie sich die beiden eigenwilligen, ungleichen Frauen– eine grazile Dame die eine, ein unbeholfenes Trampel die andere- aneinander annähern. Ihre unterschiedlichen Wesenszüge sorgen für Reibungen, aber sie finden auch zueinander. In der schönsten Szene lehrt uns die Geisha, wie man seiner angeschlagenen Seele mit einer Tasse Tee etwas Erleichterung verschafft, wie man die Tasse langsam an den Mund führt, den heißen Dampf genüsslich einatmet und einen Schluck nimmt.
Auch der einzige deutsche Beitrag im Wettbewerb, „24 Wochen“ , präsentiert das heimische Kino von seiner guten Seite, was umso beachtlicher ist, als dass es sich um einen Studenten-Abschlussfilm handelt, den zweiten auf einer Berlinale überhaupt. Die treffliche Julia Jentsch, seit ihrem Erfolgsfilm „Sophie Scholl“ seltener im Kino, ist hier Astrid, eine namhafte, schwangere Kabarettistin, die mit ihrem Lebensgefährten in schwierige Entscheidungsnöte gerät, als sie erfährt, dass das Kind in ihrem Bauch mit einem schweren Herzfehler und Down-Syndrom zur Welt kommen würde. Sie möchte sich gerne für das Kind entscheiden, gelangt aber schweren Herzens zunehmend zur der Erkenntnis, dass sie sich mit einem so schwer behinderten Kind überfordern würde.
Die Regisseurin Anne Zohra Berrached, Tochter einer deutschen Zahntechnikerin und eines Algeriers, inszeniert das leise Seelendrama berührend und mit realen Ärzten, die sich selbst spielen, auch sehr authentisch. Konsequent und bis ins letzte Detail zeichnet sie den für die junge Mutter schmerzhaften Prozess einer Spätabtreibung nach.
Nicht zum ersten Mal kommt es allerdings auch vor, dass Berlinale-Chef Dieter Kosslick herausragende deutsche Kinoproduktionen ignoriert, um nicht zu sagen eine Absage erteilt. In den vergangenen Jahren betraf das beispielsweise Margarethe von Trottas preisgekrönte „Hannah Arendt“ oder Oskar Roehlers packendes Familienporträt „Quellen des Lebens“. Diesmal mag man sich nicht auswundern, warum das mit Heino Ferch und Samuel Finzi trefflich besetzte Biopic „Fritz Lang“ (ab April im Kino), am Rande der Berlinale in einer Sondervorführung zu entdecken, nicht in das Festivalprogramm aufgenommen wurde.
Ungemein packend zeichnet Gordian Maugg die Entstehungsgeschichte von Langs Meisterwerk „M-Eine Stadt sucht einen Mörder“ nach und setzt sie in Beziehung zu dem unaufgeklärten Todesfall von Langs erster Ehefrau Elisabeth, in den der Filmemacher und seine damalige Geliebte und zweite Ehefrau Thea von Harbou auf mysteriöse Weise verstrickt waren. Der Film hätte ideal mit der diesjährigen Retrospektive korrespondiert: Fritz Langs frühes Meisterwerk „Der müde Tod“, eine grandiose zeitlose Parabel um die großen Themen Leben, Liebe und Tod, wiederaufgeführt in einer brillant restaurierten Fassung und mit einer neuen Musik von Cornelius Schwehr, bildete einen Höhepunkt dieser Berlinale.
Bei aller Kritik macht das Festival aber auch Fortschritte: Erstmals werden alle Beiträge im Wettbewerb mit deutschen und englischen Untertiteln gezeigt! In Cannes und Venedig, ungleich selbstbewusster in der Haltung zur eigenen nationalen Identität, sind Untertitel in der Landessprache schon immer selbstverständlich, in Berlin waren sie das bislang keineswegs. In den Nebensektionen ist man zwar noch nicht so weit, aber das kann ja noch kommen.