Die Wettbewerbsfilme der 66. Berlinale vom 11. bis 21. Februar 2016, Film 11/23

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Der Tag fing gut an, als um 9 Uhr – so ist das täglich – der neueste Film von Danis Tanovic im Berlinale Palast lief, ein bosnischer Regisseur, der schon oft in Berlin war und auch Preise erhielt. Sein Film zum 100 Jahre Jubiläum des Attentats auf den österreichischen Thronfolger, das Auslöser für den Ersten Weltkrieg wurde, ist eine amüsante und hintergründige Collage.

 

Collage ist hier innerlich gemeint, denn er bindet Ereignisse zusammen, die eine absurde Kombination ergeben, von daher aber rasant den Zuschauer mit auf eine Reise nehmen, wo Intellektuelles sich mit Komik paart, vor allem es unaufhörlich vorwärts geht, mit der Kamera nämlich, der wir staunend durch alle Gänge des Hotels folgen in einer Geschwindigkeit, daß man sich fragt, wie dieser Kameramann das fertigbrachte. Im Ergebnis bewirkt aber schon alleine die Kamera den leichten Schwindel, der dazu gehört, daß man diesen Film richtig genießen kann, als intellektuellen Spaß nämlich.

 

Mit dem Direktor des Hotels begrüßen wir den Hauptredner des Ereignisses, wenn nämlich der Empfang diplomatischer Ehrengäste zum Jubiläum stattfindet. Aus Versehen hat der Sicherheitsdienst gleich wie eine Überwachungsmaschinerie gearbeitet und das Zimmer des hohen Herrn mit Kameras ausgestattet, so daß wir seine Vorbereitung auf die Rede im Überwachungsraum des Hotels auf dem Monitor mitbekommen. Hauptereignis ist jedoch, daß zum selben Zeitpunkt das Personal streiken will, weil sie seit Monaten kein Geld gesehen haben, der Hoteldirektor jedoch genau für diese Ehrengäste und das Jubiläum Geld erhalten soll, mit dem er auszahlen kann.

 

In ein und derselben Familie wird nun gegeneinandergearbeitet. Die Assistentin des Chefs, die umtriebige und zielstrebige Lamija ist die Tochter der Wäscherin, die zur Sprecherin der Streikenden bestimmt wird – und wird natürlich vom Chef entlassen. Auch hier der Irrsinn, daß die beste Mitarbeiterin gehen muß, obwohl dies nur aus Sippenhaft geschieht, denn sie lehnt den Streik total ab. Hier passieren dauernd Dinge, die als Resultat ein völliges Gegeneinander und unbeabsichtigtes Skandalon ergeben – das aber mit einer zielgerichteten Konsequenz. Das ist schon sehr gut beobachtet und in Form gebracht worden, was wir in den Kellern des Hotels und der Chefetage hier mitbekommen.

 

Der Film beginnt aber oben auf dem Dach, wo eine kundige Fernsehreporterin (Vedrana Seksan) alle möglichen Experten befragt, die über das damalige Attentat sprechen und die Auswirkungen auf heute reflektieren. Interessanterweise sind das nicht nur Historiker, sondern auch ein Designprofessor, wir würden sagen ein Kunsthistoriker, der über die je unterschiedliche Einstellung zum erfolgreichen Attentat von Gavrilo Princip sprechen, den die einen als Verbrecher verachten, die anderen als Nationalhelden verehren, je nachdem, wer gerade politisch an der Macht war.

 

Das ist so was von spannend und doch auch für den historisch Bewanderten eine schwierige Materie, weil es nicht um die Großwetterlage geht, sondern um die regionalen Befindlichkeiten zwischen Serben, Bosniern und denen aus Herzegowina. Wie stark die Geschichte ihren Schatten auf heute wirft und keine Beweglichkeit im gegenseitigen Verhältnis der Völker zuläßt, brachte Regisseur Danis Tanovic, der mit AUS DEM LEBEN EINES SCHROTTHÄNDLERS 2013 erfolgreich auf der Berlinale war – ein Film, der uns als peinlich affirmativ nicht gefiel und auch negative Nachwirkungen hatte – in einem interessanten Zitat unter, das in die Richtung geht, daß der, wer als Volk eine so schreckliche Vergangenheit habe, und eine nicht auszuhaltende Gegenwart, daß der Gott sei Dank auch keine Zukunft habe. Zynischer, aber auch skurriler kann man das überhaupt nicht ausdrücken. Und der innewohnende feine Witz, die Ironie, wie sich hier die doch so ähnlichen Nachbarn gegenseitig messen, der wird durch das Geschehen auf der Leinwand wirklich hergestellt. Absurditäten, die kein Maß finden. Daraus folgerte der Regisseur auf der anschließenden Pressekonferenz: „Man müßte die Geschichte vergessen können, weil sie sich immer wiederholt.“ Und damit sie sich nicht wiederholt, dagegen steht dieser Film.

 

Natürlich denkt kein Mensch daran, daß ein Film das Weltbild der verfeindeten Nachbarn ändern könne. Aber über die Situation zu lachen, bringt schon die erste Entspannung. Und lachen können Sie in diesem Film über vieles. Wir müssen erst einmal die Situation weiterbeschreiben. Es war längst der wichtigste Redner und von daher wichtigste Gast im Hotel eingetroffen, das ist der den Hauptredner mimende Jacques Weber, der sich selber spielt und aus dem Stück rezitiert, was auf den Zuschauer aber im Film so wirkt, als ob er seine Rede vor dem erlauchten Jubiläumspublikum gleich halten werde und die besonders schmissigen Stellen noch ein wenig übe.

 

Auf dem Podium der Pressekonferenz nach der Filmvorführung spricht Jacques Weber über die Verlängerung des Theaterstücks in den Film hinein, mit dem man sich auseinandersetzen muß, der Autor Bernard-Henri Lévy, Verfasser des Theaterstück ist ebenfalls gekommen. Levy war immer ein Freund von Bosnien, er wollte die Gelegenheit nicht verpassen..