MITTENDRIN. Persönliches Tagebuch der BERLINALE 2016 vom 11. bis 21. Februar, Tag 5
Hanswerner Kruse
Berlin (Weltexpresso) - Gestern hatte ich einen Interview-Tag und musste die Berlinale meiden, Enthaltsamkeit, die mir nicht leicht fiel. Doch die Gesprächstermine mit Lea van Acken, die in „Das Tagebuch der Anne Frank“ die Hauptrolle spielt, und der Regisseurin Doris Dörrie („Grüße aus Fukushima“) hatte ich bereits während meiner langen Reise vor der Berlinale von Thailand aus organisiert. Dadurch verpasste ich zwar einige Wettbewerbsfilme, aber die Distanz hat mir gut getan.
Die Festspiele haben einen ungeheuren Sog, denn wann kann man schon mal so viele gute Werke hintereinander sehen? Ebenso wie viele Kollegen überfordere ich mich dadurch häufig. Dennoch werde ich nicht alle Wettbewerbsfilme schaffen können, denn ich bin überdies ein „Quergänger“. Will man Streifen aus anderen Bereichen anschauen, überschneiden sich die fast immer mit den Vorstellungen im Wettbewerb.
Am Wochenende habe ich in der Reihe „Berlinale Classics“ die aufwendig digital rekonstruierte Fassung von Fritz Langs „Der müde Tod“ (1921) erlebt. Die Premiere wurde vom Berliner Rundfunkorchester mit einer neu komponierten Tonfilmmusik begleitet.
Außerdem sah ich in der Sparte „Retrospektive Ost / West“ den in der DDR verbotenen Streifen „Karla“ (1966). Der nie mehr öffentlich gezeigte Film erfasste die kritische Aufbruchsstimmung, die seinerzeit nicht nur das neue westeuropäische Kino prägte. Auch Karla war eine unkonventionelle, sozial engagierte und nach der Wahrheit Suchende.
Die Streifen sind zwar ein Stück Kinogeschichte - in schwarz-weiß und mit sehr langen Einstellungen. Dennoch haben beide Filme immer noch eine starke Wirkung und sind überraschend spannend. Um ihr Thema „stark zu akzentuieren“ (Dörrie), greifen heutzutage Filmemacher auch immer mal wieder auf das S/W-Format zurück.