Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 3. März 2016, Teil 5

 

Elke Eich

 

Berlin (Weltexpresso) –Am Mittwoch, 24. Februar, hatten wir den ersten Teil des Interviews, das Elke Eich mit Ulrich Noethen führte, veröffentlicht. Darin ging es sehr intensiv um seine Verkörperung des Hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer in dem dritten Spielfilm um dessen Person. Wir hatten den zweiten Teil des Interviews zur heutigen Veröffentlichung im Zusammenhang mit dem Film und dem Gespräch mit Lea van Ackern abgetrennt. Die Redaktion

 

Als Fritz Bauer waren Sie eine Vaterfigur für das demokratische Deutschland, die historisch belegt ist.

Wie haben Sie die Figur des Vaters von Anne Frank angelegt?

 

Das ist ein Vater, der versucht, die richtigen Entscheidungen zu treffen und der sagt: „Ich treffe die Entscheidungen!“ Die um ihn herum fragen dann: „War das die richtige Entscheidung?“ Und damit der ganze Salat nicht auseinander fällt, sagt er: „Ja, das ist die richtige Entscheidung!“ Und dabei ist er sich selbst gar nicht darüber im Klaren, wie sehr er selbst eigentlich an diese Antwort glaubt. Das macht die Figur von Otto Frank aus.

 

 

Ich würde Otto Frank als Mut-Macher bezeichnen!

 

Ja, er ist der Fels in der Brandung und versucht, all das Kleinmütige wegzulassen, weil es ihm um die Verantwortung für die Familie geht. Er sagt sich, dass er die richtigen Entscheidungen treffen muss, weil sie in einer lebensbedrohlichen Situation sind. Was soll man sonst tun?

 

 

Die Entscheidungen der Franks wurden ja in Etappen getroffen.

 

Es fängt schon ganz am Anfang des Films im Urlaub an, als es um die kommende Bedrohung geht und sich die Frage des Umgangs damit stellt. Und es wird die Entscheidung getroffen, nach Holland zu gehen und dort eine Existenz aufzubauen. Dann kommt die Gefahr noch näher, und dann heißt es: „Wir gehen in dieses Versteck.“ Und immer scheint es die richtige Entscheidung zu sein. Aber jedes Mal fragt man sich, ob es denn wirklich die richtige Entscheidung war. Ist denn nicht schon die Entscheidung, nach Holland zu gehen, die falsche gewesen? Aber es geht sehr darum, die Richtigkeit einer Entscheidung zu behaupten und sie dann auch durchzuziehen.

 

 

Fatal hat sich ja ausgewirkt, dass man sich die Ausmaße des Schrecklichen nicht vorstellen kann oder will, bzw., dass die Dimensionen des Dramas verdrängt wurden.

 

Genau. Und die Einschätzungen der kommenden Gefahr waren ja damals sehr unterschiedlich. Einige haben sofort die Konsequenzen gezogen und gesagt: „Weg von hier!“ Und für andere war das Ausmaß der Barbarei nicht vorstellbar. Nein, für Niemanden.

 

 

Wie viel von ihnen selbst steckt eigentlich in der Rolle des Otto Frank?

 

Eine Rolle setzt sich ja zusammen aus dem, was im Drehbuch steht, was eine Figur sagt, was sie tut und was sie anhat. Und dann prägen die Menschen, die sie umgeben, und die Umgebung, in der sie sich befindet. Dazu kommen die Fantasien des Regisseurs und die Kamera. Natürlich ist wesentlich, dass ich auf mir als Instrument sozusagen diesen Part spiele – mit meinen Fantasien und Projektionen und mit meiner Vorstellung davon, was es heißt, ein Vater zu sein, der versucht, Verantwortung zu übernehmen. Insofern steckt in jeder Rolle auch viel von mir drin. Aber ich finde, diese Frage berührt das, was Schauspielerei überhaupt ist.

 

 

Die Familie Frank und noch andere Menschen haben über viele Monate in einem Versteck ausgeharrt. Können Sie sich in der Realität eine Situation vorstellen, in der Sie so lange mit Menschen auf solch einem engen Raum zusammen sind?

 

Bis zu einem gewissen Punkt.

Da fällt mir ein: Das ist ja nicht die einzige Situation im Film, in der es eine geschlossene Gesellschaft gibt, aus der man nicht raus kommt. Das ist ja ein immer wiederkehrendes Narrativ: Leute, die zusammen gepfercht sind, z.B. im Fahrstuhl, der steckenbleibt. Oder in „Das Boot“. In „The Hateful 8“ haben wir es jetzt auch wieder, anders.

 

 

Der Stoff der Anne Frank wurde schon oft inszeniert. Was ist für sie das ganz Besondere dieses Films?

 

Das Besondere für mich ist, dass wir Anne ganz in den Mittelpunkt gestellt haben. Das hat sich auch im Schnitt erst so richtig gezeigt. Dass wir ganz nah bei diesem Mädchen sind, und dass es ein heutiges, ganz normales Mädchen ist: mit Wünschen, Träumen und Sehnsüchten, mit Fragen an die Umwelt und an die Erwachsenen, an sich selbst und an ihren Körper.

 

 

Der Film kommt sicher auch gut bei Schülern an.

 

Es gab ein Vorführung bei der Universal mit einer Schulklasse, und alle waren erst mal sehr aufgedreht. Dann schauten sie sich den Film an und sind plötzlich ganz dabei. Und dann der bezeichnende Kommentar von einem von denen, die vorher das große Wort geschwungen haben: „Die kenne ich! Die ist wie ein Mädchen in meiner Klasse.“

 

Für mich ist auch wichtig, dass wir in einer modernen Filmsprache diese exemplarische Geschichte von Anne Frank einer jungen Generation heute weiter erzählen. Und wir haben es vermieden, sie auf einen Sockel zu stellen, sie als Ikone sozusagen von schräg unten bewundernd und als Opfer zu betrachten.

 

 

Es wurde definitiv vermieden, Anne Frank als Mythos zu inszenieren.

 

Ich glaube, Empathie funktioniert nur, wenn ich sagen kann, die ist relativ normal und mit der kann ich mich gut identifizieren. Und es ist gut, zu bemerken, dass sie kein Genie und keine Heilige ist.

 

 

Wie war denn die Zusammenarbeit mit Lea van Acken, Ihre Filmtochter Anne?

 

Ich habe wahnsinnig große Hochachtung vor ihr! Sie hat natürlich dieses Gewicht auf ihren Schultern gespürt und ist mit allen Fasern ihres Körpers durch diese Produktion durchgegangen. Dann gab es auch Momente, wo es schwierig war, und sie hat immer so viel gewollt. Es ist einfach schön, jemandem zuzuschauen, der so pur und so frisch auf so eine Figur zugeht und noch keine technischen Fertigkeiten hat, mit denen er irgendwas kaschieren kann. Das ist toll, gibt einem selber dann auch zu denken und gibt einem einfach auch sehr viel.

 

 

Info:

Den ersten Teil des Gesprächs von Elke Eich mit Ulrich Noethen finden Sie unter:

 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php?option=com_content&view=article&id=6677:vater-des-bundesdeutschen-rechtsstaats-und-vater-der-anne-frank&catid=79&Itemid=471