Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 3. März 2016, Teil2

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Durchdringend blau sind die Augen des Vaters, des Täters, mit denen er einen von der Leinwand herab anschaut, daß einem das Blut gefriert und man sich sagt, wie sinnig die deutsche Sprache eiskalt mit eisblau paart, wo doch lauter Blut den Film glühend rot färben müßte. Genauso wie man ja auch Leichen im Keller hat, wie die Alltagsweisheit so lautet.

 

Aber das Raffinierte an diesem brillanten Film ist eben, daß der Schrecken und so auch das Blut nur eher dezent gezeigt werden und daß wir uns mit diesen blauen, ja den eisblauen Augen des Vaters auseinandersetzen müssen, wie es sein Sohn Alex (Peter Lanzani) durchstehen muß. Der kann diesem Blick der väterlichen Augen nichts entgegensetzen, vor allem nicht, wenn es dazu heißt: „Ich werde niemals zulassen, daß unsere Familie bedroht wird.“ Auch ich höre auf jeden Fall sofort all die anderen Stimmen, die immer von „im Namen der Familie“ tönen und dabei Unrecht taten und tun. Man mag nicht glauben, daß der Inhaber dieser blauen Augen Guillermo Francella als Komödiant in Argentinien bekannt, ja berühmt ist und hier zum ersten Mal eine dramatische Rolle spielt.

 

Wir sind mitten drin in dem Schlamassel, der gesellschaftlich aufbricht, zum Ende der Militärdiktatur in Argentinien 1983. Im Jahr 1976 hatten sich die Generäle an die Macht geputscht und das ganze Land in ein Gefängnis verwandelt, sofern nicht die zu Volksfeinden Erklärten gleich ganze Friedhöfe bevölkerten, immerhin 30 000 Ermordete und dazu viele für immer Verschwundene. Arquimedes Puccio hat nicht nur überlebt, sondern war einer der Täter in der staatlich organisierten Kriminalität. Zusammen mit den Kumpels von gestern setzt er seine Schandtaten wie Entführen, Gelderpressen, Quälen und notfalls Töten nun privat fort. Auf eigene Rechnung gewissermaßen. Von irgendwas muß man ja als bis vor kurzem Pfründe einstreichender Villenbesitzer leben. Sein kleines Geschäft, vor dem er immer wieder brav und bürgerlich den Bürgersteig kehrt, von dem kann er mitsamt ehrbarer Ehefrau und fünf Kindern nicht leben.

 

Zwei Gegebenheiten führen nun zu diesem zwingenden Film. Der Hintergrund, die Familie Puccio, entstammt der Wirklichkeit. 1985 wurde der Haupttäter gefaßt und versetzte ganz Argentinien in Unruhe, was hinter der Fassade von bürgerlichen Familien los sein kann. Das zweite ist der soziale Hintergrund. Vater Puccio war im ganzen wohlhabenden Viertel San Isidro als solider Kaufmann und ehrbarer Familienvater bekannt, sein Sohn ein aufstrebender und schon bekannter Rugby Star beliebt. Wie es hinter der Fassade von Wohlanständigkeit möglich war, im Keller des Hauses die Entführten zu foltern, mit Bildern deren Angehörige zu erpressen, notfalls diese zu ermorden, was, wie der Film zeigt, manchmal gar nicht Absicht war, aber eben einfach auch vorkam, das ist der eigentliche Schrecken.

 

Mit diese Doppelbödigkeit spielt der Film souverän. Der Regisseur, der dafür den Regiepreis der Filmfestspiele von Venedig erhielt, steckt uns erst einmal so in die Tasche, daß wir den Sohn bedauern, der durch irgendwelche Winkelzüge des Vaters an der eigenen Karriere als Rugbyspieler gehindert wird. Wir sind auf seiner Seite, wenn er erst einmal dem Vater Widerstand entgegensetzt, der ihn in etwas hineinziehen will, was sich dann schnell als „Beseitigen“ eines Menschen, dann noch schneller, als Entführung, Erpressung, notfalls Ermordung der Entführten herausstellt. Alejandro, der längst korrumpiert ist durch das Ansehen in der Öffentlichkeit, zu dem ihm seine Sportkarriere verhilft, läßt sich vom Vater hineinziehen in das blutige, gewinnträchtige Geschäft, das schnell eskaliert, in dem nun auch Freunde, zumindest Bekannte als Opfer ausersehen werden und der Keller des Hauses schon nicht mehr reicht.

 

Wir wundern uns, daß schon wieder Keller, hier auch Garagen, als die Orte des Schreckens gezeigt werden. Das ist inzwischen mehr als eine Metapher, noch eine Leiche im Keller zu haben und zeigt wieder einmal, wie phantasievoll die deutsche Sprache die Situationen schon zuvor sprachlich in Worte goß. Und auch die Musik hat eine wichtige Funktion. Sie zeigt uns ohne viel Drumherum, daß wir uns in den Achtziger Jahren befinden, wo gerade auch in Argentinien eine neue internationale Welt entdeckt wird. Umbruchszeiten sind immer spannende Zeiten, in die der saubere Herr Puccio als Mitgift in die neue Zeit seine Verbrechen mitbringt.

 

Das Mitreißende an dieser bösen Geschichte ist einfach, wie sie gemacht ist und als Genre für alles mögliche herhalten kann: für einen Thriller sowieso, einen Familienfilm sehen wir auch (die Ehefrau und die Töchter kamen hier viel zu kurz) , einen über einen jungen Sportler auch, wobei zugespitzt das Ganze auch eine Vater-Sohn-Geschichte ist und gleichzeitig die Transformation einer ganzen Gesellschaft, wo auf Knopfdruck aus einer Diktatur eine Demokratie werden soll. Einfach gut gemacht. Und im übrigen: die blauen Augen verfolgen einen noch lange, stehen sie doch eigentlich für Güte und Verständnis, bei einem Vater allemal.Karl Kraus hatte zudem Recht, wenn er sagte: "Das Wort 'Familienbande' hat einen Beigeschmack von Wahrheit."

 

P.S. Man sollte hinzufügen, daß dieser Film der erfolgreichste Film 2015 in Argentinien wurde. Wie ist das bei uns mit der Aufbereitung historischer Stoffe einer Vergangenheit, die nicht vergeht. Die jüngsten Fritz Bauer Filme sind wirtschaftlich kein Erfolg. Seltsamerweise war auch ELSER - Er hätte die Welt verändert, der Film über den Hitlerattentärer, ebenfalls kein Erfolg, obwohl Filme über die Nazis besser 'laufen' als die nach 1945. AberGrundsätzlich wollen wir den Film EL CLAN eher mit der Thematik der jungen Bundesrepublik vergleichen, denn es geht in ihm darum, wie eine beginnende Demokratie mit dem Spuk von gestern aufräumt, wenn er privat andauert. Und da gäbe es in Deutschland sehr viele Themen, wie der gerade geplatzte Prozeß um eine KZ-Aufseherin, der man alles mögliche nachweisen konnte, nur nicht die direkte Beteiligung an dem mörderischen Gefangenenmarsch.

 

Sollten deutsche Film-Geschichtenerzähler einfach mehr Krimielemente einfügen oder ist die Bereitschaft nicht groß, darüber zu berichten, wie zäh, wie vereinzelt, wie unsystematisch die NS-Verbrechen vor bundesdeutsche Gerichte kamen. Denn, das vergaßen wir zum Film dazuzuschreiben, in dem Prozeß gegen den Vater in Argentinien kamen die alten Verbrechen zur Sprache. Aber er wurde wegen guter Führung vorzeitig entlassen. In der Haft hatte der Vater Jura studiert und arbeitete später als Rechtsanwalt. Auch eine bittere Volte.