Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 17. März 2016, Teil 2

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wer die Tagespresse seit Jahren verfolgt, der weiß, daß es überall auf der Welt solche Männer gibt, die mit ihrer Wirklichkeit nicht mehr zurechtkommen und Frauen und Kinder benutzen, um diese einzusperren und an ihnen ihre Allmachtsphantasien in die Tat umzusetzen. Verbrecher. Dies nur als Hinweis darauf, daß man ja vermuten konnte, daß in der gemütlichen Alpenrepublik Österreich die Fritzls besonders gerne Keller bauen.

 

Es müssen auch nicht wie ebenfalls im Fall Kampusch Keller sein, es können auch Anbauten oder ausgerüstete Garagen sein, in denen bei einer Nachbarschaft, die sich um andere nicht kümmert die unglaublichsten Verbrechen geschehen, wie sie die Schriftstellerin Karen Duve gerade in ihrem Roman MACHT ebenfalls vorführt. Der von Lenny Abrahamson inszenierte Film folgt dem Roman von Emma Donoghue, die ebenfalls das Drehbuch schrieb. Und er konzentriert sich ganz auf Kind und Mutter – und auch in dieser Reihenfolge. Der Täter oder seine Motive spielen eine völlig untergeordnete Rolle, hier geht es einfach um das Überleben und zwar doppelt: wie man in einem einzigen Raum eingesperrt überlebt und wie man dann, wenn die Welt wieder offen – für den Jungen eine neue Erfahrung – liegt, mit dieser Weite, diesem Grenzenlosen umgehen kann.

 

Der Verzicht auf äußere Dramatik und den Konflikt Täter-Opfer bewirkt eine innere Dramatik im Filmgeschehen, die sich spürbar im Verlauf steigert, weil man die Welt mit den Augen des kleinen Jack (Jacob Tremblay) sehen lernt. Wir erfahren so nebenbei, daß die Mutter, dargestellt von Brie Larson, die dafür den diesjährigen Oscar für die Beste Darstellerin erhielt – aber wie heißt sie im Film nochmal? - daß also die heute 24jährige Joy vor Jahren vom Täter entführt und in diesem Raum eingesperrt wurde, dessen vier Wände kein Fenster enthalten, Licht bekommt der Raum nur durch ein Oberlicht, durch das die beiden Gefangenen die Tageszeiten, ja die Jahreszeiten verfolgen können und vor allem die Sonne Lebenslicht gibt.

 

Wir erfahren auch, daß das vor sieben Jahren gefangene, damals also siebzehnjährige Mädchen hier sofort eingesperrt wurde und der Täter sie seither regelmäßig vergewaltigt. Jack, ihr fünfjähriger Sohn ist also die Leibesfrucht, wie es heißt, einer solchen Vergewaltigung. Joy liebt ihren Sohn als das einzig Lebendige und sie hielt es für klug, ihn so aufwachsen zu lassen, daß er den Raum, in dem beide leben, für das einzig Existierende auf der Welt hält. Die ganze Welt in diesem Raum also.

 

Der Raum hat eine typische Ausstattung von Kochzeile, Tisch, Stuhl, die Toilette, ja sogar eine Badewanne und den obligatorischen Fernseher. Der nun zeigt ja Bilder einer Welt, die der kleine Junge von der Mutter als virtuell erklärt bekommt. Das sind die Phänomene, die gerade bei der Genußmesse auf dem Frankfurter Messegelände, wo lebendige Kühe und andere Nutztiere ausgestellt waren, für Großstadtkinder zu der gegensätzlichen Frage führt: Sind die echt? Denn diese Kinder sehen die lila Fernsehkuh als die echte an.

Wir wollen jetzt hier nicht weiterbohren und den eigentlich notwendigen Verweis auf Platon und sein Höhlengleichnis anführen. Aber im Kern geht es in diesem Film um so viel mehr, eben auch Philosophiesches als die Filmhandlung dem Zuschauer oberflächlich anbietet.

 

Das aber macht tiefergehende Filme aus, daß sich der Betrachter aus ihnen das holt, was auf der Ebene seiner Erkenntnis möglich ist. Für Jack auf jeden Fall ist es so, Raum ist die ganze Welt, die für eine Stunde auch unsere Welt wird, wenn wir mitgefangen und mitgehangen sind und die wechselnden Gefühle und Ausbrüche von Joy erleben, die mal von ihrem Vergewaltiger etwas will, sich nett gibt, die andererseits ihm ihre Verachtung ins Gesicht schleudert, eingedenk dessen, daß er sich an Jack rächen wird, weshalb sie vorsichtiger agiert.

 

Als Joy auf die Idee kommt, wie man die Flucht inszenieren könnte, muß sie – und wir mit ihr – das konzentrische Weltbild von Jack zerstören. Das gehört zu den spannendsten Passagen, wenn nun der Junge gegen die Mutter mit deren einstigen Behauptungen argumentiert. Er muß begreifen lernen, daß es eine Welt außerhalb des Raums gibt und schlau kann Joy den angeblichen Tod des Jungen inszenieren, den der Vater eingerollt in einen Teppich auf dem offenen Verdeck des Autors im Wald 'entsorgen' soll, was er tut. Der Junge zeigt sich als kleiner Herrscher der neuen Welt, entrollt sich beim Fahren und springt vom Wagen…

 

Nun wird auch Joy befreit . Das Ankommen in der für Jack neuen Welt ist nun ebenfalls spannend und Joy muß erleben, wie ihr Verschwinden die Ehe der Eltern auseinanderbrachte. Auch ihr Raum, ihr Kindheitsraum, ist perdu. Das alles wird so nebenbei mit tiefer Einsicht in das Leben und seine Veränderbarkeiten erzählt. Ein wirklich beeindruckender Film mit den beiden Protagonisten, die wirklich wie Mutter und Sohn wirken.