9. LICHTER Filmfest Frankfurt International vom 29. März bis 3. April, Teil 3
Konrad Daniel
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das Lichter Filmfest hat sich immer als so regional wie auch regionalpolitisch sowie politisch verstanden. So paßt das diesjährige Thema perfekt zur Zeit: „Grenzen“ zwischen Staaten, sozialen Gruppen oder in den Köpfen der Menschen stehen im Zentrum des 9. LICHTER Filmfest Frankfurt International.
Die dreizehn Langfilme der internationalen Reihe und das Begleitprogramm bieten vielfältige Perspektiven auf sichtbare und unsichtbare Grenzen. Vom 29. März bis 3. April erwarten die Besucherinnen und Besucher im Künstlerhaus Mousonturm und weiteren Kinos zahlreiche Premieren.
„Grenzen interessieren uns in einem umfassenden Sinn des Wortes“, erläutert Festivaldirektor Gregor Maria Schubert die Auswahl. Auf dem Programm stehen bewegende Produktionen über aktuelle Grenzkonflikte, Krieg und Flucht. Auch Filme über Grenzen zwischen Wertvorstellungen, gesellschaftlichen Milieus, zwischen Natur und Zivilisation, Fantasie und Realität bietet die internationale Reihe. „Erstmals richten wir nicht nur einen regionalen Wettbewerb aus, sondern vergeben den LICHTER International Movie Award powered by prolight + sound für den besten internationalen Beitrag.“
Syrien, Marokko, Afghanistan, Kosovo
Für ihre Dokumentation Les Sauteurs haben die Filmemacher Estephan Wagner und Moritz Siebert dem Malier Abou Bakar Sidibé eine Kamera überlassen. In Marokko, entlang der Grenzbefestigung zur spanischen Exklave Melilla, dokumentiert er das Leben junger Männer, die wie er zu Hunderten versuchen, den Zaun nach Europa zu überwinden. Die Hessenpremiere, die im Forum-Programm der Berlinale lief, ist ein einzigartiges Dokument unserer Zeit. Sie setzt den anonymen Bildern von Drohnen und Überwachungskameras die Geschichten und Gesichter der Flüchtenden entgegen.
Den Alltag syrischer Frauen aus drei Generationen zeigt die Dokumentation Coma, ebenfalls ein Beitrag der diesjährigen Berlinale. Regisseurin Sara Fattahi erzählt von der privaten Seite des Krieges. Nur die Mauern ihres gemeinsamen Hauses in Damaskus trennen die drei Frauen von der Gewalt im Land, unter der die Gesellschaft Stück für Stück zerbricht.
In seinem Spielfilm Enklava findet Regisseur Goran Radovanović eine ungewohnte Perspektive: die eines Kindes. Der kleine Nenad lebt in einer serbischen Enklave im Kosovo. Täglich muss er in einem gepanzerten UN-Wagen den Weg in die Schule antreten. Dabei ist er mit einem Land konfrontiert, das seine Kriegsvergangenheit längst nicht bewältigt hat. Der Anti-Kriegsfilm ging dieses Jahr für Serbien ins Rennen um eine Oscar-Nominierung, begeisterte Festivalbesucher weltweit und wurde auf dem Moscow International Film Festival mit dem Publikumspreis ausgezeichnet.
Im Niemandsland zwischen Pakistan und Afghanistan spielt die Deutschlandpremiere The Wakhan Front von Clément Cogitore, die in Cannes von der Critics' Week den Gan Foundation Support for Distribution erhielt. In dem fesselnden Mystery-Thriller verschwinden auf unerklärliche Weise Soldaten einer französischen NATO-Einheit. Als auch den Taliban Männer abhandenkommen, stellt Cogitore die Machtfrage zwischen Mensch, Natur und Übernatur.
Gesellschaftliche Grenzen
Mit dem Phänomen sozialer (Selbst-)Ausgrenzung beschäftigen sich drei weitere Filme im Programm:
Die fesselnde Dokumentation The Other Side von Roberto Minervini führt tief in die Welt des „White Trash“. Für die verwundete Gesellschaft im Süden Louisianas ist der amerikanische Traum schon lange ausgeträumt. Öffentlich leben die Protagonisten ihren Alltagsrassismus und Fanatismus gegen die Regierung. Die Hessenpremiere gibt einen verstörend tiefen Einblick in den Alltag hoffnungsloser Menschen. The Other Side wurde unter anderem ausgezeichnet auf dem Busan International Film Festival, dem Montreal International Documentary Festival und dem St. Petersburg Message to Man Film Festival.
Der argentinische Beitrag Dog Lady von Laura Citarella und Verónica Llinás ist das intime, fiktionale Porträt einer namenlosen Frau, die mit sechs Hunden am Rande der Metropole Buenos Aires lebt. Verónica Llinás, die auch in der Hauptrolle brilliert, bekam für ihre schauspielerische Leistung unter anderem Auszeichnungen auf Festivals in Buenos Aires und Athen. Dog Lady erzählt mit poetischen Bildern von einer Einzelkämpferin, die den Zwängen der menschlichen Gemeinschaft ein selbstgewähltes Leben in Abgeschiedenheit entgegensetzt.
Dagegen geht es in der Tragikomödie Walking Distance von Alejandro Guzmán Alvarez um den beschwerlichen Weg eines adipösen Mannes heraus aus dem Gefängnis der eigenen Einsamkeit. Mit zartem Humor führt das urbane Märchen in die Welt eines leidenden Menschen, ohne uns zu Voyeuren zu machen.
Konventionen, Werte, Verantwortung
Von Konventionen und ihrer Überwindung handelt die Hessenpremiere The Lobster, eine schwarze Komödie des griechischen Regisseurs Yorgos Lanthimos. In einer totalitären Gesellschaft ist jeder Mensch zur Paarbeziehung verpflichtet. David und andere Singles haben 45 Tage, um einen neuen Partner zu finden – sonst werden sie in ein Tier ihrer Wahl verwandelt. Die dystopische Fabel mit Colin Farrell, Rachel Weisz und John C. Reily erzählt in surrealen Bildern und mit skurrilem Humor von Liebe und Einsamkeit. Lanthimos, dessen Film Dogtooth bereits für einen Oscar nominiert war, erhielt in Cannes für The Lobster den Preis der Jury.
Grenzen des blinden Gehorsams lotet die Deutschlandpremiere Experimenter von Michael Almereyda aus. Das mit Peter Sarsgaard und Winona Ryder prominent besetzte Biopic erzählt das Leben von Stanley Milgram. In den sechziger Jahren schockierte der Psychologe mit den Ergebnissen seiner Experimente zu Autorität und Gehorsam die Öffentlichkeit und befeuerte Diskussionen über das Wesen des Menschen.
Neeraj Ghaywan erzählt in dem indischen Beitrag Masaan vom Erwachsenwerden junger Menschen zwischen Tradition und Moderne: Die Studentin Devi und der Krematoriums-Mitarbeiter Deepak ringen mit dem Kastensystem, einer rigorosen Sexualmoral und brutalen Strafen, die jenen drohen, die mit den alten Werten brechen. Ghaywan gewann neben dem Prix de L’avenir für den besten Debütfilm in Cannes auch den dort vergebenen FIPRECSI Preis in der Sektion Un Certain Regard. Beim All Lights India International Film Festival konnte der junge Filmemacher außerdem den Preis für den Besten Spielfilm entgegennehmen.
Last but not least präsentiert die internationale Reihe das in Cannes preisgekrönte und für einen Oscar nominierte Schwarz-Weiß-Epos El abrazo de la serpiente von Ciro Guerra. 1909 begeben sich der hessische Ethnologe Theodor Koch-Grünberg und der Schamane Karamakate auf die Suche nach einer Heilpflanze. Knapp dreißig Jahre später bringt Theodors Reisetagebuch einen Amerikaner dazu, ebenfalls in den südamerikanischen Dschungel aufzubrechen. Der Film ist eine Hommage an die erhabene Schönheit des Amazonas und erinnert zugleich an die Tragödie des Kolonialismus.
Das internationale Kurzfilmprogramm
Neben den internationalen Langfilmen zum Thema „Grenzen“ zeigt LICHTER auch handverlesene internationale Kurzfilme. Darunter Spiel- und Dokumentarfilme, Animationen und experimentelle Werke.
Interdisziplinäre Debatten zum Thema „Grenzen“
In Zusammenarbeit mit dem Exzellenzcluster Normative Orders greift auch das Begleitprogramm verschiedene Aspekte des Jahresthemas „Grenzen“ auf. Darunter das Auftaktgespräch „Europa: Außen.Grenzen.Innen“ und die LICHTER AGORA, ein interdisziplinärer Kongress. Alle weiteren Veranstaltungen des Begleitprogramms zum Thema „Grenzen“ finden Sie hier.
Info:
Weitere Informationen zu allen beim LICHTER Filmfest laufenden Filmen finden Sie in den kommenden Wochen unter www.lichter-filmfest.de
Jetzt schon Tickets sichern
Schon jetzt können Filmbegeisterte Gutscheine für Kinokarten erwerben. Der Vorverkauf für 3er- und 5er-Tickets läuft. Weitere Infos unter: http://www.lichter-filmfest.de/de/service/tickets.html
Hintergrund:
Das LICHTER Filmfest ist die zentrale Plattform des Filmschaffens der Rhein-Main-Region und mit seiner Auswahl von Filmen aus allen Regionen der Welt ein wichtiges internationales Festival an einem wachsenden Standort der Filmbranche. LICHTER geht vom 29. März bis zum 3. April 2016 in seine neunte Ausgabe. LICHTER hat seine Wurzeln in der Film- und Kulturszene der Region: Das LICHTER Filmfest Frankfurt International begann als Werkschau des regionalen Films in einem selbstgebauten Atelierkino und hat sich in den letzten sieben Jahren zu einem mehrtägigen, internationalen Festival entwickelt. LICHTER findet seit 2008 jedes Jahr im Frühling an verschiedenen Spielstätten in Frankfurt und in anderen Städten der Rhein-Main-Region statt. Ein Team aus rund 40 hauptsächlich ehrenamtlich engagierten Filmemachern, Medienexperten und Filmliebhabern richtet das Festival alljährlich aus. Die achte Auflage des Festivals im März 2015 war ein voller Erfolg: 12.000 Gäste besuchten die 50 Filme aus wenigstens 15 Ländern sowie die zahlreichen Begleitveranstaltungen und die Ausstellung des LICHTER Art Award.