Film „Die Frau des Polizisten“ heute in ARTE um 23.05 Uhr

 

Elke Eich

 

 

Berlin (Weltexpresso) - Eine kleine Familie lebt zusammen in einem kleinen Haus in einer kleinen Stadt. Die drei Perkingers - Uwe, Christine und Clara – spielen gerne miteinander und lieben die Natur, in der Ostereier versteckt und gesucht werden und in der es Tiere zu entdecken gibt: Hasen, Insekten und einen schönen Fuchs.

 

Christine pflegt das Singen. Die kleine Tochter gärtnert in einem kleinen Beet - gemeinsam mit der Mutter, die dieses Beet unter vier Steinplatten hervorgezaubert hat. Doch die anfänglich im Film beschworene Idylle trügt...



Regisseur Philip Gröning gibt uns drei Stunden und 59 streng abgegrenzte Kapitel lang Zeit, mit den Perlingers vertraut zu werden. Jedes dieser durchnummerierten Kapitel ist mit Schwarzblenden vom vorherigen und dem folgenden abgesetzt, und für jedes dieser Kapitel gibt es eine gesonderte Ankündigung des Anfangs und die des Endes. Gröning („Sommer“, „L’Amour, L’Argent, L’Amour“, „Die große Stille“) versteht sich als bildender Künstler, und dieser Film ist Kunst, die unter die Haut geht, wobei auch eine gewisse Sperrigkeit dazu gehört.

 


Für Gröning und die beiden Hauptdarsteller Alexandra Finder („Tatort Dresden“, „Unter Verdacht“ (April 2016!), Antons Fest“) und David Zimmerschied („Tannbach“, „Elser“,„The Same Sky“) brachte „Die Frau des Polizisten“ einen massiven Karriereschub: Die Parabel über Liebe und häusliche Gewalt wurde 2013 bei den Festspielen in Venedig uraufgeführt und erhielt den Spezialpreis der Jury.

 

Wer mit dem extrem kompromisslos arbeitenden Regie-Berserker Philip Gröning arbeitet, muss vor allem auf Grenzerfahrungen und große Erschöpfung beim Dreh gefasst sein. Die nehmen Vollblutschauspieler aber durchaus in Kauf, „wenn man relevante Geschichten erzählen kann, in denen es halt um was geht.“ findet David Zimmerschied. Nach den Dreharbeiten erkannte er sich plötzlich zuhause in München im Badezimmerspiegel nicht wieder. Und da hat sich der Schauspieler erstmalig sogar einige Hypnose-Sitzungen gegönnt, „weil ich jemanden brauchte, der mir hilft, ins Leben zurück und wieder Zugang zu meiner Kraftquelle zu finden.“ Und tatsächlich half der Hypnotiseur ihm dabei, wieder „auf einen positiven Dampfer“ zu kommen. Doch sich als Schauspieler Gröning erneut anvertrauen würde er „jederzeit wieder!“

 


Drei Monate lang wurde 2010 im Städtchen Stadtlohn unweit der holländischen Grenze – quasi in Klausur - gedreht. Zimmerschied, der in seiner Rolle vom braven Familienmensch zum prügelnden Ehemann mutiert, „möchte auf gar keinen Fall jemals wieder zurück in diese Stadt.“ - trotz der schönen Möglichkeiten dort zum Spazierengehen und Schwimmen.
Immer noch bekommt er Gänsehaut, wenn er auf der Autobahn das Kennzeichen BOR der Region des Drehortes Stadtlohn sieht! In dieser ländlichen Region war er schließlich als trostloser Polizist Uwe unterwegs.

 


„Stadtlohn ist keine schlimme Stadt.“ beschwichtigt Alexandra Finder, die nach Venedig mit mehreren Darsteller-Preisen ausgezeichnet wurde, im Interview. In Philip Grönings cineastischem Meisterwerk verkörpertsie Christine, eine sensible junge Mutter, die Opfer einer häuslicher Gewalt wird, gegen die sie sich kaum wehren kann. So belanglos und subtil schleicht diese Gewalt sich ein, dass man sie erst gar nicht fassen kann. – Und ihr Mann, der Polizist Uwe, der ist doch eigentlich kein Schwein!



Christine will ihrem Uwe gut sein, und vor allem ist sie liebevoll, zärtlich und ausdauernd mit der kleinen (ca. 4-jährigen) Clara beschäftigt. Da werden Tiere und deren Behausungen entdeckt und Lieder gesungen. Kurzum: Da werden von ihr in der Enge dieser von roten Klinkersteinen dominierten Kleinstadt Räume für das Wachsen einer Kinderseele geschaffen. Gröning ging es um das Finden „sehr archaischer Bilder, an die wir uns alle erinnern“ – aus der eigenen Kindheit. Jede noch so kleine Geste zählt da.

 


Die kleine Clara, atemberaubend eindringlich im Wechsel dargestellt von den eineiigen Zwillingen Pia und Chiara Kleemann, entdeckt sich und die Welt mit ihrer Mama. Papa, der Polizist, arbeitet viel in Nachtschichten und kommt dann nachhause, wenn Mutter und Tochter noch schlafen, und wir werden Zeuge seiner Rituale. Die kleine Familie, die sich anfangs genug zu sein scheint, wird in ihrer Isolation gezeigt. Auch Christine und Uwe gehen verspielt miteinander um. Doch es tauchen keine Menschen auf, mit denen die Perkingers echten, privaten Kontakt hätten. – Kein gutes Omen!

 



Ein einsam lebender alter Mann wird in einigen Kapiteln gezeigt – jedoch von den Perkingers losgelöst: in seiner Küche und zu unterschiedlichen Jahreszeiten in der freien Natur. Dann verschwindet er. Er könnte Uwe als alter Mann, oder vielleicht sein Vater sein. Für Gröning ist er der (allerdings) schweigsame Chor der klassischen griechischen Tragödie, der die herrschende Meinung und Haltung zu einem Thema darstellt. So verstanden, erläutert Gröning: „Was ist die herrschende Meinung zur häuslichen Gewalt? Erst einmal schweigen und dann verschwinden!“



Das Leben der Perkingers in dem engen Haus mit den kleinen Zimmern, anfangs noch eine Festung gegen Uwes beruflichen Stress, funktioniert immer weniger. Bewegungen und Handlungen sind sehr eingeschränkt, und Rückzug ist ein fremdes Konzept. In Gewaltbeziehungen, so hat Gröning erfahren, werde Rückzug nicht gelebt, egal wie viel Platz real da sei. Und so reagiert der Kontrollfreak Uwe, ein, so Gröning, „Verhungerter der Liebe“, unangemessen panisch, als er Christine mal nicht gleich findet.

Für Christine funktioniert das sich Nähren in der symbiotischen Beziehung mit der Tochter immer weniger, denn trotz der zunehmend gegen sie eingesetzten Gewalt gewinnt der Vater an Bedeutung für die Kleine. Die blauen Flecken auf ihrem Körper werden immer größer und dunkler, und infolge all der körperlichen und seelischen Übergriffe vernachlässigt sie sich immer mehr. Auch ihr Verhalten wird immer konfuser. All das zeigt die Kamera, die von Regisseur Gröning wieder einmal selbst geführt wurde, ebenso intim wie schonungslos.



Über 40 Stunden Interviewmaterial - auf einem MP3-Player abgespeichert - gab es für die Hauptdarsteller zur Einstimmung auf das Thema häusliche Gewalt. Philip Gröning hatte sich dafür intensiv mit vielen Tätern und mit noch mehr Opfern häuslicher Gewalt unterhalten, „größtenteils sehr kaputten und traurigen Menschen“ – so David Zimmerschied – die erst während ihrer Therapie bzw. im Anschluss daran „anfangen konnten, reflektiert über ihre Erlebnisse zu sprechen“.

 

 

Die Zuschauer werden sehr gefordert in diesem besonderen Film, der in seinem sperrigen Format durchaus anstrengend ist. 59 durchnummerierte Kapitel hat „Die Frau des Polizisten“, die streng abgetrennt sind durch Schwarzblenden, auf denen Anfang und Ende jeweils vermerkt ist. Doch bei aller Anstrengung, die diese Kapitelstruktur erst mal mit sich bringt, funktioniert dieser Film. Die Schwarzblenden zwischen den 59 Kapiteln sind mehr als ein Kunstelement: Sie wirken als rationalisierende Unterbrecher, die zum Innehalten zwingen und verhindern, dass die Zuschauer ungefiltert in das Geschehen hineingezogen werden. Tatsächlich schützen uns diese Schwarzblenden davor, ob der wachsenden Tragik der Gewalt von Gefühlen überflutet zu werden.



Er wolle kein Betroffenheitskino machen, erklärt Gröning bei einem Podiumsgespräch im Filmmuseum in Berlin und ergänzt: „Mir als Regisseur ist diese Form zu stoffwechselhaft! Etwas wird aufgenommen, ausgeschieden, fertig, Nächstes! Dann habe ich doch lieber etwas, das so eine Sperrigkeit hat und einfach in Dir drin bleibt. Eigentlich eher wie ein Virus als wie ein Nahrungsmittel.“



Es stellen sich natürlich Fragen: Warum bleibt diese Frau bei ihrem Mann? Warum überhaupt wird Uwe gewalttätig? – Philip Gröning mag darauf keine expliziten Antworten geben. Er wollte auch keine zusammenhängende Geschichte erzählen, in der man in pädagogischen Lektionen sieht, wie es zu häuslicher Gewalt kommen kann. Und doch erkennen wir intuitiv Muster, spüren die Isolation und Hilflosigkeit der erwachsenen Protagonisten und erahnen in der gegenseitigen Abhängigkeitsbeziehung so manche Hintergründe und Abgründe.



Alexandra Finder, die auch während unseres Gesprächs immer im Kontakt mit ihrer kleinen Tochter bleibt und ihr u.a. Anleitungen gibt, wie sie besser mit dem Kleber umgeht, erhielt auf Festivals mehrere Darstellerpreise für „ihre“ Christine, bezieht sich aber auf „das schönste Kompliment“, das der Film bekam: „Die Reaktion vieler Betroffenen war so, dass sie glücklich über diesen Film waren und sagten: Das erste Mal ärgern sie sich nicht über einen solchen Film mit ihrer Thematik. Weil er zeigt, wie es ist.“



Weder wolle sie Mitleid mit ihrer Figur haben, noch wolle sie als Schauspielerin die Christine moralisch bewerten, die am Ende des Films in einer Badewannenszene mit der Tochter in einen dramatischen Sog gerät.
Etwas Besonderes hat Alexandra Finder verstanden bei diesem Projekt: „Viele Menschen können eigentlich in solche Gewaltbeziehungen hinein geraten, weil sie das Ergebnis von bestimmten, unberechenbaren Konstellationen sind. Und auch ein bestimmter Charakter kann nicht vollends davor schützen."

 


In Uwes Fall, so David Zimmerschied, hätte wohl schon ein vertrauensvoller, menschlicher Kontakt geholfen: „Vielleicht wäre das alles nicht passiert, wenn er einen guten Freund gehabt hätte, der mit ihm spricht und ihn fragt, ob es dieses Leben ist, was er möchte. Dann hätte er angefangen, über seine Träume, Wünsche und Sehnsüchte nachzudenken und wäre zum Schluss gekommen, Dinge zu ändern. Aber zu diesem Schritt war Uwe allein nicht fähig.“

So zentral der Aspekt der Gewalt im Film auch ist, so war Philip Grönings Hauptanliegen, die Entstehung von Empathie- und Liebesfähigkeit in Erlebnisräumen zu zeigen. Wir als Zuschauer sind aufgefordert, in uns zu gehen und zu erspüren, wo wir stehen und was wir weiter geben im Leben: die Gewalt oder die Liebe. Ganz am Ende des Films entlässt uns Gröning mit dem intensiven Blick der kleinen Clara aus weit aufgerissenen Augen. Was ist geschehen? Was ist Claras Appell an uns? – Vielleicht die Liebe zu leben und hinzuschauen, wie auch uns einzumischen, wenn wir Gewalt in unserem Umfeld entdecken oder erahnen? - Die Deutungshoheit, wie das Ende zu verstehen ist, haben wir Zuschauer - auf der ganzen Ebene und ganz eigenverantwortlich.

 


Anmerkungen:
Die Kinder Chiara und Pia Kleemann bekamen in keiner Situation etwas von dem Gewaltthema des Films mit. Sie waren jederzeit geschützt und hielten sich mit Eltern und Betreuern während potentiell belastender Schlüsselszenen woanders auf.
Betroffen machende Eindrücke entstehen durch geschickte Inszenierung und vor allem durch gekonnte Schnitttechnik. Die Gewaltszenen und -dialoge stammen Eins zu Eins aus den Gesprächen Philip Grönings mit Betroffenen und sind nicht improvisiert.

„Die Frau des Polizisten“ wird von Terre des Femmes empfohlen – und auch das spricht
für das Einstellen des DVD-Rekorders zur Aufzeichnung.

 


Fotos:
Titel: die Familie Perkinger – Es kriselt gewaltig in der Familie Perkinger (David Zimmerschied, Alexandra Finder, Pia/Chiara Kleemann) ...
ZDF / © philip gröning filmproduktion

2. Foto – Familie im Wald – liegend - Eine noch intakte Kleinfamilie: Uwe (David Zimmerschied), Christine (Alexandra Finder) und ihre Tochter Clara (Pia/Chiara Kleemann) im Wald
ZDF / © philip gröning filmproduktion

3. Foto- Uwe im Polizeiauto -Uwe (David Zimmerschied) bei seiner Arbeit als Polizist in der kleinen Stadt und auf dem Land.
ZDF / © philip gröning filmproduktion


4. Foto- das Kind Clara (Pia/Chiara Kleemann) kann die Veränderungen in ihrer Familie nicht verstehen. Mit einem Blick aus aufgerissenen Augen entlässt uns der Film.
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5.+ 6. Foto– Der alte Mann (Horst Rehberg) geht akribisch seinen täglichen Ritualen nach. (Er könnte der Vater von Uwe sein oder Uwe als alter Mann...Für Philip hat er die Bedeutung des griechischen Chors, der die Meinung der Gesellschaft darstellt. Bei häuslicher Gewalt sei die oft Schweigen und verschwinden.)
ZDF / © philip gröning filmproduktion

7. Foto- Christine -Christine (Alexandra Finder), die „Frau des Polizisten“ verliert langsam den Boden unter den Füßen.
ZDF / © philip gröning filmproduktion

 

 

Info:

„Die Frau des Polizisten“ – Regie: Philip Gröning
ARTE – am 23. März 2016 um 23:05 Uhr
+ eine Woche in der arte Mediathek +7

ARD – am 1. Mai 2016 um 23:35 Uhr
+ eine Woche in der Mediathek der ARD