Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 24. März 2016, Teil 3
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Sie können's, die Franzosen, federleichte Komödien auf die Leinwand zu zaubern, hinter denen sich handfeste menschliche Dramen verbergen, meistens die zwischen Mann und Frau, die ja eh nicht zusammenpassen, wie der Volksmund sagt.
Aber, schon damit solche Filme möglich werden, versuchen sie es immer wieder, die Frauen und Männer. In diesem Film erleben wir in einer Mischung aus Rückblende und stringenter Erzählung, wie es dazu gekommen ist, daß Tony (Emmanuelle Bercot), die für diese Rolle im letzten Jahr in Cannes den Darstellerinnenpreis erhielt, eine exzellente Skifahrerin, in einer rasanten unvernünftigen Abfahrt einen derartigen Skiunfall hinlegt, daß sie schwer verletzt dann auch noch in einem Reha-Zentrum beides wieder in Gang setzen soll: sie soll noch im Rollstuhl sitzend wieder das Gehen lernen und sie soll ihre Seele heilen, die wund verhindert, daß sie dem Leben draußen gewappnet ist.
Tja, wenn das bei der Seele so einfach wäre wie beim Knie. Nein, nicht der Heilungsprozeß, sondern die weitere Erkenntnis, warum gerade das Knie verletzt wurde. Deutlich spricht es die Therapeutin aus, daß das Knie im menschlichen Körper eine besonders wichtige und schwierige Funktion hat, ein Gelenk, das uns im Innersten zusammenhält und dafür verantwortlich ist, daß wir beweglich bleiben, aufstehen können, weggehen können oder einfach sitzen bleiben. Insofern ahnt Tony schnell, daß sie eineinhalb Mal die Seele heilen muß, um 'normal' weiterzuleben. Schließlich wartet ihr Sohn auf sie.
Und schon sind die Gedanken wie von alleine beim Vater des Kindes, dem Lebenskünstler Georgio (Vincent Cassel). Und auch wenn Cassel vielen Rollen etwas Besonderes aufdrückt, so kann man hier doch staunen, wie unglaublich verführerisch er diesen Georgio rüberbringt. Ein Wundermann, einen, den sich jede Frau wünscht, zumindest so lange, wie er ein begehrender, umsorgender, ständig Tony zum Mittelpunkt seines Lebens machender Geliebter ist. Sie, die doch eigentlich unerschrockene Anwältin ist so viel Lebenslust, so viel Umworbensein, soviel Witz und Vitalität auf jeden Fall nicht gewachsen. Die Naturgewalt des extrovertierten Restaurantbesitzers, Dandys und Menschenfängers treibt sie in seine Arme, denn seine Leidenschaft drückt sich in allem aus, in der Küche genauso wie in ihren Armen.
Nein, auch Bruder Solal (Louis Garrel) kann sie nicht umstimmen, was er versucht, sie heiratet diesen Mann. Fragt man sich, warum er überhaupt heiraten will, so ahnt man, was der Film nicht ausführt, daß er selber einen Ruhepunkt braucht, daß er Tony auch als Anker in seinem Leben, das er zum Rausch macht, nötig hat. Denn inzwischen wird klarer, daß er auf vielen Hochzeiten tanzt. Denn da ist auch noch seine Ex-Freundin Agnès, die noch immer in seinem Restaurant arbeitet. Und er hatte auch noch keine Praxis im Verheiratetsein.
Und so geben die Therapien in der Reha-Klinik unterschiedliche Befunde her, die sich in einem gleichen: es ist schwierig, diese zehn Jahre eines Lebens aufzuarbeiten, in dem sie erst jetzt klar ihre Rolle zu sehen lernt: daß sie mit offenen Augen ins Unglück rannte. Es war nicht Georgio, der sie so getäuscht hatte, es war Tony, es war sie selber, die die Zeichen und Signale, die ihr Mann doch aussendete, die sie nicht hören und nicht sehen wollte. Er war untreu, süchtig, auch finanziell unsolide bis zum Gerichtsvollzieher hin, zog aus, ließ sie alleine - und sie war hochschwanger und pumpte sich mit Psychopharmaka voll, denn – das galt auch nach der Geburt des Jungen – sie wollte ihre Familie zu Dritt retten.
Sie war es selbst, die ihn zum MEIN EIN, MEIN ALLES gemacht hatte. Von dieser Rolle muß sie Abschied nehmen und zunehmend, insbesondere durch den Kontakt mit einer Gruppe von jugendlichen Patienten, die in ihr die coole schon richtig erwachsene und erfolgreiche Frau sehen, stellt sie sich ihrer eigenen Verantwortung, die sie für sich selber und auch ihr Kind hat. Die Erkenntnis, daß alles an Wunderbarem, was dieser Mann für sie bedeutet hatte, auch die Ursache für dessen Gegenteil ist, ist es, die ihr den Weg weist, daß sie ohne ihn weiterleben kann.