Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 24. März 2016, Teil 4
Corinne Elsesser
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Esther (Ghita Nørby) und Poul (Morten Grunwald) wohnen in einem großen Backsteinhaus an einem See in Dänemark. Es ist Winter und ihre beiden Töchter sind zu einem vorweihnachtlichen Weihnachtsfest eingeladen. Das Fest wurde vorgezogen, weil es das letzte sein wird für ihre Mutter Esther. Sie ist schwerkrank und hat beschlossen, ihrem Leben ein Ende zu machen.
Poul, der von Beruf Arzt ist, wird sie dabei unterstützen. Ein heikles Vorhaben, das Fragen nach den letzten Dingen aufwirft. Für die Töchter eine umso härtere Aufgabe, da sie dem Wunsch der Mutter zugestimmt haben und dieses letzte Familienfest zu einem besonders schönen machen wollen. Die ältere Tochter Heidi (Paprika Steen) reist mit Mann (Jens Albinus) und Sohn (Oskar Slan Halskov) an und scheint alles fest im Griff zu haben. Sie gibt sich hilfsbereit, lächelt stets und vermag es, jede aufkommende Unstimmigkeit sofort abzufedern.
Dagegen kann ihre jüngere Schwester Sanne (Danica Curcic) ganz und gar nicht so gekonnt eine fröhliche Fassade an den Tag legen und ihre zwiespältigen Gefühle unterdrücken. Sie quält sich mit dem Gedanken, den Freitod der Mutter doch noch zu verhindern. Sie hat ihren Freund Dennis (Pilou Asbæk) mitgebracht, der ständig nur am Kiffen ist und ansonsten ziemlich unstet wirkt. So sind die Konflikte vorprogrammiert. Einzig die Mutter, die zu diesem letzten Familienfest eingeladen hat, weiß immer noch im rechten Moment, eine Auseinandersetzung zu glätten oder eine sich andeutende Gefühlswallung zu besänftigen.
Familiendrama als Kammerspiel
Wenn die Betroffenen aber zufällig Dinge über den anderen erfahren, sind sie wieder auf sich allein gestellt. Warum ist der Vater bereit, insgeheim Sterbehilfe zu leisten? Ist Sanne wirklich nur psychisch labil oder steckt mehr hinter ihren Gefühlsausbrüchen? Und welche Rolle spielt eigentlich Lisbeth (Vigga Bro), die beste Freundin der Mutter, die sie ein Leben lang begleitete und auch jetzt eingeladen wurde?
Da kommen Erkenntnisse über den Vater ans Tageslicht. Entdeckungen auf dem Dachboden lassen die festliche Fassade der älteren Schwester langsam bröckeln. Sanne, die
jüngere, findet dagegen bei der Mutter unerwartet Beistand und kann aufgrund dieser neu gefundenen Nähe deren Entscheidung akzeptieren und sie endlich gehen lassen. Daraus gewinnt Sanne an Stärke, während ihre Schwester Heidi sich mehr und mehr aufzulösen scheint. Paprika Steen verleiht dem Wandlungsprozess der Heidi einen intensiven und dennoch sehr zurückgenommen gespielten Ausdruck.
Und Pilou Asbæk spielt den flippigen, kiffenden Freund der jüngeren Schwester so nah dem Leben, dass man glaubt, er sei direkt aus der Wirklichkeit in dieses Familiendrama hineingeraten. Im Vergleich mit seiner Rolle als Soldat im Afghanistankrieg („Krigen“,
neudeutscher Titel: „A War“) zeigt er sein weites schauspielerisches Spektrum und seine
Fähigkeit, in unterschiedlichsten Charakteren immer bei sich selbst zu bleiben. Nahe dem Leben.
Auf den gesamten Film bezogen, hieße dies eher nahe dem „Innenleben“ und damit nahe jener großen skandinavischen Filmtradition, als deren Hauptvertreter Ingmar Bergmann gilt. Der dänische Regisseur Bille August sieht sich selbst in dieser Tradition, teilt er doch Bergmanns unsentimentalen Blick auf menschliche Beziehungen, die er unerbittlich
auslotet. 1992 erhielt er für seine Adaption von dessen autobiographischem Drehbuch „Die besten Absichten“ die Goldene Palme auf dem Filmfestival in Cannes. Hierin hatte Ghita Nørby die Grossmutter des schwedischen Regisseurs gespielt. Augusts letzter Film „Nachtzug nach Lissabon“, lief 2013 ausser Konkurrenz auf den Berliner Filmfestspielen.
Info:
STILLE HJERTE (Silent Heart - Mein Leben gehört mir), Dänemark, 2014
Regie: Bille August
Drehbuch: Christian Torpe
Darsteller: Ghita Nørby, Morten Grunwald, Paprika Steen, Danica Curcic, Pilou Asbæk u.a.
Kamera: Dirk Brüel
Produzent: Jesper Morthorst (SF Film Production)
Länge: 98 Minuten