Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 7. April 2016, Teil 7

 

Martin Zandvliet

 

Hamburg (Weltexpresso) – Früher war es selbstverständlich, daß zu Pressevorführungen von Filmen die jeweiligen bebilderten Pressehefte vorlagen. Dies wird immer mehr auf digitale Vorlagen der Verleiher reduziert. Filmkritiker bilden sich aber ihre eigene Meinung über Filme. Von daher unterbleibt meist der Blick ins Internet, während man direkt nach dem Schauen des Films gerade bei historischen Stoffen ein großes Informationsbedürfnis hat.

 

Und da der Verleih Koch Media nicht nur ein schriftliches Presseheft ausgab, sondern sogar eins, in dem über mehrere Artikel die in Deutschland verhältnismäßig unbekannte historische Situation, die in der Filmbesprechung angesprochen, hier sehr viel detaillierter entfaltet wird, veröffentlichen wir diese Beiträge, die mit den Bemerkungen des dänischen Regisseur Martin Zandvliet über seine Vision von UNTER DEM SAND, die dänische Rolle im Zweiten Weltkrieg, wahre Schönheit sowie Menschlichkeit in unmenschlichen Zeiten beginnen:

 

Am Ende des Zweiten Weltkriegs, nach der deutschen Kapitulation im Mai 1945, hielt die britische Armee eine Reihe von jungen deutschen Soldaten in Gefangenschaft. Die Briten machten der dänischen Regierung einen Vorschlag: Die deutschen Kriegsgefangenen könnten die Minen räumen, die immer noch millionenfach an den Stränden der dänischen Westküste lagen.

 

Einige Historiker glauben, dass dieses Angebot die dänische Regierung in ein Dilemma stürzte. Nein zu sagen, würde es unmöglich machen, die Situation im Lande zu stabilisieren. Als Nation, die sich fünf Jahre unter Kontrolle der Nazis befunden hatte, stand Dänemark nach dem Krieg in einem zweifelhaften Ruf. Dazu galten die Briten als strahlende Helden – schließlich waren sie die Befreier Dänemarks. Aber blutjunge deutsche Kriegsgefangene zu zwingen, die dänische Küste von Minen zu befreien, das kam einem Kriegsverbrechen nahe.

 

Unsere Geschichte beginnt mit einem Militärtransporter voller junger deutscher Soldaten. Wir folgen dem 16-jährigen Sebastian (Louis Hofmann), eine der Hauptfiguren, und seinen Mitgefangenen auf dem Weg an die Westküste Jütlands im Frühsommer 1945. Dort sollen sie einen großen Bereich des Strandes entminen. Während des Krieges hatten die Deutschen mehr als zwei Millionen Minen entlang der dänischen Küste vergraben.

Der Film zeigt, unter welchen psychischen Druck diese lebensgefährliche Aufgabe die Jungen setzt. Einige können den Druck nicht ertragen und zerbrechen daran. Sie werden im Lauf eines Sommers davon buchstäblich in Stücke gerissen. Einige Jungs weinen und rufen nach ihrer Mutter, weil sie jeden Tag gezwungen sind, ihre Arbeit auf dem tödlichen Strand zu verrichten, egal bei welchem Wetter.

 

So ist es eine Geschichte von jungen Deutschen, die an den Folgen des Krieges leiden und zum Teil auch sterben. Verantwortlich für diesen Krieg waren natürlich nicht sie, es war Nazi-Deutschland. Aber ihr Schicksal ist es, dass sie aus dem Kriegstreiber-Land stammen, und so müssen sie die Konsequenzen tragen, werden zu Opfern. In einem chaotischen Nachkriegs-Europa, das seine neue Ordnung noch lange nicht gefunden hat.

Der Film untersucht in gewisser Weise natürlich auch die dänische Schuld an jenem Kapitel Nachkriegsgeschichte. Ein Kapitel, das bei uns in Dänemark noch nie wirklich an die Öffentlichkeit gekommen ist, dafür belastet es vermutlich viel zu sehr das historische Gewissen. Je länger wir während der Vorbereitung zum Film recherchierten, desto mehr Belege fanden wir, dass dieses Thema so etwas wie ein historisches Tabu darstellt.

Selbstverständlich verfolgen wir mit dem Film nicht die Absicht, den moralischen Finger zu heben oder Schuld zuzuweisen. Wir wollen mit UNTER DEM SAND einfach nur eine lebendige Geschichte erzählen. Zwar nah an der historischen Wahrheit, aber mit dem Schwerpunkt auf den menschlichen Schicksalen, mit all ihrem dramatischen Horror. Was passiert, wenn ein kleines Land, das über Jahre vom großen Nachbarn extrem gedemütigt wurde, plötzlich die Chance bekommt, Vergeltung zu üben? Auch dieser Frage wollen wir mit dem Film nachgehen.

 

So haben wir versucht, einen möglichst bewegenden Film zu machen, der nicht nur das kleine Licht in der großen Dunkelheit aufspüren will, sondern auch herausfinden möchte, wer diese jungen Leute sind. Wir gehen ganz nah an sie ran, um ihre Gefühle zu verstehen, ihre Hoffnungen, diesen Albtraum zu überleben. Wir versuchen in ihnen, obwohl sie aus einem Staat menschenverachtender Brutalität stammen, die Menschen zu sehen.

 

Können wir Mitgefühl für die jungen Deutschen empfinden angesichts des Terrors, den ihr Land verbreitet hat? Können wir ihnen gar vergeben? Sehen wir am Ende uns in ihnen? Ich habe dem Selbstbild Dänemarks im Zweiten Weltkrieg immer kritisch gegenüber gestanden. Eine unterdrückte Nation, von den Deutschen besetzt, die immer nur Gutes tun wollte und selbstverständlich zahlreiche Helden in der Widerstandsbewegung hatte: Die vollständige Wahrheit kann das nicht sein. Verständlicherweise haben fünf Jahre deutsche Besatzung bei den Dänen viel Hass aufgestaut. Um diesen Hass geht es auch in UNTER DEM SAND. Und um seine Verwandlung in Mitgefühl.

 

Unter Filmemachern besteht allgemeiner Konsens, dass Menschen schön zu sein haben. Ich bin da anderer Meinung. Ich glaube, dass ein Mensch Narben braucht, auf dem Körper und auf der Seele, um interessant und damit auch schön zu sein. Ich muss seine Ängste sehen, um ihn wirklich in mein Herz schließen zu können. Ich möchte sogar behaupten, dass Hässlichkeit mehr über uns erzählen kann als alles andere.

 

Man sagt, dass ein großes Filmdrama weitgehend vom Kaliber des Bösewichts abhängt. Ich hätte es mir einfach machen können, indem ich zeige, wie deutsche Soldaten Terror über Dänemark verbreiten. In unserem Film ist jedoch der dänische Kommandant Carl der Böse. Er zwingt die jungen Deutschen, eine Arbeit zu erledigen, die viele nicht überleben. Als er mit der Zeit erkennt, was er da tut, erfährt er eine Wandlung. Das fasziniert mich viel mehr als ein Charakter, der nur Bösewicht ist.

 

Auf diese Weise wird UNTER DEM SAND zu einem Film über Menschlichkeit in unmenschlichen Zeiten. Darauf bin ich stolz.“