Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 7. April 2016, Teil 9
Anita Brask Rasmussen
Hamburg (Weltexpresso) - 2.000 junge deutsche Soldaten wurden nach dem Zweiten Weltkrieg dazu gezwungen, Minen zu räumen – unter Einsatz ihres Lebens. Der neue Film UNTER DEM SAND beleuchtet ein hässliches Kapitel der dänischen Geschichte.
VERTEIDIGEN WIR DIE WERTE, DIE WIR FÜRCHTEN ZU VERLIEREN?
Es ist ein schöner Tag an der dänischen Nordsee. Man hört das Rauschen des Meeres, das Schreien der Möwen, einen Atemzug nah am Sand und das metallische Geräusch eines Sprengkopfes, der vorsichtig von einer Panzermine geschraubt wird. Eine unnatürliche Stille, denn man weiß, dass sie plötzlich von einer Explosion unterbrochen werden kann, die eine Wolke von feinem Sand in die Lüfte schickt. Und den jungen Mann mit sich nimmt.
Mit Beklemmung sieht man dies im Film UNTER DEM SAND von Regisseur Martin Zandvliet, der die Minenräumung der dänischen Nordsee nach dem Zweiten Weltkrieg schildert.
Mehr als 2.000 deutsche Soldaten werden im Sommer 1945 zur Räumung der Minen entlang des dänischen Teils des Atlantikwalls eingesetzt. Eigentlich waren sie auf dem Heimweg aus Dänemark, doch während die Soldaten in Kolonnen in Richtung deutsch-dänischer Grenze marschierten, wurde ein großer Teil von ihnen herausgeholt und zurückgeschickt. Martin Zandvliets Film erzählt die Geschichte einer 14 Mann starken Abteilung, die nahe der Küste in einem Schuppen einquartiert und jeden Tag unter der Leitung von Unteroffizier Carl Leopold Rasmussen zum Minenräumen geschickt wird. Aber es sind keine Männer, bemerkt der Unteroffizier, es sind „kleine Jungen, die Angst haben und nach ihrer Mutter schreien.“
Zu Kriegsende waren in der deutschen Bevölkerung fast keine erwachsenen Männer mehr vorhanden, deshalb schickte man Jungen an die Front, die zu Hitlers Machtübernahme kaum geboren waren, also Teenager.
„Sie wussten nicht, was um sie herum vorging. Sie waren verblendet und verstanden nicht, was passierte. Ein großer Teil derer, die zum Minenräumen eingesetzt wurden, waren eben diese Jungen, die für den Krieg der Erwachsenen keine Verantwortung trugen. Sie wurden unmenschlich behandelt, bekamen fast nichts zu essen und mussten die Minen sehr schnell räumen“, so Martin Zandvliet.
Es wird deutlich, dass Zandvliet mit diesem Film eine Geschichte beleuchten will, die von Jahrzehnten der kollektiven Erinnerung an die deutsche Besatzung gründlich begraben worden ist. Auch Martin Zandvliet musste erfahren, dass so gut wie keine Quellen zur Minenräumung vorhanden sind. Jurist und Hobby-Historiker Helge Hageman gab 1998 ein unscheinbares, aber gut recherchiertes Buch zur Minenräumung mit dem Titel „Unter Zwang“ heraus. Die Hauptschlussfolgerung des Buches war, dass sich die Dänen eines Kriegsverbrechens schuldig gemacht hatten, indem sie Kriegsgefangene dazu einsetzten, gefährliche Arbeit zu verrichten, und dass darüber damals heftig debattiert wurde.
Martin Zandvliet ist nicht so sehr daran interessiert, ob es sich um ein Kriegsverbrechen handelte oder nicht.
„Der Film stützt sich auf Zahlen: So viele Männer waren dort, so viele starben, so wenig bekamen sie zu essen, so wenig wurden sie ausgebildet, so schnell mussten sie die Minen räumen, so viele Minen waren vorhanden. Selbst wenn man sich nur die Zahlen anschaut, weiß man, dass dies unmenschlich war. Wenn ein Mann mehrere Tage lang nichts zu essen bekommt, fängt er an zu zittern. Zittrige Hände sind nicht gut, wenn man Minen räumen muss. Egal ob damit die Genfer Konventionen gebrochen wurden oder nicht, so ist es falsch”, sagt Martin Zandvliet.
Von Hass erfüllt
Ich treffe Martin Zandvliet bei Nordisk Film am selben Morgen, wo die Dänen massenweise das Gesetz brechen und syrische Flüchtlinge von Rødby nach Schweden bringen. Und er erzählt mir, dass es ihm mit dem Film nicht nur um eine Gegenantwort auf "die Verherrlichung des dänischen Verhaltens während des Krieges und dem daraus resultierenden Selbstverständnis" geht. Ein Selbstverständnis, das im Moment in Form von Bo Lidegaards internationalem Bestseller „Die Ausnahme“ seinen Siegeszug führt.
„Ich wollte erforschen, was mit einem Menschen passiert, der zwar sein Land liebt, aber mit einer Aufgabe betraut wird, die nicht im Einklang mit den Werten steht, von denen er glaubte, dass sie sein Land repräsentieren."
Zandvliet spricht von Unteroffizier Carl, der von Roland Møller gespielt wird. Im Film sehen wir Carl das erste Mal als er entlang der Kolonne von deutschen Soldaten fährt, die auf dem Weg nach Hause sind. Als er jemanden sieht, der eine dänische Fahne trägt, explodiert er vor Wut und schlägt den sich entschuldigenden Soldaten bis zur Unkenntlichkeit zusammen: „Das ist nicht deine, verstehst du das?", schreit er ihn an.
„Er ist von dem gleichen Hass erfüllt, den viele Dänen gegenüber den Menschen fühlten, die fünf Jahre ihr Land besetzt hielten", sagt Martin Zandvliet.
Aber als der Unteroffizier abkommandiert wird, eine kleine Gruppe von jungen deutschen Soldaten zu kontrollieren, die Minen räumen sollen, passiert etwas mit Carls Patriotismus, denn er sieht die Jungen hart arbeiten, ohne richtige Nahrung.
„Er zweifelt sehr an dem, was er tut. So ähnlich wie wir uns heute fragen, ob wir durch die Art und Weise wie wir Flüchtlinge und Migranten behandeln, immer noch die Werte verteidigen, um die wir Angst haben, oder ob wir sie in Wirklichkeit aufgeben?“.
Er weist darauf hin, dass es tatsächlich Handlungen sind, die die Werte eines Volkes bestimmen, und nicht die physischen Vermögenswerte in Form von Land, Sprache und Eigentum. Aus diesem Grund lautet der englische Filmtitel Land of Mine.
„Dies ist mein Land!“, versichert sich Carl. Im Laufe der Zeit verliert er jedoch eben jenen Glauben an sein Land. Es ist vielleicht nicht mehr das Land, an das er glaubte und vielleicht gibt es andere Dinge, die wichtiger sind.
„Sie sind Deutsche“
Der Unteroffizier erkennt sein Land nicht wieder. Wenn er über die Dünen von Oksbøl blickt, sieht alles normal aus, blickt er aber runter auf die Jungs, die im Sand herumkriechen, krank vor Hunger und zitternd vor Angst, dann löst sich diese Normalität auf.
„Und so geschieht es, dass er in der Begegnung mit dem Einzelnen aufhört, sie als „Deutsche“ zu betrachten und stattdessen beginnt, sie als Individuen zu sehen.
Aber er ist nicht nur ein Patriot, erfüllt von Hass und Rachegefühlen, die er abstreifen muss, bevor er seine Menschlichkeit wiederfinden kann. Er ist auch ein Soldat. Er muss den Befehlen seiner Vorgesetzten gehorchen. Mikkel Boe Følsgaard spielt den Vorgesetzen, der auf Carls Einwand, dass die Soldaten nur kleine ängstliche Jungen sind, ruhig antwortet: „Sie sind Deutsche, Carl.“
Der Unteroffizier ist innerlich zerrissen: „Irgendwann ist es für die Jungen eine Erleichterung unten im Sand zu liegen. Der Sergeant ist unberechenbarer als die Minen, von denen sie ungefähr wissen, wo sie liegen und wie sie zu handhaben sind. Carl kann jederzeit und ohne vorherige Ankündigung explodieren und sie haben nicht die Möglichkeit oder das Recht, ihn zu entschärfen. Sie können seinen Hass nur über sich ergehen lassen.“
Als Carl den Jungen gegenüber endlich auftaut, versetzt ihn ein Unfall im Minenfeld wieder zurück in die Rolle des rücksichtslosen Unteroffiziers. Unter anderem führt er jene Kontrolle ein, die auch an den meisten anderen Orten durchgeführt wird: Haben die Soldaten ein Minenfeld in Übereinstimmung mit der Minenkarte geräumt und die richtige Anzahl Minen, die sich dort nach ihren Angaben befunden haben, ausgegraben, dann müssen sie Arm in Arm über das Feld gehen. Der so genannte „Todesmarsch“ sollte sicherstellen, dass keine Minen übersehen worden waren.
Auge um Auge
Es ist nicht so, dass Martin Zandvliet kein Verständnis dafür hat, warum die Dänen taten was sie taten. Nach der Besetzung lagen zwei Millionen Minen im dänischen Sand. Das waren mehr als im Rest Europas zusammengenommen.
„Es waren die Deutschen, die Minen gelegt hatten – wer sonst sollte sie entfernen? Ich wäre wahrscheinlich auf die gleiche Idee gekommen und hätte sie dazu angehalten, aufzuräumen, bevor sie heimkehren durften. Aber ich hätte versucht, ihnen ausreichend Essen zu geben, sie besser auszubilden und sie besser zu behandeln", sagt er.
Am Ende ist es die klassische Geschichte des kleinen Mannes, der versucht, sich gegen ein ganzes System zu stemmen. In diesem System war jedoch kein Platz für ein bisschen Menschlichkeit.
Es waren die Briten, welche die Dänen dazu aufforderten, deutsche Kriegsgefangene einzusetzen, um die Minenfelder zu räumen. Die Briten meinten sogar, dass deutsche Soldaten in der Lage sein sollten, fünf Minen pro Stunde zu entfernen. Die meisten Soldaten hatte noch nie eine Mine gesehen. In einer Situation, in der Dänemark unbestreitbar als Teil der Alliierten galt, war es schwer etwas anderes zu tun, als zu gehorchen. Wozu die Dänen wohl auch keine Lust hatten.
Von dem britischen Befehl wurde jedoch eine Ausnahme gemacht. Niemand wurde gezwungen, fünf Minen pro Stunde zu entfernen.
„Die Briten hassten die Deutschen noch mehr als die Dänen es taten und das zu Recht. Im Gegensatz zu Dänemark war England von Bombenangriffen nicht verschont geblieben.
Und viele Briten waren im Krieg gefallen. Wenn britische Soldaten nach Dänemark kamen, wurden sie verdientermaßen wie Helden empfangen. Aus meinen Recherchen aber weiß ich, dass sie sich nicht immer so aufgeführt haben. Schon gar nicht gegenüber den deutschen Soldaten", sagt Zandvliet. Dies geht auch aus einer Filmszene hervor.
Das Feindbild ist fast ein umgekehrtes. "Mir ist es wichtig zu sagen, dass dieser Film keine Verteidigung der Deutschen darstellen soll, überhaupt nicht. Es kann gut sein, dass diese Jungen schreckliche Dinge getan haben, bevor sie zum Minenräumen abkommandiert wurden. Und wir wissen natürlich, dass Deutschland Gräueltaten begangen hat, die nicht mit denen, die an der dänischen Nordsee passiert sind, verglichen werden können. Der springende Punkt ist, dass diese „Auge um Auge“-Mentalität uns alle zu Verlierern macht."
Der Mangel einer kritischen Öffentlichkeit
Die Geschichte der Minenräumung an der dänischen Nordsee füllt, wie gesagt, nicht viele Seiten in den dänischen Geschichtsbüchern und Martin Zandvliet sieht nicht nur das als Problem. Er sieht auch einen Mangel an kritischer Öffentlichkeit als Erklärung dafür, dass so etwas passieren konnte.
„Wenn die Presse vor Ort war, wurden die Soldaten nur in ein Terrain geschickt, das von Minen befreit war, und sie wurden dazu beordert zu lächeln und zu winken. Natürlich muss man auch bedenken, dass die Situation in Europa chaotisch war, in Dänemark allerdings nicht so sehr, wie anderswo, wie wir gehört hatten“, so Zandvliet.
Aber das Fehlen einer kritischen Öffentlichkeit bedeutete auch, dass damals niemand darüber sprach und dass die Dänen gut daran verdienten, für die Deutschen Bunker anzulegen und sie zu versorgen. Dass die Dänen selbst dazu beigetragen hatten, den Neuen Westwall zu bauen. Und dass nur sehr wenige die Art und Weise, wie deutsche Kriegsgefangene und auch deutsche Flüchtlinge behandelt wurden, in Frage stellten. Eine kritische Öffentlichkeit sollten wir heutzutage schätzen, sagt Martin Zandvliet.
„Es ist gefährlich Dinge zu tun, nur weil das System es verlangt. Die Geschichte von Carl soll zeigen, dass man sich dem, was gerade passiert, kritisch gegenüber verhalten muss und dass man so handelt, dass man sich später im Spiegel ansehen kann. Das Gleiche passiert jetzt in den sozialen Medien, wo Leute sich gegenseitig dazu ermutigen, syrischen Flüchtlingen zu helfen, auch wenn es eigentlich rechtswidrig ist. Die meisten Dänen, die an der Minenräumung beteiligt waren, sprachen nicht darüber. Und wenn sie es taten, dann sagten sie, dass die Deutschen gut behandelt wurden und dass die Dänen bei der Minenräumung halfen. Das ist wahrscheinlich etwas, was man sich selbst erzählt, um damit zu leben. Die Wahrheit ist es sicherlich nicht“.
Andererseits ist es wahr, dass Dänemark ein schönes Land ist. "Ich werde nie vergessen, wie ich das erste Mal den Strand in Oksbøl sah. Es ist unbeschreiblich. Es ist ein militärisches Sperrgebiet, deshalb gibt es dort keine Ferienhäuser oder Eisdielen, die die Natur zerstört haben. Es ist reine Küste“.
Zandvliet kann verstehen, dass die Dänen die Besatzungsmacht dafür hassten, die Küste mit Minen zugepflastert zu haben. Aber Martin Zandvliets Dänemark definiert sich nicht allein durch das Land, den Sand und das Wasser. Es ist die innere Landschaft, die zählt.
Quelle: Tageszeitung INFORMATION (Dänemark), veröffentlicht im Presseheft UNTERM DEM SAND, Koch Media
Anita Brask Rasmussen