Ein Tag mit der Regisseurin in der Reihe Lecture & Film im Deutschen Filmmuseum Frankfurt

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Man konnte Claudia Dillmann, Direktorin des Deutschen Filmmuseums die Rührung und Verehrung anmerken, als sie die berühmte belgisch-französische Regisseurin zu zwei Vorführungen ihrer Filme und den anschließenden Publikumsgesprächen willkommen hieß, Agnès Varda, die im Mai 88 Jahre alt wird und in diesem Jahr den Max Beckmann Preis der Stadt Frankfurt erhalten hatte. Nicht nur hier fielen der Begriff feministisch und Feministin.

 

Man kann unmöglich die Bedeutung ihres Filmschaffens als eine der wenigen Frauen im Gewerbe würdigen oder gar die Filme aufführen, aber man kann nach dem Schauen eines Films das Besondere ihrer filmischen Arbeit erkennen. Der Film DAS GLÜCK kam 1964 heraus, das war vor 51 Jahren und sie selbst war damals 36 Jahre alt. Der Film schlug international wie eine Bombe ein, erhielt zur Berlinale 1965 den Silbernen Bären als Spezialpreis der Jury und begründete ihren Ruhm. Wie sehr ihr die Dreharbeiten noch gegenwärtig sind, war gleich zu spüren, denn mitten im anregenden Erzählen unterbrach sie sich selbst und meinte, zuerst solle man doch besser den Film anschauen und erst danach darüber reden.

 

Da hatte sie aber längst die metaphorischen Eier ins Nest gelegt, wenn Sie von der Schönheit sprach und ihrer Erkenntnis, daß allem allzu Schönen der Wurm schon beiwohne. Der dann das Schöne zerstört, war eine Fortsetzung, die in den Köpfen der Zuschauer stattfand. Der folgende Film war wirklich ein Beispiel dafür. Denn allein der Beginn von DAS GLÜCK ist eine derartige glücklichmachende Symphonie von Farben, ein Schwelgen von reifen Sonnenblumen im Wind, ein Spiel von Blume, Bewegung und Natur, daß es eine Lust ist. Und das Synonym für Glück. Wir sehen das Sonntagsvergnügen der Franzosen: das Picknick im Wald. Wir sehen eine glückliche Familie, wie die Mutter ihre beiden Kinder umsorgt, wie am Sonntag auch der Papa mit den Kleinen an der Hand durch den Wald streift, die junge schöne Mama im bunten Sommerkleid mit den Kindern den Blumenstrauß für die Oma pflückt, die kleine glückliche Familie wirkt wie aus einem Werbefilm. Perfekt.

 

Das setzt sich fort, denn beim Heimkommen werden die Schwiegereltern besucht, auch die leichten Animositäten gut weggesteckt – und dann sind alle zu Hause, die abendlichen Rituale vom Insbettbringen der Kinder durch die Eltern, das Verschnaufen, was mehr für den Vater gilt, denn die Ehefrau ist eine besonders emsige. Und dann der nächtliche Beischlaf. Das pure Glück. Das setzt sich am nächsten Tag fort. Wir erleben den glücklichen François als eifrigen Schreiner, Thérèse ist eine begabte Schneiderin, die zu Hause ihre zufriedenen Kundinnen bedient. Alles läuft. Alles läuft gut.

 

Während man noch sinniert, wie es wohl angesichts von so viel gelebtem und tief empfundenen Glück weitergehen könnte - denn das Ausstellung von so viel privatem Glück kommt einem als Zuschauer natürlich Spanisch vor, was Strafen nach sich ziehen muß – nimmt der Film aber ganz und gar nicht die Wendung in die Katastrophe. Im Gegenteil. Und jetzt wird wichtig, was man im weiteren Film immer stärker verspürt, ab jetzt wird die Geschichte völlig aus der Perspektive des Mannes erzählt, der sein Glücksgefühl potenziert. Erst flirtet er im Postamt beim Telefonieren mit der Postbeamtin – blond und hübsch wie seine Frau - und die mit ihm, dann wird daraus mehr, ein Techtelmechtel beginnt, das sich zu einer glückhaften Liebesbeziehung auswächst.

 

Es gibt nur eins, was den Glücklichen stört. Daß er es seiner geliebten Ehefrau nicht erzählen kann. Erst einmal zumindest. Ihr, der geliebten Zweiten schüttet er von Anfang an reinen Wein ein, daß er verheiratet ist, zwei Kinder hat, seine schöne Frau und liebevolle Mutter liebt. Und Freundin Emilie, die alleinstehend ist, weiß auf was sie sich einläßt, daß dieser geliebte Mann nie seine Frau verlassen und sie auf ewig die heimliche Geliebte bleiben wird.

 

Wir schauen mit großen Augen zu, denn hier wird nicht eine der herkömmlichen Dreieckgeschichten erzählt, mit Heimlichkeiten, Lügen, emotionaler Druck für den Ehepartner, sich zwischen Ehepartner und Geliebten zu entscheiden. Hier wird die Binnensicht des François ausgebreitet, der voller Glück steckt, der eigentlich nur aus seinem großen Glück mit Frau und Kindern und angenehmer Arbeit heraus, auch für eine zweite Liebe genug Kraft hat. Alles ist wunderbar, wenn da nicht das Verschweigen gegenüber seiner Ehefrau wäre, was zu Lügen ausartet, wenn er Gründe für seine Abwesenheit erfindet, sie also anlügt.

 

Und dann, als wieder ein sonntägliches Picknick der vierköpfigen Familie im Wald stattfindet, der Herbst naht - wieder gibt es hinreißende Aufnahmen aus der Natur -, da möchte er seine Thérèse endlich an seinem Glück teilhaben lassen und erzählt ihr von seiner Liebe zu Emilie. Ganz offen. Und als sie nachfragt, ob er sie verlassen wolle, da verneint er so heftig, wie er es wirklich empfindet. Das Geständnis führt erst einmal zu großer Leidenschaft und einem sofortigen Beischlaf auf dem Waldboden, während die Kinder schlafen. Auch die beiden schlafen ein, aber Thérèse erwacht schnell, man merkt, daß sie nicht recht weiß, was eigentlich passiert und wie sie sich verhalten soll. Sie streift durch den Wald.

 

Als nächstes bekommen wir mit, wie der Ehemann seine Frau sucht und daß aus dem nahen Gewässer eine Leiche gefischt wird: die ertrunkene Ehefrau. Sie wird beerdigt, die Familie berät über die Aufteilung der Kinder, dann wird die Freundin Emilie in die Familie eingeführt und sehr schnell übernimmt sie die Mutterrolle und Ehefrauenfunktion. Mit dem Bild der glücklichen Kleinfamilie beim Hineinspazieren in den Wald endet der Film, wo einem nicht nur die Kinderhände in den Händen der neuen Mutter auffallen, sondern auch die gelben Pullover der Erwachsenen, Unisex also.

 

Ein Hammer, wie hier mit lächelndem Gesicht die eine Frau mit der anderen ausgetauscht wird. Ob die Ehefrau buchstäblich ins Wasser ging oder durch einen Unfall ertrunken ist? Die Regisseurin: „Das weiß ich auch nicht.“ In der Diskussion wird nachgefragt, aus welchen Gründen Varda das Geschehen aus der Sicht des Mannes darstellt, ja es wird sogar in Frage gestellt, ob sie sich so eine Feministin nennen dürfe. Da kann Madame nur lachen, sie ist einerseits „von Geburt an Feministin“, andererseits überzeugt, nicht jeder ihrer Filme müsse feministisch sein. Das stimmt und speziell dieser Film kann überhaupt nur wirken, wenn er aus der Perspektive des total glücklichen Mannes erzählt wird. Und es ist sicher richtig, daß ein Mensch voller Liebe schneller mit einem zweiten Menschen zusätzlich glücklich wird, als daß ein Unglücklicher wenigstens eine Liebe erlebt. In diesem Film geht es um den Wurm.

 

Sie selber sagt: „Der Film war so erfolgreich, weil er so hübsch aussieht und so grausam ist“ und findet die Schönheit von Mensch und Natur im Film wieder im Licht der Landschaft rund um Paris und bestätigt, was einem der farbenfrohe, lichte Film eh suggeriert, daß nämlich der Impressionismus sein Pate ist. Über den Glücksszenen schwebt die Musik Mozarts, hell, heiter, klar, das ist ein Stilprinzip im Film, das einen öfter sogar nervt, was aber dazugehört.

 

Interessant, wie die Filmemacherin die Grundidee ihres Films charakterisiert. Jenseits aller kleinbürgerlichen oder weithin moralischen Urteile geht es ihr um die Wirklichkeit und die Macht von Gefühlen. In diesem Sinn spricht sie wiederholt davon, fragt nach, wie wir mit den Sehnsüchten von Menschen umgehen, wie mit unseren eigenen Wünschen.

 

Info:

 

Die Reihe mit Agnès Varda und die Aufführung ihrer Filme im Deutschen Filmmuseum geht weiter. Wir berichten darüber.