Serie: Das FILMFEST MÜNCHEN vom 23. Juni bis 2. Juli, Teil 14

Rita Kratzenberg und Claus Wecker

München (Weltexpresso) - Auf einem Festival passiert es immer wieder einmal, dass man einen Film, auf den man sich besonders gefreut hat, aus Termingründen nicht zu sehen bekommt. Wenn der Film dann auch noch den Hauptpreis erhält, ist der Ärger umso größer. Doch „The Salesman“, der neue Film von Asghar Farhadi, um den es sich handelt, hat bereits einen deutschen Verleih und wird hier zum Kinostart gewiss ausführlich vorgestellt werden.

Mit „Toni Erdmann“ als Eröffnungsfilm war dem Team um Festivalchefin Diana Iljine ein besonderer Coup gelungen. Maren Ades Film kommt mit geradezu euphorischen Kritiken aus Cannes, wo er mit dem FIPRESCI-Preis der internationalen Filmkritik ausgezeichnet wurde, aber von der Jury unter dem Australier George Miller („Lorenzos Öl“, „Mad Max“-Reihe) ungeehrt blieb. Die Geschichte vom Vater (Peter Simonischek), der seine erwachsene Tochter (Sandra Hüller) nicht loslassen will, ist im Stil der Berliner Schule erzählt – allerdings auch mit Humor angereichert und deshalb publikumsfreundlicher als die meisten anderen Exemplare dieser Richtung. Auch wenn manches, vor allem zu Beginn, eher dem Karneval zuzurechnen ist, kommen doch einige Drehbuch-Ideen – etwa die Erörterungen über die Käsereibe – mit feiner Ironie daher. Allerdings lässt der Film, wenn es allzu lustig werden könnte, Vater und Tochter tiefgründig in die Irre laufen.


Stilistisch wesentlich flotter und geradezu elegant umfährt dagegen „Die Hannas“ alle Probleme, die eine lange währende Paar-Beziehung mit sich bringen. Die wohlgenährten Anne und Hans, allgemein einfach die Hannas genannt, denken gar nicht daran, sich zu trennen, obwohl all ihre Freunde schon darauf gewettet haben. Sie sind viel zu sehr mit Essen und Kochen beschäftigt, mit Vegetariertum und Fleischeslust im doppelten Sinne, als dass sie sich trennen würden. Sogar eine Nebenliebschaft, in die beide gleichzeitig hineinschlittern, kann sie nicht auseinander bringen. Filmemacherin Julia C. Kaiser hält ihren lockeren Stil nicht ganz durch, doch die ernste Seelenpein zwischendurch wird schließlich zur Zufriedenheit der Hannas und des Publikums aufgelöst. So bleifrei kann es auch in einem deutschen Film zugehen.


Deutsche Filme fürs Kino und fürs Fernsehen (die Unterscheidung ist fließend, werden erstere doch zumeist von TV-Sendern mitproduziert) sind schon immer ein Schwerpunkt in München gewesen. Unter den Produktionen direkt fürs Fernsehen, also ohne den Umweg übers Kino, befanden sich ein neuer Dominik-Graf-Krimi: „Zielfahnder – Flucht in die Karpaten“, ein kurzweiliger Thriller mit Ronald Zehrfeld und Ulrike C. Tscharre als Kripo-Fahnder auf der Suche nach einem entflohenen rumänischen Häftling sowie die gelackte Martin-Sutter-Verfilmung „Allmen und die Libellen“ mit Heino Ferch in der Titelrolle. Eine ganze Allmen-Reihe soll folgen, wovon der zweite Teil bereits fertiggestellt ist.


Mit einem Regie-Preis aus Venedig kam Brady Corbets Erstlingsfilm „The Childhood of a Leader“, frei nach einer Sartre-Erzählung, nach München. In überladenen Bildern wird gezeigt, wie der siebenjährige Prescott, Sohn eines amerikanischen Diplomaten, immer exzentrischer wird. Er lebt zum Ende des Ersten Weltkrieges in einem Schloss in Frankreich mit einem autoritären Vater, einer uninteressierten Mutter und einer mütterliche Haushälterin. Eine Erklärung, warum aus einem fast mädchenhaften Jungen, ein totalitärer Diktator wird, bleibt der Film allerdings schuldig.


„Radio Dreams“, eine skurrile Independent-Produktion von dem in Europa aufgewachsenen Iraner Babak Jalali, spielt in San Francisco bei einem kleinen Radiosender mit Programm in Farsi. Ein exzentrischer iranischer Schriftstellers will dort die erste afghanische Rockband Kabul Dreams mit den Megastars von Metallica zusammenbringen. Der kleine Radiosender hat einen gewissen Kunstanspruch, den er ständig dem Kommerz opfern muss.


Vom deutschen Schwermut war bereits die Rede. Sie ist jedoch nichts gegen die russische, die in „Nakhodka“ von Viktor Dement mit einem unvergesslichen Aleksey Guskov in der Hauptrolle zu bewundern war. Als gnadenloser Inspektor, der an einem großen See in der Taiga gegen unerlaubte Fischerei vorgehen soll, lernt er, dass man schneller schuldig werden kann, als man glaubt, und dass es neben Sühne auch Vergebung gibt. Wie so oft im russischen Kino ist auch hier der große Dostojewski gegenwärtig.


Wenn man Pietro Marcello und seinem Film „Bella e perduta – Eine Reise durch Italien“ glauben darf, dann ist das einst so schöne Italien dem Untergang geweiht. Da hilft auch nicht die Figur des Pulcinella, eines Narren aus der Comedia dell’ arte. Pulcinella versucht, ein Büffelkalb vor dem Schlachthof zu retten, und zieht zu den verfallen(d)en Kulturschätzen Italiens. Am Ende rinnt eine Träne aus dem Auge des Büffelkalbes. Nichts ist übrig vom sonnigen Italien, hier beklagt ein Neorealismus in neuem Gewand den Zustand eines Landes.


Kino jenseits des Mainstreams mit ernsten und witzigen Kommentaren zum Stand der Dinge. Es gab viele Preisverleihungen und viele Partys auf diesem feierfreudigen Sommerfestival des Films. Und viel zum Nachdenken.