Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 14. Juli 2016, Teil 10

Aus dem Filmheft

Berlin (Weltexpresso) – Wenn schon, denn schon, haben wir uns gesagt, als fast die gesamte Redaktion von Weltexpresso ins Thema einstieg. Aber man kann nicht alles alleine machen, deshalb freuten wir uns über folgendes Interview.


1. Wann haben Sie die Idee entwickelt in Nordkorea drehen zu wollen?

Ich allein wäre nie auf die Idee gekommen, in Nordkorea drehen zu wollen. Nicht, weil ich kein Interesse an dem rätselhaften Land hatte, sondern weil ich dachte, dass es für mich als gebürtige Südkoreanerin einfach nicht möglich sein würde, Nordkorea zu betreten, geschweige denn eine Drehgenehmigung zu erhalten. Außerdem hatte ich natürlich Angst vor diesem Land.


Doch im Zuge der Finanzierung meines vorletzten Films VERLIEBT, VERLOBT, VERLOREN hatten wir Schwierigkeiten, einen Sender zu finden und somit genügend Produktionsmittel zusammenzukriegen. Da hat mich die Redakteurin vom Hessischen Rundfunk auf die Idee gebracht, einen Teil des Films in Nordkorea zu drehen, wenn die ostdeutschen Familien sich mit ihren nordkoreanischen Angehörigen in Pjöngjang treffen würden. Wenn dieser Dreh zu Stande käme, würde der HR als Koproduktionspartner einsteigen.


Schließlich ist der Dreh nicht zu Stande gekommen, aber wir hatten den Kontakt zu den zuständigen Personen in Pjöngjang hergestellt. Die Behörden in Nordkorea sagten uns ab, weil sie nie wieder etwas von deutsch-nordkoreanischen Familiengeschichten hören wollten. Aber mit einem anderen Thema, könnten wir auf eine Zusammenarbeit hoffen. Damit war die Idee geboren, so einfach war das.



2. Warum wollten Sie diesen Film unbedingt machen?


Obwohl Nordkorea für die Weltöffentlichkeit total verschlossen bleibt, hört man im Westen relativ viel von diesem kleinen Land auf der anderen Seite des Erdballs. Was wir jedoch zu sehen bekommen, ist immer das gleiche: Militär-Paraden, Raketen, Soldaten, Hungersnöte, „dressierte“ Kinder und die Führer in drei Generationen, die von den Massen frenetisch gefeiert werden. Ich wollte mit meinen eigenen Augen sehen und erfahren, wie es dort aussieht, wie die Menschen ticken und warum sie uns so seltsam erscheinen. Im Endeffekt sind sie ja auch Koreaner, mit denen wir Südkoreaner eine lange Geschichte und Tradition teilen. Außerdem fühle ich mich als Koreanerin mit deutscher Staatsangehörigkeit verpflichtet, nach Möglichkeit bei der Versöhnung und Wiedervereinigung Koreas beizutragen.



3. Wie waren die Vorbereitungen?


Ich musste zuallererst auf meine koreanische Staatsangehörigkeit verzichten und eine deutsche erlangen, um überhaupt nach Nordkorea einreisen zu dürfen. Das ist nicht nur wegen Nordkorea, sondern auch wegen Südkorea erforderlich gewesen. Wenn eine Südkoreanerin ohne die Erlaubnis der südkoreanischen Regierung nach Nordkorea einreist, kann sie davon ausgehen, bei der Rückkehr am Flughafen in Seoul verhaftet zu werden. Eine Reise nach Nordkorea wird in Südkorea als Staatsverrat angesehen und ebenso geahndet. Auf der koreanischen Halbinsel sind der eiserne Vorhang und der kalte Krieg noch allgegenwärtig.


Im nächsten Schritt haben wir uns dann genau überlegt, wie es uns gelingen könnte, neue Wege zu beschreiten und andere Bilder und Geschichten aus Nordkorea zu finden, um nicht wieder die immer gleichen Stereotypen zu bedienen. Also haben wir erst einmal eine lange Wunschliste möglicher Protagonisten erstellt; allesamt Personen in ganz unterschiedlichem Alter, mit ganz verschiedenen Berufen und Wohnorten. Das war eine wirklich sehr lange Liste und zu unserem Erstaunen haben die Nordkoreaner wirklich alle Protagonisten für uns vorausgesucht und uns vorgestellt. So hatten wir die Möglichkeit, manche Protagonisten auch abzulehnen und manche vor Ort spontan(!) auszutauschen.



4. Haben Sie das alles aus Deutschland koordiniert?


Um die Protagonisten auszuwählen und die Drehorte kennenzulernen haben wir vor dem richtigen Drehbeginn bereits drei Mal das Land besucht. Anscheinend hat sich kein Filmteam bis dato solche Mühe für die Vorbereitung gemacht. Die meisten Teams bereisen das Land zum ersten Mal und drehen gleich los. Wir haben auf der zweiten Recherchereise verstanden, warum die anderen Filmteams immer das Gleiche zu sehen bekamen. Es gibt offenbar eine Regelung, was ausländische Gäste zum Auftakt zu sehen bekommen. Wenn man dann zum zweiten Mal anreist, erhält man etwas Neues zu sehen, auch ein wenig mehr und so weiter.



5. Worauf mussten Sie achten?


Mir war sehr wichtig, dass ich von Anfang an nichts heimlich drehe. Ich dachte mir, dass ich als gebürtige Südkoreanerin noch genauer beobachtet werden würde. Die Vermutung lag nahe, dass die Nordkoreaner viel aufmerksamer und viel sensibler dafür sein würden, was ich da tue und wie ich mich benehme. Und ich wollte den Nordkoreanern keinerlei Anlass geben, mich als eine Spionin aus dem Süden zu bezichtigen. So etwas ist in der Vergangenheit durchaus schon vorgekommen. Ich erinnere mich beispielweise an einen Fall, da wurde eine als Touristin getarnte US-amerikanische Journalistin mit koreanischer Abstammung in Nordkorea verhaftet und erst dank der zähen Verhandlungen von Ex-Präsident Jimi Carter durfte sie wieder ausreisen.


Wäre ich überehrgeizig gewesen und hätte die Regeln missachtet, hätte ich schnell auch solch eine diplomatische Krise zwischen Nordkorea, Südkorea und Deutschland auslösen können.


Aber die äußerst schwierigen Drehsituationen und extrem unerfreulichen Erfahrungen mit dem DFB, die ich beim Dreh für den Film 11 FREUNDINNEN erlebt habe, haben mir sehr viel geholfen zu verstehen, wie ein totalitäres System funktioniert und wie eine Kultur der Angst auf die Menschen auswirkt. So war ich bestens auf Nordkorea vorbereitet.



6. Wie schwer fiel es Ihnen, Ihre südkoreanische Staatsbürgerschaft gegen die deutsche einzutauschen?


Anfangs war es sehr komisch für mich, ich war auch sehr wehmütig. Aber was tut man nicht alles, um einen Film zu retten? Ich war seit 2006 mit dem Projekt VERLIEBT, VERLOBT, VERLOREN beschäftigt. Ich wollte das Projekt unbedingt zu Ende bringen. Ich war es auch den Protagonisten schuldig, die sich so sehr wünschten, dass ihre Familiengeschichten endlich erzählt werden würde. Und irgendwie fühlte ich mich als Koreanerin – wenn es auch seltsam klingen mag – ein Stückweit verantwortlich für das Schicksal, dass ihre Familien getrennt wurden. Aber aufgrund der fehlenden Finanzmittel und Senderbeteiligung war es nicht möglich.


Und jetzt, nach dem Verzicht auf die Südkoreanische Staatsangehörigkeit, fühle ich mich kompletter denn je. Denn jetzt gehört nicht nur Südkorea zu meiner „Sammlung der Heimat“, sondern jetzt ist auch Nordkorea ein Teil meiner Heimat geworden.



7. Was waren die größten Herausforderungen beim Dreh?


Am schwierigsten war es, das zu sehen, was wirklich da war, zwischen den Bildern, die wir schon im Kopf hatten – diese sind meist sehr voreingenommen – und den Bildern, die die Nordkoreaner von sich preisgaben. Ich wollte wissen, wie viel alltägliches Leben es in solch einem totalitären System gibt und wie viel das System und die Staatsideologie im „normalen“ Alltagsleben steckt.


Mit den Protagonisten möglichst offen und ehrlich zu sprechen, ohne sie in Gefahr oder Verlegenheit zu bringen. Dabei half mir die Tatsache, dass unsere nordkoreanischen „Partner“ bei den Interviews nie direkt dabei waren. Ich hatte sie im Vorfeld darum gebeten von den Dreh-Orten fern zu bleiben. Das wollten sie natürlich zunächst nicht, doch ich habe sie ganz offen gefragt, was besser für ihr Vaterland sei: Wenn die Protagonisten steif und angespannt wie Marionetten rüberkommen, oder entspannt und menschlich. Das haben sie verstanden und sind ferngeblieben oder rausgegangen.

Was für mich viel schlimmer war, war die Tatsache, dass man ab vom Dreh keine Chance hat einfach einmal alleine spazieren zu gehen oder in der Stadt ohne Begleitung einfach einmal herum zulaufen oder schoppen zu gehen. Unsere Partner waren immer in der Nähe, sie waren unsere Schatten. Nach vier Wochen hatten wir die Nase richtig voll. Wir, das Team, waren nicht mehr vorsichtig, sondern wurden sehr ruppig und konfrontativ. Es wurde Zeit abzubrechen, denn wären wir noch länger in Nordkorea und somit unter ständiger Beobachtung geblieben, hätte es heikel werden können.



8. Was war ihre größte positive Überraschung?


Dass die Nordkoreaner mich willkommen hießen und sich wirklich über die Begegnung mit mir gefreut haben. Obendrein war ich überrascht, dass sie wirklich alle eine Wiedervereinigung wollen, ersehnen und erhoffen. Ansonsten hat mich die schöne Natur schwer beeindruckt und auch der Ökostalinismus, wenngleich notgedrungen so doch sehr beeindruckend.


Was ich auch erstaunlich fand, dass der Bauer ständig vom Kaufen und Verkaufen gesprochen hat. Und dass die Nordkoreanerinnen für amerikanische Modemärkte nähen. Ob das positiv ist, sei dahin gestellt, überraschend war es allemal.



9. Was hat sich durch den Dreh in Ihrem Verständnis/Blick auf Nordkorea verändert?


Ich habe gelernt, das Regime und die Menschen dort nicht gleich zu setzen, und dass die Nordkoreaner auch Menschen wie Du oder Ich sind. Sie sind keine Marionetten oder Monster. Unser herkömmliches Bild über Nordkorea als „das absolut Böse“, verrät eigentlich viel mehr über uns selbst als über das Land.



10. Wie war die Zusammenarbeit mit den Behörden?


Das Auswärtige Amt und die deutsche Botschaft in Pjöngjang waren sehr hilfreich und auch mutig. Enttäuschend war die Zusammenarbeit mit dem DRK. Die Beamten vom DRK haben weder Mut noch Ideen. Wenn etwas Neues versucht wird, versuchen sie es zu übersehen oder gar zu verhindern.
Auch die Behörden in Nordkoreaner sagen zu jeder Anfrage immer erst einmal „Nein“. Doch wenn man dran bleibt, mit ihnen aufrichtig und auf Augenhöhe ohne Arroganz spricht, kann man sie überzeugen. Mit dieser Taktik haben wir viel mehr erreicht, als wären wir mit der Brechstange vorgegangen. Erschwerend kam hinzu, dass die Behörden in Nordkorea sehr langsam sind. Das Visum für Nordkorea wurde jedes Mal erst einen Tag vorm Abflug oder gar am Tag des Abflugs überreicht. Einmal haben wir sogar den Flug verpasst, weil das Visum noch nicht da war.
Die Südkoreaner wurden in der ganzen Zeit natürlich komplett ausgeklammert. Sie sollten auf gar keinen Fall wissen, dass ich nach Nordkorea reise. Anfangs habe ich nicht mal meinen Eltern davon erzählt.



11. Was entgegen Sie Kritikern, die sagen, Sie hätte sich durch den Film instrumentalisieren lassen?


Jede Hilfsorganisation oder Entwicklungshilfe muss sich mit diesem Vorwurf stellen, sie unterstütze mit ihrer Hilfe den Diktator und sein Terrorregime. Dennoch tun sie es weiter, weil sie wissen, dass ihre Hilfe trotzdem dem Land und den Menschen etwas Positives bringt.


So ungefähr lässt sich auch meine Haltung zu dem Dreh beschreiben. Jeder ausländische Besucher bringt etwas von der Welt in dieses verschlossene Land mit hinein. Die stetig wachsende Präsenz der Ausländer könnte bei den Einheimischen die Hoffnung wecken, dass sich in der Gesellschaft doch etwas verändert. In Bezug auf uns im Westen finde ich sehr wichtig, endlich zu lernen, das Land differenziert zu betrachten.

 

Foto: Auch diese Szene, die Regisseurin auf der Rechten, ist aus dem Film.



12. Warum sollte man sich MEINE BRÜDER UND SCHWESTERN IM NORDEN unbedingt anschauen?


Weil der Film Nordkorea und die Menschen die dort leben unvoreingenommen und differenziert betrachtet. Der Film zeigt ein komplexeres Bild von einem uns unbekannten Land und lässt gleichzeitig viel Ambiguität zu. Das ist natürlich eine Herausforderung für den Zuschauer, der ein fixes, vereinfachtes Bild von Nordkorea gewohnt ist. Ich bin der Meinung, dass dieses einseitige Bild die feindliche Koexistenz auf der koreanischen Halbinsel, die Teilung von Nord- und Südkorea verfestigt und Nordkorea weiter isoliert. MEINE BRÜDER UND SCHWESTERN IM NORDEN zeigt hingegen, dass auch in Nordkorea ganz normale Menschen leben, mit alltäglichen Wünschen, Hoffnungen und Sorgen. Neben diesem unvoreingenommenen Einblick in das rätselhafte Land ist der Film einfach unterhaltsam!