Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 21. Juli 2016, Teil 4

 

Kirsten Liese

 

Berlin (Weltexpresso) - Sie tauschen nur wenige Blicke und schon sind sie einander verfallen. Hanna (Alice Dwyer) und Yann (Sabin Tambrea).

Nur wenige gemeinsame Tage verbleiben dem jungen Paar in Paris, dann muss sie zurück nach Wien, wo sie als angehende Psychologin traumatisierte Kinder therapiert.


Dass die beiden sich nach ihrem Abschied nicht zum letzten Mal gesehen haben, liegt nahe. Aber die denkbare Fortsetzung einer vielleicht etwas komplizierten Fernbeziehung wäre für eine Regisseurin, die bei dem genialen Michael Haneke studiert hat, wohl zu simpel. Jedenfalls mündet Andrina Mračnikars leidenschaftliche Liebesgeschichte  in einem regelrechten Alptraum.


Das Unheil bahnt sich an, als Yann schon bald nach der Trennung Hanna besucht. Er kündigt sich vorerst nur für ein paar Tage an. Aber dann erzählt er der konsternierten Liebsten fast beiläufig, dass er seinen Job in Frankreich geschmissen hat und zieht einfach bei ihr ein.

Ziemlich schnell geht das, aber wiewohl bei Hanna die Alarmglocken schrillen und der Freund sie mit seiner krankhaften, unbegründeten Eifersucht auf ihren Exfreund und Arbeitskollegen Goran (Oliver Rosskopf) stark belastet,  lässt sie sich von der Leidenschaft mitreißen bis die Situation ins Unerträgliche eskaliert.

Yann zieht aus, aber die Beziehung ist nur scheinbar beendet. Fortan erhält Hanna angsteinflößende drastische Videobotschaften. Sie fühlt sich zunehmend verfolgt, wittert hinter jeder Ecke eine Bedrohung,  gerät darüber in Konflikte mit Freunden und Kollegen und ist sich bald nicht mehr sicher, wem sie noch vertrauen kann. Und so steigert sie sich, von der Regisseurin psychologisch scharfsichtig ins Visier genommen, immer stärker in ihre Paranoia.


Kunstvoll balanciert Mračnikar auf dem schmalen Grad zwischen Beobachtung und Voyeurismus, zwischen Stalking und Halluzination. Wenn auf Hannas Handy  Videos eingehen, die sie- offenbar im Geheimen aufgenommen - schlafend zeigen, fühlt man sich konkret an Hanekes Meisterwerk „Caché“ erinnert, in dem ein Ehepaar unheimliche Videos  ohne Absender erreichen. Mračnikar zielt darauf ab, dass sich vieles des Gezeigten nur in Hannas Kopf abspielt. Vage Verdachtsmomente verdichten sich schnell zu Tatsachen. Jedes Geräusch,  jede vielleicht zufällige Begegnung scheinen auf einen Verrat hinzudeuten.


Nicht zuletzt das feine Gespür der Regisseurin für Stimmungen, die kluge Entscheidung, nicht alles auszuerzählen, und die trefflichen, aparten Jungdarsteller bringen es mit sich, dass „Ma Folie“ alle Erwartungen an einen Debütfilm übersteigen.