von Lida Bach 

 

 

Adele steht am Abgrund. Sinnbildlich und buchstäblich. Zweimal gähnt in Emily Atefs sprödem Charakterdrama vor dem schroffen Mädchen (Maria Dragus), das trotz seiner 15 Jahre verhärmt und abgeklärt wirkt, eine Leere, die erträglicher scheint als jene andere Leere. Eine innere, die Adele seit dem Tod ihres Bruders fühlt, und die äußere des Lebens auf dem elterlichen Viehhof. „Da ist nichts.", sagt der grobschlächtige Timo (Roeland Wiesnekker) nüchtern über das, womit Adele die Tiefe lockt und zudem der flüchtige Sträfling ihr verhelfen soll: den Tod.

 

 

„Ich brauche nur einen Stoß.", sagt Adele dem auf dem Hof versteckten Mörder. Den Ort für dessen Gegenleistung für ihre Fluchthilfe hat sie schon festgelegt: eine Klippe, nicht unähnlich jener, an der sie vor Abbruch der offen ausgehenden Geschichte steht. Ist die Bildsprache des sonnigen Klimas noch nicht deutlich genug, ist es Adeles Blick. Statt in diesige Waldschluchten schweift er über den Hafen von Marseille ins Blaue, in das Timo und sie gemeinsam aufbrechen. Zwischen der französischen Küste und dem nasskalten Tann liegen physisch und psychisch zehrende Tagesreisen, deren jede eine Etappe auf der Rückkehr zu emotionaler Anteilnahme ist. Sie ist der optimistische Ausklang der kargen Beziehungsstudie zweier Menschen, die Beziehungen nur als schmerzvoll kennen.

 

Atefs unsentimentale Analyse einer Paarkonstellation, die trotz deren Unwahrscheinlichkeit die naturalistische Inszenierung glaubhaft macht, ist ein Mosaik bruchstückhafter Wortwechseln und biografischer Splitter. Alle sind sie einschneidende Erlebnisse, alle sind sie Stacheln im Fleisch der Protagonisten. Dass gerade sie beide einander von der Qual befreien können, weil sie die des andern kennen, versinnbildlicht die Regisseurin in einer elementaren Metapher ähnlich der Gefühlswitterung und den Seelenlandschaften, aus denen die raue Szenerie ersteht. Sie schneide es raus, sagt Adele, ein Messer umklammernd, angesichts Timos verschmutzter Schulterwunde und bleibt dennoch starr wie ihr Blick. „Ich hab´s versucht, aber ich schaff das nicht alleine.", offenbart sie Timo ihre ihre Todesangst, in der sich die vor dem Leben spiegelt.

 

Der Schubs, den sie braucht, ist der in die richtige Richtung, die nach der naiven Filmpsychologie eine in schmerzhaften Lektionen erlernte Gesundheitssorge ist. Diese erzwingt Timo, indem er sie zum Trinken nötigt, und lebt sie vor im Verschmähen verdorbenen Proviants. Dass sie letzten dennoch isst, büßt Adele mit einer Lebensmittelvergiftung, denn Esther Bernstorffs und Stephane Kuthys Script schätzt Selbstfürsorge nur als Notwendigkeit zu altruistischer Fürsorge. Das Zurückstellen eigener Bedürfnisse zugunsten fremder predigt es ausgerechnet anhand zweier Charaktere, die ihr ganzes Leben kaum anderes taten. Adeles Schritt zurück von der Schlucht ist entgegen dem Handlungsduktus auch ein mentaler: von geistiger Reife zu Kindlichkeit, die sich im Ballspiel mit Jüngeren ausdrückt.

 

Dass für die forsche Protagonistin das Verfolgen des eigenen Weges damit endet, dass sie dem eines Fremden ergeben folgt, ist zynischer, als es der optimistische Schlusston wahrhaben will und morbider als der spekulative Titel: „Töte mich".

 

Oneline: Drama um ein seltsames Paar unterwegs zwischen Todessehnsucht und Lebenshunger.