von Lida Bach

 

 

Nichts als Ruinen. Irgendetwas an ihnen deprimiere ihn, erklärt John. „Ich nenne das Ozymandias-Melancholie.“ Ozymandias ist das Erzähler-Ich Percy Shelleys, das in dessen gleichnamigen Sonett aus dem Totenreich die Vergänglichkeit aller Größe anmahnt. Seine melancholische Schwermut bewegt den angegrauten Stararchitekt (Alec Baldwin) in Rom, wo der angegraute Stararchitekt seinem jungen Alter Ego Jack (Jesse Eisenberg) begegnet. Ihn souffliert John nolens-volens die Affäre, die sich zwischen dem jungen Architekturstudenten und der bei ihm und seiner Freundin Sally (Greta Gerwig) gastierenden Monica (Ellen Page) anbahnt. „Mit dem Alter kommt Weisheit.“, konstatiert Jack, was John korrigiert: „Mit dem Alter kommt Erschöpfung.“

 

 

Schlimmer, Überdruss. So in Woody Allens Liebeskomödie, deren einzig glaubhafte Romanze die des Regisseurs mit der ewigen Stadt ist. In dieser Stadt sei alles eine Geschichte, eröffnet ein Straßenpolizist das pittoreske Decamerone, das ursprünglich diesen Namen tragen sollte. „Verlässlich, liebenswürdig, vorhersehbar“ und urplötzlich „berühmt für seine Berühmtheit“ ist es cineastisches Pendant des Büroangestellten Leopoldo (Roberto Benigni), um den sich einer der süffisanten Handlungsstränge verirrt. Den humoristische Niedergang prophezeit die tragischen Narrenpose Pagliaccis. La Comedia e finita, doch auf der Leinwand geht sie weiter mit Penelope Cruz als Edelcallgirl Anna, die der verklemmte Antonio (Alessandro Tiberi) als seine Verlobte ausgibt, Monica und John, der deren auf pseudo-intellektuelle Zitat-Schnipsel desavouiert: „Sie kennt aus jedem Gedicht eine Zeile.“ Jack dient ihr zur Selbstbestätigung. Die aufstrebende Akteurin verführt nicht, weil sie es kann, sondern weil sie muss, um sich nicht leer und abgestorben zu fühlen.

 

Jene Lebendigkeit sucht Jerry (Woody Allen) in der musikalischen Liaison mit Giancarlo (Fabio Armiliato), dem stimmgewaltigen Vater seines zukünftigen Schwiegersohns Michelangelo (Flavio Parenti). Für ihn sei der Ruhestand gleichbedeutend mit Tod, erkennt Jerrys Frau Phyllis (Judy Davies), deren zweischneidige Bemerkungen weniger über ihren Filmgatten verraten als den echten Allen. Die chronologisch und dramatisch Disharmonie seiner Episoden spiegelt die von Jerrys Opern. „Rigoletto“ mit als weißen Mäusen kostümierten Sängern, „Der Bajazzo“ mit dem Tenor nackt unter der Dusche; die Komik der sich anbahnenden Szene verpufft einmal angekommen rascher als deren ausführliche Vorbereitung verlangt. So ergeht es vielen der Eskapaden, deren Niveau das der Darsteller unterminiert wie Jerrys Bühnenaufführung das seiner Gesangentdeckung. Das letzte mit Fabio Armiliato ein echter Opernstar verkörpert unterstreicht die Parallele zwischen dem Leben und der Kunst, der es nacheifert.

 

„Versuch nicht mich zu analysieren. Viele haben es versucht, alle sind gescheitert.“, warnt Jerry in einer der Dialogvignetten, die verkappte Selbstkritik andeuten. Die Oberflächlichkeit der Anspielungen ist umso bedrückender, da die filmischen Gedichte, denen Allen sie entnimmt, seine eigenen sind: „Play it again, Sam“, „Manhattan“, „Stardust Memories“, „Scoop“. Der Mystery-Krimi von 2006 markierte die bisher letzte Kinorolle Allens als Taschenspieler. Diesen Part spielt der Regisseur in seinem jüngsten Werk so geschickt wie Monica gegenüber Jack. Für ihn hat es etwas Charmantes, dass sie eine Täuschungskünstlerin ist und seinetwillen ihr Trickrepertoire vorführt. Dieser Gefallen an der Vorspiegelung, die ebenso Selbstbespiegelung ist, manifestiert sich als übergreifende Erkenntnis der amourösen Assemblage, deren äußerer Federleichtigkeit das Ruinen-Fundament abgeklärten Zynismus trägt.

 

„Es gibt viele Geschichten zu erzählen, wenn Sie das nächste mal kommen.“, verabschiedet sich der Verkehrspolizist, als er aus filmlanger Abwesenheit wieder auftaucht. Zur Rückkehr „To Rome with Love“ lädt das paraphrasierende Potpourri nicht. Irgendwie deprimieren die Ruinen Woody Allens komödiantischer Brillanz. Ein cineastischer Fall von Ozymandias-Melancholie.

 

Oneline: ...Um den Verfall des kolossalen Wracks reicht grenzenlos und kahl der einsame und ebene Sand in Ferne.